Latexdame Jannette 'historische' Korsettgeschichten 30.05.2009

Die wahre Geschichte von Aschenputtel

Und wir dachten, dass wir sie kennen!

Eine Märchengeschichte von Stephen

Alle Rechte und weitere Nutzung beim Autor.

Übersetzung: Jannette

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Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Eins

Sitzt ihr bequem? Gut, dann werde ich beginnen.

Es war einmal ein reicher Gentleman. Er lebte in einem entlegenen Landkreis, irgendwo in Europa, und war mit einer schönen Lady verheiratet. Sie gebar ihm eine Tochter. Aber als die Tochter noch ein kleines Mädchen war, verstarb ihre Mutter an einem Fieber. So war das kleine Mädchen mit ihrem Vater ganz alleine. Der Vater machte sich große Sorgen, denn er meinte dass seine Tochter eine Mutter haben sollte. So geschah es viele Jahre später das er wieder heiratete. Seine neue Gemahlin war eine reiche und modische Witwe, welche zwei Töchter ihr Eigen nannte. Die neue Frau hieß Gräfin Eisenmieder.

Diese zweite Ehefrau war keine wirklich böse Frau, aber sie verdarb gar schrecklich ihre Töchter, denn sie ließ ihre Töchter tun was sie wollten. Als jene Töchter herausfanden dass ihr neuer Stiefvater eine junge Tochter hatte, waren sie nicht sehr erfreut über die neue Konkurrenz und beklagten sich bei ihrer Mutter. Die Mutter hörten ihnen zu und sagte nur: „Natürlich meine Lieblinge.“
Dann ging sie zu ihrem Ehemann und sagte, dass es unmöglich sei den Balg seiner ersten Ehefrau mit ihren eigenen Kindern zusammen zu erziehen. So ging der reiche Herr zu seiner eigenen Tochter und sagte ihr ganz traurig, dass sie fortgehen müsste. Sie weinte und bat inständig darum im Haus bleiben zu dürfen. So beschloss man einen Kompromiss. Wenn sie als Dienstmädchen arbeiten wollte, müsste sie nicht gehen. So ging Aschenputtel, das war ihr Name, die Hintertreppe hinunter in die Küche und...

Hey du, ja du da hinten. Mach’ nicht so einen Lärm. Wer soll diese Geschichte geschrieben haben?

In Ordnung. Ich gebe zu, dass ihr wahrscheinlich früher eine ÄHNLICHE Geschichte gehört habt. Aber ihr habt nicht DIESE Geschichte gehört. Jakob Grimm war auf seine Art und Weise ein feiner Kerl, aber er hätte bei der Wahrheit bleiben sollen. Ihm war jene Geschichte zugetragen worden, aber er war der Meinung dass es nicht richtig wäre zu erzählen was wirklich geschah. Und so veränderte er ein paar Dinge um es für die kleinen Zuhörer verständlicher zu machen. Aber mal ehrlich. Wer hat jemals etwas von Glas- Schuhen gehört? Abgesehen davon: Kann man überhaupt mit Glas- Schuhen gehen? Die Füße hätten keinen Halt, und man würde damit sofort stürzen. Jene Schuhe würden außerdem sofort zerbrechen, wenn man eine Treppe hinunter geht. Nein, es gab niemals einen einzigen Glas- Schuh. Und wenn ihr jetzt euren Mund haltet, damit ich mit der Geschichte fortfahren kann, werdet ihr auch erfahren was Aschenputtel tatsächlich auf den Ball zurückgelassen hatte. In Ordnung?

Ähem. Wo war ich stehen geblieben?

Ah, ja. Also. Aschenputtel ging die Hintertreppe zur Küche hinunter und setzte sich auf einem Hocker. Und dort saß sie und weinte. Niemand kam zu ihr um sie zu trösten. Da waren nur eine alte Katze und ein paar freche Mäuse, was bewies, dass die Katze sehr träge war. Schließlich trocknete Aschenputtel ihre Augen und fing an zu arbeiten. Sie wischte die Fliesen und reinigte die Töpfe.

Allmählich lernte sie die Menschen kennen, welche dort unten arbeiteten. Und den meisten von ihnen tat das Mädchen sehr Leid. Sie erinnerten sich an die alte Hausherrin. Von der Neuen hielten sie nicht viel. Die neue Hausherrin war sehr anspruchsvoll und kommandierte nur herum, während die eigenen Töchter tun konnten, was sie wollten. Aschenputtel gewann viele neue Freunde. Der alte Schuster hatte Aschenputtel sogar in sein Herz geschlossen. Er wohnte weiter unten im Dorf und kam regelmäßig vorbei, um Schuhe für die neuen drei Damen zu liefern, welche niemals genug zu haben schienen. Er war ein Freund von Aschenputtels Eltern gewesen, lange bevor ihr Vater wieder geheiratet hatte. Aschenputtels Stiefmutter hatte zu ihrem Vater gesagt, es wäre nicht gut, wenn er zu engen Kontakt mit der Arbeiterklasse hätte. Ihr gefiel nicht, dass der Schuster der Pate von Aschenputtel war.
Der Schuster hatte Aschenputtels Mutter vor ihrem Tod versprochen auf ihre Tochter aufzupassen und jeden Tag zu besuchen.
Aschenputtel hatte jedoch Hoffnung auf ein besseres Leben, und das half die schwere tägliche Arbeit besser zu ertragen. Aschenputtel schlief regelmäßig vor Erschöpfung vor dem warmen Küchenofen ein.

Was tat sich derweil oben im Haus?

Jakob Grimm wird euch erzählt haben, dass Aschenputtels Stiefschwestern hässlich waren. Das ist aber nicht wirklich gerecht. Ihre Mutter war eine schön- aussehende Frau, und ihre Töchter kamen ihr in nichts nach. Hässlichkeit war also nicht deren Problem. Das Problem war, dass sie verdorben waren. Sie waren von Anfang an ein Paar egoistische und ungezogene Kinder, und ihr Stiefvater ging ihnen, wann immer er es konnte, aus dem Weg. Sie hatten einmal sogar eine schwere chinesische Vase oben auf eine angelehnte Tür gestellt. Und als der Vater die Tür öffnete, fiel sie ihm auf den Kopf. Als er wieder zu sich kam, hörte er sie lachen. Und dann rannten sie zu ihrer Mutter. Diese sagte zu ihm: „Sie haben es nicht so gemeint. Es war doch nur Spaß.“ Sie weigerte sich sogar ihre Töchter zu bestrafen.
Nach dieser Begebenheit versuchte der Vater den Kontakt zu seinen Stieftöchtern zu meiden. Er musste aber feststellen, dass sie mit zunehmendem Alter immer unangenehmer wurden.
Sie bestanden stets auf die feinsten und teuersten Kleidungsstücke, gingen damit aber nicht pfleglich um. Die Kleidungsstücke musste ständig gereinigt oder repariert oder gar durch neue ersetzt werden. Sie hatten auch keine Tischmanieren. Sie verschmähten die schönsten Speisen, um sich mit dem Dessert die Bäuche voll zu schlagen.
Als sie noch Teenager waren, aßen sie fast nichts anderes als Bonbons, Marmelade, Kuchen, kandierte Früchte, mit Creme gefülltes Gebäck oder süße Torten. Und das in so großen Mengen, dass jedem normalen Menschen schlecht geworden wäre. Das unvermeidliche Ergebnis war, dass sie fett wurden und voller Pickel waren. Das machte die Töchter noch unangenehmer. Und was tat ihre Mutter? Sie forderte ihre Töchter auf eitel zu sein. Die Töchter wollten schön wie ihre Mutter sein, aber sie konnten der süßen Versuchung nicht widerstehen. Ihre Mutter hatte versucht, ihre Töchter an ein Korsett zu gewöhnen, wie sie es selber erlebt hatte als sie in jenem Alter gewesen war. Und obwohl sie viele schöne und starke Korsetts hatte anfertigen lassen, empfanden die Töchter alles nur als unbequem und protestierten. Die Mutter gab nach, obwohl sie fühlte wie wichtig ein Korsett gewesen wäre. Sie hatte versucht zu erklären dass man im geschnürten Zustand weniger Hunger hätte und dadurch schöner und interessanter aussehen würde. Die Töchter versuchten es, änderten aber nicht ihre Essgewohnheiten. Eine Tochter aß bis sie sich krank fühlte, worauf die andere forderte dass man ihr Korsett lockern sollte, damit sie mehr von dem Apfelstrudel genießen könnte. Es beunruhigte ihre Mutter sehr, da sie eine großartige Taille hatte. Sie befürchtete, dass ihre Töchter wie Hefe auseinandergingen. So konnten die Töchter niemals anständige und reiche Ehemänner finden.
Schließlich brachte sie ihre Töchter mit viel Überredung dazu, wenigstens während der Anwesenheit von Gästen mit einem geschnürten Korsett zu erscheinen, um dadurch etwas schlanker auszusehen. Aber es war eine fürchterliche Tortur. Man benötigte für jede Tochter zwei der stärksten Lakaien, und das erwünschte Ergebnis konnte nur nach mehreren Ohnmachtsanfällen vollbracht werden. Natürlich empfanden die Mädchen die Korsetts als äußerst unbequem, und konnten eng geschnürt nur für eine halbe, höchsten eine Stunde aushalten. Jene Erfahrung war für die Töchter so schlimm gewesen, dass sie nie mehr Korsetts trugen.
Ihre Mutter war darüber sehr verzweifelt, und befürchtete dass ihre Töchter niemals präsentabel aussehen würden. Und trotzdem blieb sie viel zu nachsichtig und verhätschelte weiterhin ihre Töchter. Wenn sie wie ein Hefeteig auseinandergehen wollten, dann sollte es so sein.

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Zwei

Unten im Haus verlief für Aschenputtel alles ganz anders. Sie musste die gleichen rauen Kleidungsstücke tragen wie der Rest der Dienerschaft. Und wenn sie sich nach der Eleganz sehnte, welche ihre Stiefschwestern gegeben wurde, so behielt sie es für sich. Aschenputtel bekam das Nötigste zu essen, hauptsächlich Gemüse und einmal die Woche etwas Fleisch. Sie war oft hungrig. Die anderen Diener sorgten heimlich dafür, dass sie ausreichend Milch und andere Dinge bekam, die ein heranwachsendes Mädchen benötigte. So wurde Aschenputtel ein aufrechtes und starkes Mädchen. Obwohl sie stets hungrig war, bekam sie niemals die Gelegenheit Fett anzusetzen.

Als sie zwischen zehn und elf Jahre alt war, begann sie sich zu verändern, und glich immer mehr ihrer Mutter. Das war für jenes Mädchen ein großer Vorteil, da ihre Mutter eine der schönsten Frauen der Gegend gewesen war. Aschenputtels Hüften blieben schlank und ihr Magen flach. Aber es gab bereits Anzeichen dass sich bei ihr großartige Brüste entwickelten. Ihre Mutter hatte ebenfalls große Brüste gehabt, und in ihrer Jugend so manchen Mann den Hals nach ihr verrenken lassen. Aschenputtels Haar war weich und sehr dunkel. Ihre Augen hatten einen bezaubernden Blick.

Der alte Schuster sah sie aufwachsen, und freute sich über das Kind. Und an ihrem zwölften Geburtstag brachte er ihr ein Geschenk: Ein in Tuch eingepacktes Bündel.
„Was ist das Gevatter?“
„Mach’ es auf und schau es dir an.“
Aschenputtel zog das Tuch auseinander. Darin lag ein seltsames Ding. Es war ein Gewand aus weichen braunen Leder. Es hatte eine konische Form, war in einer Richtung sehr steif, und in dem Baumwollfutter waren Wahlknochen eingenäht. Es gab zwei Riemen, zweifellos entworfen um über den Schultern zu gehen. Jene Riemen hatten an den Enden Schnürsenkel, damit man sie besser justieren konnte. Hinten war das Ledergewand aufgeschlitzt, und an den Rändern befanden sich sehr viele Ösen. Eine sich kreuzende Schnur verband die Ränder.
Aschenputtel drehte das Teil vorsichtig herum. Sie betrachtete das elegante Gewand, welches in einer Richtung flexibel war, in der anderen Richtung sehr steif.
„Gevatter, das Gewand ist wunderschön. Aber was ist das?“
„Das, mein Kind, ist dein Korsett, nur für dich allein. Alle Damen tragen Korsetts, um jene Figur zu erhalten, die sie als Dame benötigen. Du hast doch sicherlich das Korsett deiner Stiefmutter gesehen, nicht wahr?“
„Ja... Ich wusste nur nicht was es war. Aber es sah anders aus... nicht aus Leder.“
„Korsetts müssen sehr stark sein, Aschenputtel. Deine Stiefmutter kann sich die feinste Arbeit und die höchste Material- Qualität leisten. Ich habe nicht das Glück in der gleichen Lage zu sein. Und das stärkste Material das ich kaufen kann, ist Leder. Außerdem ist die Arbeit mit Leder mein Lebensunterhalt. Wenn ich versucht hätte es aus anderem Material zu nähen, wäre es nie so schön und stabil geworden. Mit Leder kenne ich mich aus und kann alles daraus machen; Sachen die stabil sind und jahrelang halten. Dieses Korsett wird dich eine lange Zeit begleiten.“
Aschenputtel schaute sich wieder das Korsett an. Es war sicherlich sehr schön, aber... „Gevatter, warum hast du mir ein Korsett gegeben?“
Der alte Schuster gab einen Seufzer von sich und setzte sich auf einem der schlichten Küchenstühle. Dabei schaute er sehr grimmig drein. „Aschenputtel, du wurdest um dein Recht als zukünftige Dame des Hauses durch deine giftige Stiefmutter und der Dummheit deines Vater beraubt. Ich kann dir nicht jenen Anspruch zurück geben. Aber ich kann dir einen Teil deines Geburtsrechtes geben. Eine junge Lady wird stets ab dem Tag in ein Korsett geschnürt, wenn sie die Kindheit verlässt. Sie wird, wenn möglich, Tag und Nacht geschnürt, damit sich ihre Figur mit der Zeit entsprechend entwickelt. Deine beiden Stiefschwestern sind ein sehr gutes Beispiel dafür, was aus einer jungen Dame werden kann, wenn man ihrer Figur freien Lauf lässt. Du magst keine feine Kleider haben, aber wenn du dieses Korsett eng geschnürt trägst, und es stets anbehältst, außer wenn du dich waschen musst, wird sich deine Figur zu deinem Besten entwickeln. Nur so wirst für den Rest deines Lebens wie eine Lady aussehen. Ein altes Sprichwort lautet: ‚Übung macht den Meister.’ Ich aber sage: ‚Schnürung macht eine Lady.’ Und solange dein Korsett eng geschnürt ist, wirst nur du die anmutigste Figur und die elegante Grazie einer Dame dieses Landkreises haben. Eines Tages wirst du so schön sein wie deine Mutter, vielleicht sogar noch schöner. Und wenn du stets auf deine Figur achtest, wird es keine vergleichbare Frau geben.“
Aschenputtel schaute ihn an und schwieg eine lange Zeit. Sie schien über seine Worte und das Geschenk nachzudenken. Schließlich sagte sie: „Das ist sehr liebenswürdig. Ich danke dir.“
Es war eine ganz andere Stimme: Nicht die Stimme eines begeisterten Mädchens, sondern die Stimme einer jungen Dame, welche alles durchdacht hatte und wusste worauf es ankam. Sie schien langsam zu verstehen.
Der alte Schuster lächelte und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge. Dann sagte er: „Danke mir noch nicht, mein Kind, du hast es noch nicht anprobiert. Komm’, ich werde dich jetzt schnüren.“
Er zog die Korsettschnur aus den Ösen heraus und löste die Schulterriemen. Nachdem sie sich umgeschaute hatten, ob auch niemand da war, zog Aschenputtel ihr Dienstmädchenkleid aus und legte sich das Korsett um. Sie hielt es ganz fest an ihrem Körper und lächelte begeistert. Sie fühlte die steifen Wahlknochen, welche unter dem schönen Leder verborgen waren.

In jenen Tagen war das Anziehen eines Korsetts eine schwierige Angelegenheit. Natürlich braucht man auch heutzutage viel Zeit um es richtig zu machen. Aber das Korsett- Design hat sich meiner Meinung nach zum Besseren verändert. Wenn Ihr jemals sehen könnt, wie Eure Mama am Ende des Tages ihr Korsett ablegt, werdet Ihr vorne eine Reihe mit Haken und Ösen erkennen, welche man öffnen kann, nachdem die Korsettschnur auf dem Rücken gelockert worden ist. So kann man ein Korsett schnell ablegen und es am nächsten Morgen wieder schnell anlegen, damit der Papa oder eine Zofe mittels der Korsettschnur das Korsett zuschnüren können. In Aschenputtels Zeit hatte aber noch niemand ein Korsett erfunden, dass vorne schnell zu Öffnen oder zu Schließen war, geschweige denn Haken und Ösen die stabil genug waren.
Der Schuster musste also zuerst die Korsettschnur herausziehen, bevor Aschenputtel das Korsett an ihrem Körper anlegen konnte. Und dann musste der Schuster wieder die Schnur durch die vielen Ösen einfädeln, was natürlich sehr lange dauerte.

Für eine lange Zeit stand Aschenputtel wie eine stolze Dame mit geradem Oberkörper vor dem Schuster und hielt das Korsett fest. Sie fragte sich aber, was das Getue hinter ihr bedeutete.
Doch dann wurde das Korsett enger und fing an Aschenputtels Figur zu formen. Aschenputtel bemerkte den zunehmenden Druck des kräftigen Materials und die unnachgiebigen Korsettstäbe. Ihr Oberkörper wurde immer steifer, überall war der Druck zu spüren. Das war ein Gefühl, welches sie noch nie erlebt hatte. Anfangs war dieses Gefühl ein wenig erschreckend, aber dann spürte sie eine gewisse Erregung. Aschenputtel stöhnte und streichelte sanft über ihre Seiten.
Der Schuster hörte auf zu ziehen und fragte: „Es fängt an zu drücken, nicht wahr? Soll ich aufhören?“
„Was? Nein, nein! Schnüre weiter, schnür es noch enger!“
Er lachte. „Ganz wie deine Mutter. Ihre Zofe hatte es mir erzählt. Gut. Jetzt atme tief ein, und wir werden sehen wie weit wir kommen.“
Aschenputtel tat wie ihr gesagt wurde. Sie holte tief Luft und hielt den Atem an. Da zog auch schon der Schuster an der Korsettschnur. Das neue Leder des Korsetts knarrte leise, weil das Korsett immer enger geschnürt wurde.

Für eine Korsettträgerin ist klar, was weiterhin vor sich geht: Das Korsett übernimmt die Kontrolle und legt dem Körper seinen Willen auf.

Aschenputtel hatte plötzlich das Bild eines Gefängnisses mit Wänden aus Leder und Gitterstäben aus Wahlknochen vor ihren geistigen Augen und lachte.
„Tu das nicht!“, grunzte der Schuster. „Wenn du ungleichmäßig atmest, komme ich nicht voran.“
„Ich bitte um Entschuldigung.“ Aschenputtel holte wieder tief Luft. Jedenfalls so viel, wie es noch ging, denn das Korsett nahm ihr langsam den Raum, den sie normalerweise benutzte um wirklich tief durchatmen zu können. Sie hielt ihren Atem so lange wie sie konnte an, während das Korsett immer enger wurde. Dann atmete sie aus und fing an zu keuchen. „Was tust du da?“, fragte sie atemlos.
„Ich denke dass es jetzt eng genug ist“, sagte er Schuster und machte einen Knoten in die Schnur.
„Nein, nein! Ich kann es noch enger ertragen! Bitte!“
„Nein, sei nicht albern. Wenn man beim ersten Mal zu eng geschnürt wird, dann wird es schnell unbequem und muss das Korsett wieder lockern. Befolge meinen Rat.“ Er band über den Knoten eine Schleife und sagte: „So! Das hält.“ Dann drehte er Aschenputtel um und schaute sie an.
Ihr mädchenhafter Busen hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Ihr Gesicht war gerötet und sie lächelte voller Glück.
„Oh, ich danke dir, Gevatter! Es ist so hübsch!“
„Es passt und steht dir“, sagte der Schuster, versuchte aber nicht stolz auszusehen. „Und? Fühlst du dich gut. Ist es bequem?“ Er schaute Aschenputtel an und sah dass sie den Mund öffnen wollte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, fügte er hinzu: „Sage mir die Wahrheit!“
Sie dachte nach und überlegte sich genau was sie sagen wollte. Dann schaute sie in seinen Augen und antwortete: „Nicht ganz.“
„Nicht ganz? Das ist gut. Du hast ein Gespür für deine Figur, Aschenputtel, und du musst darauf achten. Wenn du jemals feststellst, dass dein Korsett sich locker anfühlt, musst du es enger schnüren.“
Sie nickte und sagte: „Ich werde daran denken.“
„Noch etwas. Dieses Korsett kann man nicht viel enger schnüren. Ich hatte bei der Anfertigung nicht bedacht wie eng ich dich wirklich schnüren kann. Du hast dafür offensichtlich eine Begabung. Ganz wie deine Mutter...“ Er erhob sich und gab einen Seufzer von sich. „Ich hoffe jedenfalls dass du damit deine Freude hast.“
„Oh, die habe ich, Gevatter! Das hatte ich dir ja bereits gesagt.“
„Gut. Du musst dich ab jetzt um dein Korsett kümmern und es pflegen. Hier ist eine Ersatzschnur.“ Er überreichte eine ordentlich zusammengerollte Lederschnur, die über einen Meter lang war. „Trage stets das Korsett. Und wenn du der Meinung bist der Druck des Korsetts lässt nach, bedeutet es dass es Zeit ist deine Taille enger zu schnüren. Heute musst du das Korsett in ein Paar Stunden nachschnüren, weil es sich noch ausdehnen wird.“
„Das werde ich. Oh, Gevatter, es ist so hübsch!“ Aschenputtel drehte sich in der Mitte der Küche um ihre eigene Achse herum. Sie sah trotz des grauen Unterrocks, der sich dabei weit ausdehnte, fast wie eine edle junge Schönheit aus. Sie glich in der Tat immer mehr ihrer Mutter. Der Schuster schüttelte seinen Kopf und dachte an die Grausamkeit, welche mit dem Mädchen geschehen war, und rieb sich wieder eine Träne aus dem Auge, bevor sie über seine Wange lief.
„Es steht dir. Wenn du eine neue Korsettschnur brauchst, dann komm sofort zu mir gelaufen. Und falls dein Korsett eines Tages zu locker wird, werde ich es natürlich verändern. Ich wünsche dir viel Glück und bleibe wie du bist.“
„Vielen Dank, Gevatter. Ich werde die Magd mit der engsten Taille des Hauses sein!“

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Drei

Und so begann Aschenputtels Figur- Ausbildung. In dem Königreich taten alle Mädchen ihres Alters das Gleiche. Keine zukünftige modische Schönheit konnte hoffen die Gesellschaft zu beeindrucken, wenn sie nicht ihre Taille zwei bis drei Zentimeter pro Jahr enger schnürte. Sogar die Mädchen der niederen Gesellschaft hofften auf diese Art und Weise in ihrem späteren Leben einen wohlhabenden Ehemann zu bekommen. Einige Mädchen taten es gern, andere taten es nur um irgendeine ‚Freundin’ zu ärgern, andere taten es als eine Art Wettstreit. Es gab aber auch Mädchen, welche von der Familie dazu gezwungen wurden.
Und dann gab es da noch Mädchen, welche wussten dass sie niemals eng geschnürte Korsetts erdulden wollten, wie zum Beispiel Aschenputtels Stiefschwestern. Wie dem auch sei: Ob fehlende Eingebung, Zwang oder fester Wille, die meisten Mädchen versuchten eine immer schmalere Taille zu bekommen.
Während der Parties, welche an den Wochenenden veranstaltet wurden, trafen sich hin und wieder die Mädchen und betrachteten verstohlen die anderen Gäste. Sie versuchten herauszufinden welches Mädchen die schmalste Taille hatte und wie weit sie selber gekommen waren.

Als für Aschenputtels Stiefschwestern im eigenen Haus eine Feier veranstaltet wurde, standen die beiden Mädchen mit geröteten Gesichtern und nach Atem ringend in ihren unmöglichen neuen Korsetts herum. Die schlankeren Mädchen kicherten und alle waren sich einig, dass die beiden schnaufenden Mädchen niemals ernsthaften Gegnerinnen beim Wettstreit um den schönsten Ehemann sein würden. Keines der anwesenden Mädchen wusste von dem Geheimnis des Hauses. Unten im Haus gab es eine einfache Magd, deren Figur durchaus Konkurrenzfähig war. Und jenes einfache Mädchen hatte die Gabe und den Willen noch besser als die edlen Damen zu werden.

Es gab natürlich Probleme. In jenen Tagen gab es eine noch bedeutendere Lücke zwischen dem Reichen und dem Armen, als heutzutage. Der Adel wurde von Geburt an gegenüber dem Rest der Gesellschaft als Überlegen betrachtet. So dachten die meisten Leute. Und den Adel nachzuahmen, sich etwa genauso schön zu machen, galt als respektlos und sündig. Einige von dem Küchenpersonal protestierten gegen Aschenputtel. Es konnte nicht sein und es durfte nicht sein, dass eine einfache Magd sich genauso schnürte wie eine Edelfrau. Und so waren nur wenige von ihnen bereit Aschenputtel beim Schnüren des Korsetts zu helfen. Sogar jene, die mitfühlend waren, hatten nicht die Zeit es zu tun. Aschenputtels Stiefmutter war in gewisser Hinsicht eine sparsame Frau. Sie beeindruckte zwar die Besucher durch teure Möbel, edle Kleidung und köstliche Speisen, aber dafür sparte sie bei dem Personal wo es nur ging. So gab es nur sehr wenige Angestellte, und diese hatten so viel zu tun, dass sie Aschenputtel nicht helfen konnten. Glücklicherweise entdeckte Aschenputtel an der Wand einen Topfhaken, an dem sie ihre Korsettschnur festbinden konnte. Dadurch war sie in der Lage ihr Korsett ganz alleine zu schnüren. Sie musste nur nach hinten greifen, die Korsettschnur durch die Ösen ziehen und sich gleichzeitig langsam von der Wand entfernen. Das ging sogar sehr gut, und so hatte sie eine gute Möglichkeit gefunden das Korsetttraining voran zu bringen. Die anderen Küchenhilfen sahen das nicht sehr gerne, sagten aber nichts, solange Aschenputtel ihre Arbeit machte.

Eines Tages wurde der Messerschleifer erwartet. Er war, so sagte man in jenen Tagen, ein Filou. Er war ein gut aussehender Kerl mit schnellem Verstand und machte jeder Frau den Hof. Er war also ein Mann, den Frauen zwar mochten, aber nicht unbedingt heiraten wollten.
Er hatte ein Auge auf Aschenputtel geworfen, da sie sehr hübsch war und die Figur wie die einer Tochter einer Herzogin hatte. Und obwohl Aschenputtel an den alten hergebrachten Tugenden festhielt, war er sich sicher das Mädchen um den Finger wickeln zu können, wenn er nur oft genug erschien. Und es war nicht von der Hand zu weisen, dass sie ihn gerne sah.

An jenen Morgen, als sie mit halb geschnürten Korsett in der Küche erschien, wollte sie enger geschnürt sein als jemals zuvor. Sie hatte ein Ziel vor Augen und wollte an jenem Tag einen neuen, engeren Taillenumfang erreichen.
In der Küche waren schon ein paar Mägde bei der Arbeit. Aschenputtel musste sich also beeilen, wenn sie vor Arbeitsbeginn ihr Korsett schnüren wollte. Sie befestigte schnell die Korsettschnur an dem Wandhaken und neigte sich nach vorne, damit die Schnur gespannt wurde.
Während Aschenputtel sich abmühte, sah sie Liese, einer der jüngeren Köchinnen, hereinkommen. Liese war eine Frau, die vom Haushalt ihrer Stiefmutter gekommen war und Aschenputtel nicht mochte. Liese glaubte, dass Aschenputtel sich für etwas Besseres hielt. Außerdem war sie der Meinung dass ein Korsett bei der Arbeit hinderlich sei und Aschenputtel deswegen weniger tat als die anderen.
„Schaut nur“, lästerte Liese, „sie versucht sich zu verbessern. Sie kann einfach nicht akzeptieren, dass sie nur eine einfache Küchen- Magd ist!“
Aschenputtel tat so als hätte sie es nicht gehört und schnürte ihr Korsett immer enger.
„Sei ruhig“, sagte eine der anderen Köchinnen. „Sie macht sich nur für den Messerschleifer hübsch.“
„Sie macht sich aber immer hübsch“, sagte Liese und schnaufte verächtlich, während Aschenputtel sich weiterhin abmühte. „Sie sollte sich lieber hier nützlich machen.“
„Sie macht ihre Arbeit. Sie vergeudet nicht ihre Zeit mit Geschwätz, wie so manch andere. Sie tut trotz Korsett das, was sie tun muss.“
Aschenputtel versuchte das Gespräch zu ignorieren. Sie bekam immer weniger Luft zum Atmen. Ihr erging es nicht besser als so manch anderem Mädchen ihrer Zeit, welches zu weit gegangen war und sich dennoch weigerte es zuzugeben. Sie hatte ihr persönliches Ziel noch nicht erreicht und wollte es aber unbedingt erreichen. Sie durfte aber nicht ohnmächtig werden. Aschenputtel zwang sich ruhig zu bleiben. Das bedeutete aber auch, dass sie sich nicht in das Gespräch einmischte. Es wurde in der Küche still, und Aschenputtel konnte sich wieder konzentrieren. Da sagte Liese zu ihr: „Und? Wirst du heute dein Bestes geben, oder nur mit den Augenwimpern flattern und ohnmächtig werden?“
Aschenputtel sagte nichts, aber sie versteifte sich und zog noch stärker an der Korsettschnur.
„Hast du deine Zunge verschluckt?“
Aschenputtel starrte auf die gegenüberliegende Wand. Sie wollte nichts hören. Ihre Taille war in jenem Moment das Wichtigste. Sie erinnerte sich an die konische Figur ihrer Mutter, bevor sie verstarb. Und wenn sie auch nie ein schönes Kleid haben würde, sie würde sich trotzdem die schönste und schmalste Taille formen.
„Du scheinst wohl der Meinung zu sein, dass du mir nicht zuhören brauchst. Oder ist das Korsett zu eng, sodass du nicht antworten kannst? Hey! Ich rede mit dir!“, sagte Liese.
Aschenputtel schwieg und versuchte sich an ihre Mutter zu erinnern. Sie musste sich konzentrieren, wenn sie nicht ohnmächtig werden wollte.
„Gut, du hast es so gewollt“, sprach Liese. „Dann muss ich andere Saiten aufziehen.“
Aschenputtel hörte jemand in der Küche herumrennen. Dann schrie jemand: „Liese, nein!“
Und dann hörte Aschenputtel einen Knall, als ob ein Pfeil mit einem Bogen abgeschossen wurde. Im gleichen Moment gab die gespannte Korsettschnur nach und Aschenputtel fiel ohne Vorwarnung nach vorne, um mit dem Gesicht auf den Fußboden. Dort blieb sie liegen und weinte.
Sie hörte neben ihr Schritte und jemand trat sehr unsanft gegen ihre Rippen. Glücklicherweise war das Korsett sehr steif und aus Leder, sodass Aschenputtel nicht sehr viel von dem Tritt spürte.
„Steh auf, du Missgeburt“, schrie Liese. „Du musst jetzt arbeiten!“
„Um Gottes Willen“, sagte eine andere Stimme, „lass sie in Ruhe!“
„Sie ist einfach nur faul. Schau nur, sie faulenzt auf dem Fußboden herum.“
Es kamen noch mehr Schritte herbei geeilt.
„Der einzige Grund, warum sie auf dem Gesicht liegt“, sagte die andere Stimme, „ist der, weil du die Schnur zerschnitten hast. Gehe jetzt fort und lass sie in Ruhe. Ich meine es Ernst. Hau ab!“
Liese zog sich murrend zurück.
Aschenputtel fühlte, wie jemanden ihre Schultern berührte und dann sagte: „Kindchen, Komm, wir gehen, und dann werde ich dein Korsett richtig schnüren. So kann man das nicht machen. Da kann wer weiß was passieren.“
„Aber...“, Aschenputtel schluchzte, „ich habe keine andere Möglichkeit.“
„Jetzt hast du sie. Ich werde dir helfen. Komm mit, wir gehen in den Weinkeller. Da kann uns keiner stören.“
Sie half Aschenputtel aufzustehen. Das Mädchen hielt das Korsett vor ihrer Brust und weinte bitterlich. Dann gingen die beiden an dem verblüfften Küchenpersonal vorbei zum Weinkeller.

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Vier

„Und jetzt“, sagte die andere Frau, als sie unten im Weinkeller angekommen waren, „setze dich dort hin. Ich muss die Lampe anzünden.“
Aschenputtel weinte immer noch und setzte sich auf die unterste Stufe. Sie konnte trotz der vielen Röcke die Kälte spüren. Derweil beeilte sich die andere Frau die Öllampen mit der mitgebrachten Kerze anzuzünden. Trotz der leuchtenden Lampen war der Keller ein schmuddeliger Ort, aber er war weniger bedrohlich als auf dem ersten Blick.
„So“, sagte die Frau als die Lampen brannten. „Ich glaube nicht, dass wir einen zweiten Versuch wagen können dich zu schnüren, solange du weinst. Beruhige dich. Es ist alles in Ordnung.“
„Wer...“, Aschenputtel schluckte weinend, „wer bist du?“
„Ich arbeite in der Küche, genauso wie du.“
Das war nicht die Antwort, die Aschenputtel erwartete. So fragte sie erneut: „Ja, aber warum... Warum hilfst du mir?“
Die Frau lachte. Dann sagte sie: „Oh, ja, mein Mädchen. Wie kannst du das auch wissen? Mein Name ist Edel, und ich war die Zofe deiner Mutter, als sie so alt wie du warst. Ich blieb bei ihr, als sie geheiratet hatte, und kannte sie fast das ganze Leben lang. Dann, ja dann wurde ich, so wie du, nach unten verbannt. Ich wurde ermahnt nicht aufzubegehren und die niederen Arbeiten zu machen. Das habe ich auch bisher getan. Aber jetzt muss ich dir einfach sagen, dass ich deine Mutter gekannt habe. Es ist mit egal, ob sie mich entlassen, aber ich konnte es nicht mehr zulassen, wie man mit dir umspringt.“
„Das war...“, Aschenputtel schluchzte erneut, „das war sehr lieb von dir.“ Dann schluchzte sie erneut auf.
Edel legte einen Arm um ihre Schultern und tröstete sie. „Weine dich aus. Es ist vielleicht besser so.“
„Das tut mir Leid“, schluchzte Aschenputtel. „Es ist nur... Ich habe keinen Freunde.“
„Das ist genau das, was deine ach so edle Stiefmutter will. Nein, nicht wieder weinen. Sie darf nicht über dich triumphieren. Viele von der Dienerschaft mögen dich. Und außerdem hast du ja mich. Die anderen dürfen es nur nicht offen zugeben, denn wenn die edlen Damen es herausfinden, bekommen die anderen Probleme.“
„Und was ist mit dir?“ fragte Aschenputtel.
„Ich nehme das Risiko auf mich. So! Denkst du, dass du jetzt bereit bist für dein Korsett? Du musst deine Atmung beruhigen, bevor wir das Korsett zuschnüren können.“
„Ich... Ich werde es versuchen.“ Aschenputtel stand auf, hielt das Korsett vor ihrem Körper fest, und stellte sich in die Mitte des Raums. Edel stellte sich hinter ihr hin und schaute sich die zerschnittene Schnur an. „Gut, dass sie so nahe am Wandhaken die Schnur zerschnitten hat. Sonst wäre jetzt die Schnur zu kurz gewesen. Wir werden es versuchen. Also, tief einatmen, den Magen einziehen, Brust raus, Schultern zurück. Auf geht’s!“

Dann wurde es ganz ruhig.

Aschenputtel keuchte, aber nun aus einem ganz anderen Grund. Sie flüsterte: „Achte darauf, dass ich wirklich eng geschnürt werde.“
„Das werde ich, mein Schatz. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Du bist wie deine Mutter. Sie hatte das auch immer gesagt. So! Und wie ist es?“
Nachdem Edel einen Knoten in die Schnur gemacht hatte, machte Aschenputtel ein paar Schritte. Sie befühlte das Korsett. Sie hatte sich bis zu jenem Tag nach dem Schnüren an die Wandfliesen gestellt und dadurch einen Vergleich zum Vortag bekommen. Aber das konnte sie nun nicht mehr. Sie versuchte zu ergründen wie eng sich das Korsett nun anfühlte. Dann befühlte sie den Übergang von der Taille zu den Hüften. Es war schwierig. Aschenputtel konnte nicht nach unten schauen, denn das Korsett hatte ihre kleinen Brüste so weit nach oben geschoben, dass sie nun im Weg waren.
„Es fühlt sich gut an. Ich meine, ich kann kaum atmen, aber das ist in Ordnung... Ich wünschte, ich könnte in einen Spiegel schauen.“
„Ja, sicher, aber wir haben keinen. Warte mal.“ Edel ging in dem Weinkeller herum. Dann öffnete sie eine Schranktür und kam mit einem großen Silbertablett zurück.
„Ts, ts! Der Diener hat es nicht poliert! Es wird auch so gehen. Komm her, und versuche mal ob du was sehen kannst.“
„Vielen Dank.“ Das Tablett war sehr fleckig und nicht sehr glatt, aber Aschenputtel konnte sich darin einigermaßen erkennen. Sie sah zwar keine Details, aber sie sah die Umrisse ihrer Figur und war zufrieden. „Ich bin wirklich schmal, nicht wahr?“
„Das bist du. Du hast großes Interesse daran deine Figur zu trainieren. Du willst eine wirklich schmale Taille haben, richtig?“
„Oh, ja! Ich sage mir immer, ich kann mich zwar nicht wie eine edle Dame kleiden, aber nichts kann mich davon abhalten meine Taille enger zu schnüren.“
„Genau! Dabei könnte ich dir behilflich sein. Deine Mutter war sehr anspruchsvoll. Sie wollte immer die neuesten Tricks wissen, wie man ihr Korsett noch enger machen konnte. Das ist jetzt schon zwanzig Jahre her. Aber ich denke dass ich sagen kann, es gibt niemand in dem Königreich, der mehr darüber weiß als ich. Ich weiß wie man die Figur eines Mädchens mit einem Korsett richtig formt. Und mein Wissen, Fräulein Aschenputtel, gehört nur dir.“ Sie machte trotz des grauen Küchenkleids einen gekonnten Knicks, den nur eine Hofdame machen konnte.
Aschenputtel keuchte und ihr Herz raste, als ob es über den Rand des Korsetts springen wollte. „Das meinst du doch nicht wirklich so?“
„Das ist mein voller Ernst. Ich habe einfach genug von dem, was hier geschieht.“ Dabei zeigte sie nach oben und verzog ihr Gesicht. „Du wurdest sehr schlecht behandelt. Und das ist nur ein Bruchteil von dem, was dir verwehrt wird. Aber ich werde dir helfen.“
„Gut“, sagte Aschenputtel mit einem atemlosen Lächeln. „Was sollen wir jetzt tun?“
„Halte dich in Acht vor dem Messerschleifer. Er ist kein vertrauenswürdiger Mann. Er wird dir den Hof machen, aber halte ihn dir vom Hals. Gebe nicht auf. Du hast einen Besseren verdient...“
„Nein, den meine ich nicht. Ich meine das Korsett. Du weißt all diese Dinge. Was schlägst du also vor?“
„Gut. Du musst das Korsett auch im Bett tragen. Du musst vierundzwanzig Stunden am Tag eng geschnürt sein. Es macht einen großen Unterschied, wenn du das Korsett niemals lockerst. Das ist das oberste Gebot. Schnüre das Korsett nur dann auf, wenn es unbedingt sein muss. Und alles andere darf niemand von ganz oben wissen.“
Aschenputtel einen zufrieden klingenden Seufzer von sich. Sie sagte: „Ich verstehe. Darf ich dir noch eine Frage stellen, bevor wir nach oben in die Küche gehen?“
„Sicher, nur zu.“
Aschenputtel drehte sich um, legte ihre Hände auf die Hüften und sagte: „Schnüre mich bitte enger.“

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Fünf

Und Aschenputtel wurde enger geschnürt. Und während des Vormittags wurde sie noch zweimal enger geschnürt, bis die anderen sich vollkommen sicher waren dass sie ohnmächtig werden würde. Aschenputtel konnte aber als letzte lachen, denn als der schöne Messerschleifer jene unerwartete Sanduhrfigur sah, war er derjenige, der ohnmächtig wurde. Das erfreute das Küchenpersonal, und sie begannen wieder positiv über Aschenputtel zu denken. Aschenputtel schätzte es als eine Art Kompliment, aber ihre Gedanken waren woanders. Sie hatte endlich jemand gefunden, die ihr beim Schnüren half, ihr mit Rat und Tat zur Seite stand. Aschenputtel konnte eine Figur bekommen, die der ihrer Mutter würdig war.

Während Aschenputtel unten bei dem Personal arbeitete, hatte sie gemischte Gefühle, was die Dinge oben im Haus betraf. Sie wünschte sich dass sie ihren Platz an der Seite ihres Vaters zurück erhalten würde, wusste aber genau dass ihre Stiefmutter das niemals erlauben würde. Es war einfach frustrierend. Sie wusste, dass die Gräfin einen Groll gegen sie hegte. So ging sie ihr so gut es ging aus dem Weg.

Leider war sie nicht die Art von Person, die auf das Gerede der anderen achtete. Aschenputtel wurde immer älter und ihr Gesicht wurde ebenso hübscher, wie ihr Korsett enger wurde. Sie war ohne jeden Zweifel die Schönste von ‚Unten’. Und obwohl sie nicht im Wettbewerb mit ihren Stiefschwestern sein wollte, sahen das einige ganz anders.

„Puh“, sagte Karin, die Zofe der Lady, während sie sich neben dem Diener an den Küchentisch setzte um etwas zu trinken. „Das ist harte Arbeit, wenn ich die Korsetts der Mädchen schnüren muss! Wenn man eine geschnürt hat, wird die andere ohnmächtig, und man kann wieder von vorne beginnen. Ich brauchte eine Stunde, um beide geschnürt zu bekommen.“
„Ist das nicht ironisch?“, fragte Liese, die am anderen Ende des Tisches saß. „Diejenigen, die ein Korsett tragen sollen, kommen da nicht herein, und andere, die es nicht brauchen, schaffen es mühelos.“
„Dein Korsett war sehr eng geschnürt, als der Messerschleifer kam, nicht wahr?“
„Nicht so eng wie ihres“, sagte Liese.
Aschenputtel stöhnte in Gedanken, blieb aber äußerlich ungerührt. Das Ignorieren von Hänseleien und Sticheleien war zwar nicht sehr schön, aber immer noch besser als sich mit jener Tyrannin zu streiten.
„Die blöde Edel braucht jeden Tag eine halbe Stunde um sie zu schnüren. Und dann ist ihr Korsett so eng, dass sie ihre Arbeit kaum bewältigt.“
Aschenputtel schaute nach unten. Da saß eine Küchenmagd mit einem Diener und einer Zofe am Küchentisch und zog über ihr her. Das war zu viel. Aschenputtel rief: „Das ist nicht wahr!“
„Und ob! Wenn du nicht...“
„Ruhe! Alle beide!“ Es war der Diener, eine Person von großer Achtung unter der Dienerschaft. „Wenn es etwas zu klären gibt, dann werde ich es tun. Ihr werdet mir jetzt sagen was los ist, und nicht herum schreien. Habt ihr das verstanden? Gut. Liese?“
Der Diener war kein Rechtsanwalt. Aber sein Urteil wurde stets von allen anerkannt.
Liese stand auf und sagte: „Ihr Korsett ist zu eng.“ Dann setzte sie sich wieder hin.
„Aschenputtel?“
„Es ist nicht zu eng! Ich tue meinen gerechten Anteil von der Arbeit, vielleicht sogar noch mehr. Ich werde nicht für meine Arbeit bezahlt! Nur weil ich schön aussehen will, nicht so wie einige andere Leute...“
„Halt ein, halt ein! Du hast nicht das Recht deine Herrin zu kritisieren! Du bist nur einen Küchenmagd!“
Aschenputtel erwiderte: „Ich bin nicht ei...“ Dann wurde ihr klar, dass sie wirklich nur eine Küchenmagd war. Sie setzte sich hin, anmutig, den Rücken gerade haltend, weil das Korsett nichts anderes zuließ.
„Das ist es“, rief Liese in die Küche hinein. „Sie denkt, sie sei etwas Besseres als wir, und das nur wegen eines Unfalles von der Geburt.“ Sie spuckte die letzten Wörter hinaus, als ob sie unangenehm schmecken würden. „Der Herrin würde es nicht gefallen, wenn sie wüsste wie eine ihrer Mägde über sie denkt. Ich glaube dass wir es ihr sagen sollten.“
„So“, sagte der Diener mit einem zustimmenden Blick auf Aschenputtels eng geschnürtes Lederkorsett. „Ich bin mit ihrer Arbeit zufrieden. Und solange sie ihre Arbeit weiterhin so gut macht, will ich nichts mehr darüber hören.“
„Ich denke aber nicht...“
„Willst du mir widersprechen?“
Liese versank in einem mürrischen Schweigen.
„Dann ist das jetzt geklärt.“

Da klingelte die Glocke der Herrin und alle oben beschäftigten Diener und Zofen hatten zu tun.

Karin erhob sich und legte ihre Hand auf Aschenputtels Schulter. Sie drückte freundlich zu und flüsterte: „Mache dir nichts daraus. Lass sie einfach reden. Du siehst wunderbar aus. Viel besser als die beiden fetten Kühe dort oben.“
Dann ging Karin nach oben.

Liese blieb länger als nötig stehen und sagte: „Ich denke immer noch, dass du nicht das Recht hast ein Korsett zu tragen.“
„Und ich glaube, dass es dich nichts angeht“, sagte Aschenputtel. „Du hast ja gehört, was der Diener gesagt hat.“
„Wer ist hier zuständig? Er oder die Herrin?“
Das war ein guter Einwand, und Aschenputtel wusste nicht wie man ihn widerlegen sollte. Liese sagte: „Ich werde ihr sagen, was du so treibst. Sie wird entsetzt sein. Sie wird dir dein Korsett wegnehmen.“
Aschenputtel wirbelte herum. „Das wirst du nicht!“
„Das werde ich. Aber sicher! Noch bin ich für Vorschläge offen...“ Sie schaute nach unten auf Aschenputtels rechtes Handgelenk.
„Was?“
„Das ist hübsch, nicht wahr?“
Aschenputtel nahm das Armband ab. „Es ist das einzige Teil, was ich von meinem Vater habe. Echt Silber. Man sieht nicht sehr oft so ein Armband, dass so breit ist wie dieses, fast fünf Zentimeter. Viel Platz für eine Gravur. Natürlich keine Juwelen, aber eine Gravur sagt viel mehr aus. Was denkst du?“
„Gib es mir“, sagte Liese und griff danach. „Dann werde ich nichts von deinem Korsett zu der Herrin sagen.“
Aschenputtel schnappte sich das Armband und drückte es an ihre Brust. „Das wirst du niemals von mir bekommen!“, rief sie.
„Oh doch. Schau nur. Es hat hinten einen Schlitz. Es sitzt nicht sehr fest. Ich könnte es tragen.“
„Wirst du nicht!“
„Wie du willst“, sagte Liese. „Dann eben die andere Alternative. Ich werde mit der Herrin über dich reden müssen, und sie wird dir dein Korsett wegnehmen.“
„Das kannst du nicht!“
„Ich kann. Halte mich jetzt bitte nicht mehr auf. Ich bin schon spät dran und du weißt welche Laune dann die Herrin hat.“ Liese ging mit einem bösen Lächeln die Treppe hinauf.

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Sechs

Aschenputtel spülte die Steingut- Schalen und Teller sauber. Das waren nicht die schönen Porzellanteller, welche der Herr oder die Herrin benutzten. Jede andere Magd hätte sich darüber keinen Gedanken gemacht, da es Wichtigeres gab als chinesisches Porzellan.

Da hörte sie, wie jemand die Treppe hinunter gelaufen kam. Aschenputtel schaute hoch. Es war Karin, die Zofe der jungen Ladies. Sie rief fast atemlos: „Du musst sofort damit aufhören und nach oben kommen. Sie will mit dir reden.“
Es bedurfte keiner Frage wer mit ‚Sie’ gemeint war. Aschenputtel wusste, dass es keinen wichtigen Grund gab zu protestierte oder langsam zu sein. Sie trocknete sich die Hände ab und folgte Karin nach Oben.

Aschenputtel war schon jahrelang nicht mehr in jenem Teil des Hauses gewesen, aber sie kannte sich immer noch darin aus. Schließlich war sie dort aufgewachsen. Sie wusste sofort, dass Karin sie zu dem privaten Salon brachte, einem guten Platz für ein kleines Gespräch. Ihr Herz hämmerte wie wild, doch sie zwang sich ruhig zu bleiben. Sie wollte nicht wie ihre Stiefschwestern ohnmächtig werden, nicht an diesem Ort. Das würde ihr niemals verziehen werden.

Karin erreichte die Tür des Salons. Sie schaute Aschenputtel mit einem ängstlichen Blick an. Dann klopfte sie an der Tür. Sie hatte zu leise geklopft und wiederholte es. Eine schreckliche Stimme rief: „Wer ist da?“
„Karin, Madame. Ich habe sie her gebracht.“
„Führe sie herein und lass uns alleine“, befahl die Stimme.
Karin öffnete sie Tür und gab ein Zeichen, damit Aschenputtel eintreten sollte. Aschenputtel holte tief Luft, so gut es eben das eng geschnürte Korsett zuließ, und trat ein. Kaum hatte sie die Schwelle übertreten, schlug hinter ihr die Tür zu, und sie hörte Karin fortlaufen.

In dem Salon stand ein schwerer Stuhl mit dem Rücken zum Fenster, also der Tür genau gegenüber. Er sah aus wie der Thron einer Königin, oder der Stuhl eines Richters. Die Stiefschwestern standen links und rechts davon. Beide trugen absurd komplizierte mit Schleifen, Bändern und Spitze versehene Kleider, aber ihre Taillen sahen unangenehm dick aus. Der Stoff lag so eng an, dass die Nähte drohten jeden Moment zu zerreißen. Aus den niedrigen Dekolletés drückten sich große und unförmige Brüste heraus, welche bei jedem der anstrengenden Bemühungen Luft zu holen auf und nieder gingen. Für sich gesehen hatte Aschenputtel bereits gegenüber den Stiefschwestern gewonnen, aber das durfte sie natürlich nicht sagen.

Die Gräfin und Mutter zwischen den beiden war weit mehr beeindruckend. Ihr Kleid war ebenfalls sehr kunstvoll, aber die Dekoration wurde viel vorsichtiger angewandt. Sie musste ja auch nicht ihre Taille verstecken. Ihr Gesicht war schön, wenn auch etwas streng, und dick aufgetragenes Make-up vertuschte eventuelle Gesichtsfalten. Ihr Kleid lag zwar ebenfalls sehr eng an, sah aber nicht so schmerzhaft gezwungen aus, wie die Kleider ihrer Töchter. Und, obwohl ihre Taille sehr schlank war, schien sie sich in dem Korsett wohl zu fühlen, wie jemand der es gewohnt war ständig ein Korsett zu tragen. Sie war zweifellos zuständig gewesen für ihre Kleidungsstücke, und konnte es sich ja auch leisten.

„Jemand von meinem Personal sagte mir dass du ein Korsetttraining machst“, sagte sie ohne Einleitung. „Wagst du es zu leugnen?“
„Nein, Madame“, sagte Aschenputtel.
„Knickse, wenn du mir antwortest!“
„Ja, Madame“, sagte Aschenputtel und machte einen Knicks.
„Hmm. Warum trägst du ein Korsett?“
„Weil es hübsch ist, Madame, und ich es mag“, sagte Aschenputtel und vergaß nicht den Knicks zu machen.
„Das ist nicht der Ort, wo du dich schnüren kannst, Mädchen. Lege das Korsett ab, das ist nicht erlaubt.“
Stille, aber auch Bewegungslosigkeit.
„Und? Worauf wartest du?“
„Bitte, Madame, ich möchte nicht mein Korsett ablegen.“
„Sei nicht unverschämt und tu was ich dir sage!“
„Mit allem Respekt, Madame, warum darf ich es nicht tragen?“
„Weil ich es dir verbiete!“
„Mein Korsett mag eng sein, Madame“, sagte Aschenputtel beharrlich, „aber es behindert mich nicht bei der täglichen Arbeit. Das ist eine böse Lüge, Madame, von einer Zofe, die mich nicht leiden kann.“
„Zum letzten Mal“, sagte die Gräfin drohend, „entferne das Korsett!“
„Nein, Madame“, sagte Aschenputtel und machte einen Knicks. Sie war über ihre eigene Dreistigkeit überrascht. Dann fügte sie sogar hinzu: „Das mache ich nicht.“
Die beiden Töchter schauten sich mit weit aufgerissenen Augen an, sagten aber nichts.
„So, so“, sagte die Gräfin und presste die Lippen zusammen. Sie erhob sich mit der gleichen steifen Haltung, welche Aschenputtel hatte. Das konnte nur eine Frau machen, welche in einem Korsett eingeschnürt war, denn es gab keine andere Art der Bewegung. Sie ging zu dem Glockenzug hinüber und zerrte wild daran. Dabei starrte sie Aschenputtel verärgert an, als ob sie mit ihrem Blick das Mädchen töten wollte. Aschenputtel hielt ihre Augen niedergeschlagen, wie es die Etikette gegenüber einer höher gestellten Person erforderten. Sie hielt ihre Hände an den Seiten und dachte nicht daran die Korsettschnur zu lösen. Sie hätte sich eher die Finger abgehackt, als dass sie nachgeben würde.

Es klopfte an der Tür. „Sie haben geklingelt, Madame?“, sagte eine männliche Stimme.
„Ja, komm herein, aber schnell!“
Die Tür öffnete sich und ein Lakai, den Aschenputtel ein wenig kannte, kam herein. Die beiden tauschten einen schnellen Blick aus. Sein Blick besagte: ‚Was will die von mir?’. Und Aschenputtels Blick besagte: ‚Keine Ahnung, aber sie ist rachsüchtig.’
Der Lakai verbeugte sich und erwartete eine Anordnung. Er fragte: „Was kann ich für sie tun, Madame?“
„Halte sie fest“, befahl die Gräfin.
Aschenputtel und der Lakai schauten sich an. Diesmal besagte ihr Blick: ‚Das darfst du mir nicht antun!’ Und sein Blick besagte: ‚Entschuldige, aber ich muss tun was sie sagt.’
Er stellte sich vor Aschenputtel hin und hielt sie fest, als ob er mit ihr tanzen wollte. Nicht gerade eine Erfahrung die beide gewollt haben, aber Aschenputtel war zu sehr über das besorgt, was neben ihr geschah.
Sie hörte, wie die Gräfin sich bewegte. Schritte trippelten, Röcke rauschten, eine Tür wurde geöffnet, die Schritte wurden leiser, in einer Kiste klapperte es, dann näherten sich schnelle Schritte und der Rock rauschte lauter, eine Dame kam immer näher. Aschenputtel zitterte ein bisschen und versuchte sich nicht zu fürchten. Die Gräfin stellte sich hinter Aschenputtel hin. Aschenputtel glaubte eine Hand im Nacken zu fühlen. Und plötzlich erklang eine Serie von knallenden Geräuschen. Die Gräfin hatte mit dem scharfen Brieföffner die Korsettschnur von oben bis unten zerschnitten.

Den Stiefschwestern hätte es nichts ausgemacht, denn sie wurden sehr oft ohnmächtig und dann musste die Korsettschnur schnell zerschnitten werden.
Aschenputtel trug schon lange Zeit ein Korsett und wurde beim Schnüren niemals ohnmächtig. Darauf war sie sehr stolz.
Doch nun war alles anders. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Als der starke Druck des Korsetts mit einem Schlag von ihrem Körper abließ, jagte eine äußerst schmerzhafte Welle durch den Körper. Aschenputtel schrie auf. Der Lakai hatte jene Reaktion nicht erwartet und ließ Aschenputtel vor Schreck los. Das Mädchen schwankte kurz. Dann fiel sie um.

„Steh auf“, befahl die Gräfin.
„Ich weiß nicht ob ich das kann, Madame“, sagte Aschenputtel mit einer schmerzverzerrten Stimme.
„Das will ich nicht hören! Mache hier nicht so eine Szene, und das vor meinen Töchtern! Stell dich nicht so an, nur weil ich dieses scheußliche Korsett geöffnet habe darfst du...“

Die Tür wurde geöffnet. „Was soll der Schrei bedeuten, den ich bis draußen gehört habe?“, sagte eine Stimme, die Aschenputtel sehr gut kannte. Sie wusste aber auch, dass sie nicht ‚Papa’ rufen durfte, denn dann wäre es ihr noch schlechter ergangen.

„Das war diese kleine Göre“, sagte die Stiefmutter. „Ich habe sie beim Tagen eines Korsetts erwischt. Und als sie sich weigerte es abzulegen, habe ich es aufgeschnitten. Dann hat sie wie ein Schwein geschrien.“
Aschenputtel vergaß den niedergeschlagenen Blick einer gehorsamen Dienerin und schaute mit einem flehenden Blick nach oben. Ihr Vater schaute kurz nach unten und zuckte zusammen. Dann schaute er seine Ehefrau an und sagte: „Das geht wirklich zu weit! Ihre Mutter war eine großartige Korsettträgerin. Und das liegt auch ihr im Blut. Sie darf weiterhin ein Korsett tragen.“
„Ich habe ihr gesagt, dass es nicht richtig ist, wenn eine einfache Magd sich derart eng schnürt“, protestierte die Gräfin.
„Viele unserer Zofen tragen ebenfalls ein Korsett.“
Seine Ehefrau schaute das zitternd am Boden liegende Mädchen voller Ekel an und sagte: „Ja, aber sie übertreiben nicht.“
„Meine Liebste, in diesem Land gibt es kein Gesetz, das besagt: Niemand unterhalb eines gewissen Einkommens darf sich nicht schnüren.“ Er seufzte und rieb seine Hände, als wenn er überlegte. Dann schaute er den Lakai an und sagte: „DU, wie immer du auch heißt...“
„Ich, Sir?“, fragte der Lakai.
„Ja, du. Gehe und hole die Zofe der kleinen Ladies, wie heißt sie noch mal, ja, Karin. Oh, es ist besser, wenn du Aschenputtel gleich mitnimmst. Helfe ihr auf die Beine. So ist es Recht.“

Aschenputtel wurde mühsam auf die Beine gestellt. Sie schaute ihre Stiefmutter traurig, und ihren Vater anklagend an. Er weigerte sich ihrem Blick zu entsprechen. Aschenputtel sackte zusammen und fiel beinah wieder hin, aber der Lakai hielt sie fest und führte sie aus dem Salon hinaus. Aschenputtel strauchelte erneut, und ihr Vater hielt sie am Arm fest. Die Gräfin zischte wie eine Schlange. Aschenputtel blickte zu ihrem Vater hinauf, aber er vermied es ihr in die Augen zu blicken. Er blickte stattdessen auf das Silberarmband, und ließ seine Finger darüber fahren. Dann seufzte er und sagte: „Und wenn du Karin findest, soll sie für Aschenputtel eine neue Korsettschnur besorgen.“
„Ja, Sir“, sagte der Lakai, und sie gingen hinaus.

Als sie draußen waren, sagte Aschenputtel weinend: „Niemand würde mir glauben wie er seine eigene Tochter behandelt!“
„Jetzt komm schon, fange nicht an zu weinen. Dir ist ja nichts passiert. Er hat es ganz gut gemacht. Wenn ich daran denke was sie gemacht hätte... Sie hätte dich bestimmt auf den Misthaufen geschmissen, wenn sie gekonnt hätte. Jedenfalls bekommst du eine neue Korsettschnur. Das ist doch auch schon was.“
Dieser Einwand weckte das Interesse von Aschenputtel, sodass sie das Weinen vergaß. Alles was mit einem Korsett zu tun hatte, war stets eine gute Möglichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie fragte: „Wie meinst du das?“
Der Lakai lachte. „Karin hat mir davon erzählt. Du hast doch die beiden furchtbaren Mädchen gesehen, oder? Sie müssen die stärksten Korsettschnüre des Königreichs haben, damit sie in Form bleiben können. Wenn du diese Schnur bekommst, kannst du dich noch enger schnüren. Komm’, lasst uns Karin suchen.“

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Sieben

Aschenputtel beeilte sich die Treppen hinauf zu gehen. Eimer und Wischmob in einer Hand, die langen Röcke in der anderen, ging sie keuchend nach oben. Das eng geschnürte Lederkorsett nahm ihr den Atem. Als sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte sie sich keine Gedanken über die Marmorfußböden unter den Teppichen gemacht. Doch nun, als Magd, musste sie sich darum kümmern, denn sie musste die Fußböden sauber halten. Es war eine öde und anstrengende Aufgabe, besonders da sie eng geschnürt war und ständig gebeugt arbeiten musste. Sie konnte sich nicht so leicht bewegen und musste aufpassen dass die Korsettstäbe nicht brachen. Aschenputtel wusste, dass ihr so einige von dem Küchenpersonal übel nahmen streng geschnürt zu sein. Sie nannten es ‚Nachäffen’, und wollten es ihr unbedingt zeigen dass man nicht mit einem Korsett arbeiten konnte. So musste Aschenputtel die schwersten und schlechtesten Arbeiten ausführen.
Aschenputtel wusste aber auch, dass ihre Stiefmutter hinter dieser schlechten Behandlung stand.

Sie betrat das ‚Goldene Zimmer’ und seufzte. Jemand hatte Schokoladencreme auf den Teppich fallen lassen und breit getreten. Immerhin war es nicht ihre Schokolade, und sie war nicht für die Teppichreinigung eingeteilt. Jemand anderes müsste sich damit befassen.
Aschenputtel hielt ihren Oberkörper gerade, damit nicht die Korsettstäbe brechen würden, und begann die Möbel zu reinigen.
Die Tür zum nächsten Raum war halb geöffnet. Da sie aber mit ihrer Arbeit zu sehr beschäftigt war, bekam sie zunächst nicht mit, dass jemand in dem anderen Raum war. Doch dann hörte sie die Geräusche und begann in der Nähe der Tür zu arbeiten.
In dem anderen Raum befand sich der Rest ihrer Familie. Eine Familie, die nicht mehr die ihre war, weil Dreiviertel davon sie nicht haben wollte. Ihr Vater saß am Kopfende des Esstischs und hielt ein großes Blatt aus dickem sahnigem Papier in der Hand und runzelte die Stirn. Die Stiefmutter trug ihr übliches Kleid. Es war aufwändig und eng geschnürt. Sie stand hinter ihm und starrte mit einem verzückten Blick auf das Papier. Sie hatte jenen Blick aufgesetzt, den die meisten Mütter machten, wenn sie ein süßes Baby sahen. Die Stiefschwestern saßen an den Seiten des Tisches und waren offensichtlich unruhig. Sie trauten sich aber nicht ihre Eltern zu stören.
„Stellt euch vor“, girrte Gräfin Eisenmieder, „euer erster richtiger Ball, Lieblinge! Ihr werdet die feinsten Kleider und engsten Korsetts des ganzen Königreichs tragen!“
„Mama, müssen wir Korsetts tragen?“, fragte Gudrun verlegen. Sie trug eines ihrer üblichen formlosen Kleider. Ihre Schwester ebenso, und es war offensichtlich dass es darunter nichts weiteres als Unterwäsche und viel Fett gab.
„Liebling, Schätzchen, ich befürchte dass du es musst. Wenn du wirklich möchtest dass der Prinz sich in dich verliebt, dann musst du schön sein. Und es gibt nichts, was eine Dame tun kann um sich schön zu machen, als ein wirklich eng geschnürtes Korsett.“
„Er wird es sehr schätzen, da bin ich mir sicher“, sagte Aschenputtels Vater. „Ich war schon lange nicht mehr auf dem Amt und hatte befürchtet sie hätten mich vergessen. Aber hier ist sie: Eine Einladung für mich, meine Ehefrau und Kinder.“
Aschenputtel keuchte an der Tür, und ihr Herz drohte das Korsett zu sprengen. Ihr Vater, seine Ehefrau und Kinder. Er hatte doch nur ein Kind!
„Überaus nett, der König“, sagte die Gräfin und legte ihre Hände auf die Schultern ihres Ehemannes. Dabei rauschte der Rock und das Korsett knarrte. Sie neigte sich nach vorne und gab ihrem Ehemann einen Kuss auf den Hinterkopf. „Neue Kleider für mich und für die Mädchen, und wir werden alle vier zusammen dort erscheinen.“
Ein Schatten des Zweifels war auf dem Gesicht von Aschenputtels Vater zu sehen. Sie wusste, was er dachte. Ihr Herz schlug immer heftiger, und sie bekam kaum noch Luft.
„Alles Vier“, sagte er. „Meinst du nicht...“
„Wer sollte denn sonst noch mit uns gehen?“, sagte die Gräfin mit strenger Stimme.
Aschenputtels Vater seufzte. „Niemand, denke ich.“
Aschenputtel wurde ohnmächtig.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie in der Tür zum Esszimmer in einer Lache aus Seifenwasser. Sie hatte beim Umfallen den Eimer umgekippt. Niemand hatte ihr Riechsalz unter die Nase gehalten oder das Korsett gelockert.
Als sie langsam wieder richtig sehen konnte, sah sie die Füße ihrer Stiefmutter. Das Gesicht sah verärgert aus. Sie sagte nur: „Also wirklich!“
Irmas Stimme erklang: „Mama, schau dir das an! Was sollen wir mit einem Dienstmädchen, das während der Arbeit ohnmächtig wird?“
„Ich werde ihren Lohn kürzen.“
Gudrun unterbrach: „Aber du zahlst ihr doch nichts, Mama!“
„Sei ruhig, mein Kind!“
Die Gräfin ging fort und zog an dem Glockenband.
Ein Diener kam sofort vorbei. Er musste wohl vor der Tür gestanden haben. Aschenputtel hörte wie ihre Stiefmutter befahl: „Schaff das da raus, aber schnell!“
Der Diener half Aschenputtel aufzustehen. Sie fühlte sich noch zu schwach, um zu stehen. „Nur Mut“, flüsterte er in ihr Ohr. Als er sie aus dem Raum hinaus führte, sah sie ihren Vater und flehte ‚Papa?’, aber er blickte woanders hin. Eine Träne lief über ihre Wange. Und als sie sich noch einmal umschaute, war sie sich sicher, dass auch über seine Wange eine Träne hinunter lief. Aschenputtel musste sich damit zufrieden geben.

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Acht

Den ganzen Tag, bis in den Abend hinein, befand sich das ganze Haus in einem Zustand von festlichem Chaos. Sogar Aschenputtels Vater hatte einen Herrenfriseur und zwei ihm helfende Kammerdiener, die ihm beim Anziehen halfen. Und die Gräfin und ihre zwei Töchter hatten so viele helfende Mägde und Zofen, dass man eine Kirche mit ihnen hätte füllen können.
Das Personal wechselte sich ständig ab, und so saßen und standen ständig mehrere Zofen in der Küche und unterhielten sich über die Schönheit der Edelsteine, welche die Gräfin trug, den Juwelen, die sie ihren Töchtern ausgeliehen hatte, über die Pracht ihrer Kleider, und über die Mühen, welche Gudrun und Irma mit ihren Korsetts hatten. Es mussten unendlich viele Tricks angewandt werden, und sogar ein erfahrener ‚Korsett- Schnürer’ geholt werden, damit die Korsetts geschlossen werden konnten. Sie hatten versucht die Taillenmaße der Töchter bis auf 60 Zentimeter zu reduzieren, ohne dass sie ohnmächtig wurden, oder gar die Korsettschnüre rissen.

‚Das ist mehr als Ungerecht’, dachte Aschenputtel und wurde so wütend, dass sie nicht einmal weinen konnte. Ihr Taillenumfang war inzwischen sogar ohne Korsett bei 50 Zentimeter angelangt. Sie konnte ihre Taille leicht bis auf 40 Zentimeter schnüren und lief so die meiste Zeit herum. Mit einem guten Korsett würde es vielleicht sogar noch enger gehen. Das hieß nicht das der Schuster in all den Jahren sein Bestes gegeben und wunderschöne Lederkorsetts angefertigt hatte. Aber es war nicht dasselbe. Mit einem wirklich guten Korsett, da war sich Aschenputtel sicher, könnte sie ein Taillenmaß von 38 Zentimeter erreichen. Die Gräfin war auf ihre 45- Zentimeter- Taille stolz. Aschenputtel könnte sie leicht schlagen. Das Dumme an ihrem ganzen Taillentraining war, dass es in ihrem grauen und verschmutzten Rock und dem rauem Lederkorsett nicht auffiel.

Da die anderen Mägde, Zofen und Diener Aschenputtels Herkunft und Lebensumstände kannten, achteten sie darauf, dass das Mädchen nicht an den Vorbereitungen für den Ball beteiligt war. Sie schickten sie in den Weinkeller, wo sie vielen staubigen Flaschen anhand der Etikette aussortieren sollte. Sie sollte jene Weinflaschen aussortieren, welche nicht mehr lagerfähig waren und ausgetrunken werden mussten. So war sie die ganze Zeit allein. Niemand kam zu ihr nach unten. Es war eine langweilige und dreckige Arbeit. Aber so bemerkte sie nichts von dem, was oben alles geschah. Sie lauschte hin und wieder an der Treppe und hegte die Hoffnung dass ihr Vater es übers Herz brächte bei ihr zu erscheinen, um sie zu dem Ball mitzunehmen. Dann könnte er ja zeigen dass nicht all seine Töchter zu dick für ein Ballkleid wären. Aschenputtel wusste, dass es irrational war, aber sie konnte nicht anders.
Irgendwann wurde es ganz ruhig. Es waren keine Schritte mehr in der Küche zu hören. Aschenputtel ging langsam die Kellertreppe hinauf. Die Küche war leer. Das Feuer erloschen, die Töpfe und Teller abgewaschen. Alle waren fortgegangen. Die Diener hatten frei, weil die Familie zum Ball gefahren war und erst in vielen Stunden wieder zurückkehren würde. Die Familie war fortgegangen. Ohne Aschenputtel.

Aschenputtel setzte sich auf einem Hocker hin, legte ihr Gesicht in die Hände, und fing an zu weinen.

Eine piepsige Stimme sagte: „Wer weint denn da?“
„Ich bin’s, Aschenputtel.“
„Schau mich an, Kleines“, sagte die piepsige Stimme.
Aschenputtel schaute sich um, konnte aber niemand sehen. „Wo bist du?“
„Hier, auf dem Tisch!“
Aschenputtel schaute dort hin. Auf den Tisch stand eine sehr kleine Person, ungefähr 10 Zentimeter groß, mit Flügeln.
„Wer bist du?“
„Ich, mein liebes Kind, bin deine Patentante!“
„Meine Patentante war die Ehefrau des alten Schusters.“
„So etwas Ähnliches. Ich war eine Zeitlang mit ihm verheiratet, sodass ich zum richtigen Zeitpunkt da war um dich zu beschützen, als du klein warst. Danach wurde ich weggerufen, aber jetzt bin ich wieder zurück um dir zu helfen, wenn du in Schwierigkeiten steckst.“
Es gab so Vieles, was sie tun konnte um Aschenputtel zu helfen, aber das Mädchen dachte nicht daran. Sie fragte irritiert: „Warst du wirklich mit ihm verheiratet?“
„Also, ich war natürlich nicht so klein wie jetzt. Eine Fee zu sein hat auch seine Nachteile. Ich musste immer wieder einen Zauberspruch sagen, um die menschliche Größe zu erlangen. Es war eine große Erleichterung, als ich das nicht mehr machen musste. Das kann ich dir sagen! Ich bin auch Edel, die ehemalige Zofe deine Mutter. So konnte ich nach dir schauen und dein Korsett richtig schnüren.“
Das klang so verrückt, dass Aschenputtel aufhörte zu weinen. „Wenn du Edel, die Zofe meiner Mutter warst, wie konntest du dann auch die Ehefrau des Schusters sein? Dann hättest du ja an zwei Orten gleichzeitig sein müssen!“
„Nur eine Fee kann das verstehen“, sagte die Fee geheimnisvoll klingend. „Aber das ist jetzt nicht wichtig. Warum weinst du?“
Aschenputtel erklärte alles. Es dauerte seine Zeit, und die Fee nickte weise, während das Mädchen sprach. Am Ende sagte sie: „Das ist eine sehr traurige Erzählung, aber ich glaube, dass ich dir helfen kann. Du benötigst eine Kutsche mit Pferden, einen Diener und natürlich ein Kleid.“
Aschenputtel lachte bitter. „Die Kutsche ist mit meiner Familie zum Palast gefahren. Der oberste Diener ist bei ihnen, und das ist das einzige Kleid, was ich habe.“
„Dann werden wir improvisieren müssen. Glücklicherweise bin ich gut in dieser Art von Dingen. Ist das eine Katze dort drüben?“
„Ja, ein Kater, aber ich denke dass es für dich nicht gut ist, wenn du ihm zu Nahe kommst.“
„Ich brauche mich nicht zu nähern.“ Sie schwang ihren Stab, und plötzlich stand ein großer und erstaunlicherweise schöner Diener in einem schönen Anzug, wo vorher der Kater gewesen war. Er schaute Aschenputtel erwartungsvoll an, lächelte, und verbeugte sich. Aschenputtels Herz begann in ihrem engen Lederkorsett heftig zu schlagen.
„Das ist sehr beeindruckend“, sagte sie und versuchte ruhig zu klingen.
„Das, meine Liebe, war erst der Anfang. Wir brauchen Pferde. Ist das dort hinten eine Maus?“
„Ja, deswegen haben wir ja den Kater. Er hat wohl eine gefangen. Ich glaube nicht dass die Maus wirklich tot ist.“
Die Fee nickte und schwang wieder ihren Stab. Ein schöner weißer Hengst, allerdings ohne Beine, erschien in der Küche. Die Fee schnalzte voller Abscheu mit ihrer Zunge, und das Pferd verwandelte sich wieder in eine Maus. „Du hättest mich darauf hinweisen können“, sagte sie vorwurfsvoll.
„Das tut mir Leid“, sagte Aschenputtel. „Der Kater beißt den Mäusen immer die Beine ab. Und so hätte das Pferd niemals eine Kutsche ziehen können.“
„Gut, wir brauchen irgendetwas mit vier Beinen. Oder sechs Beine. Einfach viele Beine, Hauptsache es sind mindestens vier. Gibt es in dieser Küche Kellerasseln?“
„Ja, Unmengen. Soll ich dir eine fangen?“
„Das ist eine gute Idee, mein Mädchen.“
Aschenputtel ging zur Feuerstelle und hob ein Holzscheit nach dem anderen hoch. Als sie ein Holzscheit voller Asseln gefunden hatte, nahm sie das mit jenen widerlichen Geschöpfen befallene Holzstück und legte es auf den Tisch. Die Fee sah es voller Widerwillen an und wich zurück. Dann sagte sie: „Ja, ja, meine Liebe, aber das ist nicht der richtige Ort. Suche jetzt einen Kürbis und lege das Ding samt Holzscheit draußen vor der Hintertür hin.“
Aschenputtel tat wie ihr gesagt wurde. Sie suchte jenes seltsame Sortiment zusammen und legte es draußen in der frischen Nachtluft ab. Als sie sich umdrehte, sah sie dass die Fee hinter ihr hergeflogen war und sich alles anschaute. Dann sagte sie: „Und jetzt, pass gut auf.“ Sie schwang ihren Stab, und der Kürbis verwandelte sich in eine wunderschöne goldene Kutsche. Das Pferdegeschirr lag davor auf dem Boden. Der ‚Katzen- Diener’ ging zur Kutsche und setzte sich auf den Kutschbock. Die Fee schwang erneut ihren Stab, und das Holzscheit explodierte. Es erschienen acht schöne glänzende Schimmel. Jedes der acht Pferde passte genau in eines der Geschirre. Sie standen vor der Kutsche und stampften mit den Hufen, als ob sie auf jemanden warteten, der ihnen sagte wohin sie laufen sollten.
„Das hätten wir“, sagte die Fee voller Stolz. „Das ist dein Transportmittel.“
„Aber ich kann doch nicht so gekleidet zum Ball gehen!“
„Doch, du kannst. Ich komme darauf zurück. Darf ich dir übrigens zu deiner gut ausgebildeten Figur gratulieren? Ich weiß nicht, ob du jemals deine zwei Stiefschwestern gesehen hast, aber sie sind so fett wie Schweine. Kein jemals gemachtes Korsett wird sie schön aussehen lassen. Du dagegen hast dich richtig ernährt und stets streng geschnürt. Und nun bekommst du dafür die Belohnung. Schnüre jetzt dein Korsett auf.“
„Warum?“
„Kindchen, Ich kann eine gewisse Menge mit meiner Magie tun, aber ein Korsett muss stark sein. Wenn ich versuche, dich ausschließlich mit Magie zusammenzuhalten, wirst du ein furchtbares Schicksal erleiden. Ich kann ein Ding in ein anderes verwandeln. Und obwohl mein Ex- Ehemann sich viel Mühe gegeben hat, ist er noch lange nicht ein Korsetthersteller. Ich denke nicht, dass es das richtige für einen Ball ist. Nimm es ab und lege dein Armband auf den Boden.“
Aschenputtel gehorchte. Sie schnürte das Korsett auf und zog es herunter. „Willst du mir ein anderes Korsett machen? Ich möchte, dass du dich beeilst, denn ich kann ohne Korsett nicht lange stehen.“
„Ich werde mich beeilen. Lege jetzt dein Armband auf den Boden. So ist es gut. Tom!“
Der Diener sprang geschmeidig wie ein Kater vom Kutschbock herunter und kam näher. „Jetzt bleibe dort kurz stehen“, sagte die Fee. „Genau so. Und los!“ Sie schwang ihren Stab und deutete auf das Armband. Zu Aschenputtels totalem Erstaunen begann es zu wachsen, sich zu drehen und veränderte die Form. Aber es geschah noch mehr. Es wuchsen am oberen und unteren Ende zarte Spitze daraus heraus. Als es 30 Zentimeter hoch war, erschienen zarte Stickereien. Es war schön, hell glänzend, wie poliert, ein kleines Kunstwerk, fast wie ein Brustpanzer der Kavallerie. Aber es veränderte sich noch mehr und sah aus wie ein...

...Korsett?

Die Fee sah Aschenputtel ungläubigen Blick und lachte. Dann sagte sie: „Ja, das ist dein Korsett für heute Nacht. Das ist kein normales Silber. Ich habe es verzaubert, um es so flexibel zu machen, wie ein normales Korsett. Ich habe natürlich auch Schnürösen an der Rückenöffnung angebracht. Hast du eine Korsettschnur dabei?“
Aschenputtel suchte in der Tasche ihres Rocks. „Ja“, sagte sie. „Ich habe immer eine Ersatzschnur dabei. Man weiß ja nie ob die Korsettschnur hält, wenn man ein Korsett so eng schnürt wie ich es mache.“
„Vernünftiges Mädchen. Und jetzt lege das Korsett an. So ist es Recht. Und nun gehe zur Kutsche und halte dich dort fest. Tom wird dir behilflich sein.“
Der ‚Kater- Diener’ ging zu Aschenputtel, welche sich an der Kutsche festhielt. Sie spürte seine Hände auf ihrem Rücken. Das Silberkorsett lag bereits im geöffneten Zustand sehr eng an. Aber es war schön. Das Korsett fühlte sich an, als ob es für ihren Körper geformt worden war. Der Diener begann die Korsettschnur durch die unzähligen Ösen zu ziehen. Aschenputtel zitterte vor Aufregung. Man hatte sie das ganze Leben unterschätzt. Nun hatte sie ihre Chance, wenigstens eine Gelegenheit die Leute zu beeindrucken und die Anerkennung zu bekommen, die sie verdient hatte. Auch wenn sie sonst nichts hatte, aber dieses Korsett und ihre schmale Taille würden ihre Aufmerksamkeit bekommen! Und sie könnte zumindest ihren Vater über sich selber schämen lassen... Aschenputtel schämte sich plötzlich bei jenen Gedanken. Das war unwürdig, und sie schüttelte ihren Kopf.

Das Korsett war bald zugeschnürt. Ja, sie fühlte den vertrauten Druck des Korsetts, welches sich eng an ihrem Körper anlegte. Sie streckte und dehnte sich, damit es noch besser anlag und genoss es sehr streng geschnürt zu werden. Sie hatte das tollste Korsett des Königreichs. Wahrscheinlich das schönste Korsett, das irgendjemand jemals getragen hatte, und sie schwor sich seiner würdig zu sein.

„Soll ich aufhören, Miss?“, fragte der Diener.
Seine Stimme klang mehr wie ein sanftes Schnurren, und es sandte einen Funken von prickelndem Vergnügen durch sie hindurch. Er bewunderte sie, und die echten Männer auf dem Ball würden sie auch bewundern.
„Nein, nein“, keuchte sie. „Schnüre mich enger!“
„Wie viel enger, Miss?“, fragte der Diener, als er wieder an der Korsettschnur zog.
„Sehr viel enger!“

Der Diener mühte sich eine Zeitlang schweigend ab. Dann fragte er erneut: „Ist es jetzt eng genug, Miss?“
„Nein!“, keuchte Aschenputtel. „Enger!“
Und er zog erneut an der Schnur.

Aschenputtel fühlte sich schwindlig werden. Sie fühlte kaum noch den Teil ihres Körpers, der unterhalb der überaus streng geschnürten Taille war. Sie wusste nicht mehr, ob sie ohne fremde Hilfe gehen oder stehen könnte. Ihre Atmung glich der eines Fisches, der auf dem Trockenen lag. Sie wollte aber nicht aufgeben. Das war ihre Nacht, das war der Lohn für die Jahrelange harte Arbeit, und das Korsett musste eng sein. ‚Heute Nacht’, sagte sie zu sich selbst, ‚werde ich nicht in Ohnmacht fallen.’ „Enger“, flüsterte sie. „Enger.“
Und der Diener zog erneut an der Schnur, bis die Stimme der Fee wie aus weiter Ferne erklang und das Rauschen in Aschenputtels Ohren übertönte. „Also wirklich, Aschenputtel, du muss jetzt aufhören. Du wirst gleich in Ohnmacht fallen.“
„Ich - werde - nicht - in - Ohnmacht - fallen!“ Aschenputtel presste die Worte zwischen den kurzen Atemzügen heraus.
„Du wirst, und das weißt du. Das Korsett ist viel zu eng geschnürt.“
„Nur - zu - eng - ist - eng - genug.“
„Sei nicht albern. Tom, höre auf sie zu schnüren.“
Aschenputtel fühlte, wie aufgehört wurde ihre Taille noch schmaler zu schnüren. Sie bettelte erneut: „Enger!“
„Nein, Liebling, nicht enger“, sagte die Fee mit einer mütterlich klingenden Stimme. „Du hast bisher Erstaunliches geleistet, aber ich muss dich wirklich zur Vernunft rufen. Du wirst nicht viel vom Ball mitbekommen, wenn du ohnmächtig wirst, bevor du dort bist.“
„Ich - werde - nicht - umfallen.“
„Doch, das wirst du. Ich frage mich, warum das nicht schon längst geschehen ist. Egal, du wirst einsehen, dass du niemand mit deinem Charme beeindrucken kannst, wenn du wegen des zu eng geschnürten Korsetts nicht sprechen kannst!“
Aschenputtel überdachte jenen Einwand und erkannte dass die Fee Recht hatte. Sie nickte schweigend.
Die Fee sagte: „Tom, lockere das Korsett um einen halben Zentimeter, mehr nicht.“
Als das Korsett einen Hauch gelockert war, konnte Aschenputtel wieder halbwegs reden. Sie sagte: „Aber im richtigen Zeitpunkt ohnmächtig zu werden ist sicherlich sehr romantisch.“
„Ja, Aber zum falschen Zeitpunkt umzufallen ist ein peinliches Ärgernis. Wenn du schon nach fünf Minuten ohnmächtig wirst und hinausgetragen werden musst, wird sich jeder über dich lustig machen. Das geschieht sehr oft, denn es gibt immer irgendwelche dummer Mädchen, die sich für einen Ball viel zu eng schnüren lassen. Sei also bitte kein Narr, Aschenputtel.“
„In Ordnung.“ Aschenputtel fuhr mit ihren Händen liebevoll über der Oberfläche des schönen Silberkorsetts. Es fühlte sich so weich und sanft an. Dann befühlte sie die schönen Stickereien. „Das ist ein wunderbares Korsett“, sagte sie, „aber ich brauche doch auch noch ein Ballkleid, oder?“
„Das brauchst du wirklich. Ich bin ja so vergesslich. Bleibe bitte einen Moment still stehen.“

Aschenputtel tat wie ihr geheißen wurde. Die Fee schloss ein Auge wie ein Mann, der mit einem Gewehr auf etwas zielte. Sie hob den Stab in die Luft, und schwang ihn mit all ihrer Macht herunter.
Aschenputtel knickte fast in den Knien ein, da sich ihr Gewicht plötzlich verdoppelte.
„So!“, sagte die Fee mit großer Befriedigung. „Ich denke das war eine meiner besseren Anstrengungen.“
Aschenputtel schaute an sich herunter und war hoch erfreut. Ihr ausgefranstes altes Küchenkleid hatte sich in ein wunderschönes Ballkleid verwandelt. Es war aus indigoblauem Satin gefertigt und überall waren Monde, Sterne und Kometen aufgestickt. Dadurch wurde der Glanz des Korsetts noch stärker unterstrichen. Der großartige Stoff des Kleides wurde von einem Reifrock um fast zwei Meter zu den Seiten aufgebauscht. Die Stoffmassen wurden mit Golddurchwirkten Fäden zusammengehalten und eine kleine aufgehende Sonne war mit ebenfalls goldenen Fäden aufgestickt.
„Ich wünsche mir, dass ich einen Spiegel hätte“, sagte Aschenputtel mit einem schweren Seufzer.
„Gut, aber wir werden improvisieren müssen. Komm bitte hier her“, sagte die Fee.

Aschenputtel folgte ihr laut rauschend, bis sie vor einem großen Fenster standen. Die Vorhänge wurden wie von Geisterhand zugezogen, und Aschenputtel konnte in dem dunklen Glas ihr Spiegelbild sehen. Es war zwar dunkel, aber man konnte sogar trotz der Dunkelheit die Helligkeit des Silberkorsetts und die goldenen Stickereien erkennen. Man konnte glauben, dass die Sonne auf einem Meer aufging. Aschenputtel erkannte sogar das weiße Make-up auf ihrem zarten Gesicht, dass man bei einer gesellschaftlichen Angelegenheit wie die eines Balls trug. Aschenputtels Locken reichten bis auf ihre fast nackten Schultern. Zuerst war Aschenputtel enttäuscht, aber dann erkannte sie, dass der fehlende Schmuck ein guter Trick war. So war das Auge des Betrachters gezwungen länger als gewohnt auf ihr Gesicht zu schauen.
Es war nichts außer Acht gelassen worden, um Aschenputtel zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu machen. Sie konnte sich kein schöneres Kleid vorstellen. Jene Kleider, welche für ihre Stiefmutter und Stiefschwester gemacht worden, konnten nicht damit verglichen werden, obwohl jene Kleider so raffiniert angefertigt worden waren, damit sie die Unzulänglichkeiten der Figuren kaschierten.

„Gut?“, fragte die Fee. „Bist du zufrieden?“
„Oh, meine liebe Feen- Patentante, es ist so schön! Ich wünschte mir dass du größer wärst, damit ich dich umarmen könnte. Ich bin nicht mehr so glücklich gewesen, seit mir mein Patenonkel mein erstes Korsett geschenkt hat!“
Die Fee lächelte. „Das zeigt, dass du weißt, warum du so schön bist. Du brauchst dich nicht hinter den beiden furchtbaren Geschöpfen verstecken. Komm jetzt, wir müssen dich in die Kutsche bringen.“

Der Diener half Aschenputtel beim Einsteigen mit etwas mehr Aufmerksamkeit als ein echter Diener der Gesellschaft es getan hätte. Aber Aschenputtel war zu aufgeregt, als das sie es bemerkte. Der Diener stieg auf den Kutschbock und ließ die Kutsche losfahren. Da flatterte die Fee hoch und klopfte ans Fenster. Aschenputtel öffnete es, und die Fee flog herein und setzte sich neben ihr hin.
„Puh! Es ist ganz schön anstrengend neben einer Kutsche herzufliegen. Ich hätte das vorher erwähnen sollen, mein Schatz, aber es ist ja noch einmal gut gegangen. Aschenputtel, du musst ganz genau auf die Uhrzeit achten. Abgesehen von dem Korsett, ich musste einen ganz speziellen Zauberspruch anwenden damit es sehr stark wurde, werden alle Veränderungen um Mitternacht rückgängig gemacht. Tom wird wieder ein Kater sein, die Kutsche ein Kürbis und die Pferde werden wieder jene widerlichen Insekten sein. Natürlich wird auch dein Kleid wieder die Form und das Aussehen eines alten Lappens annehmen. Bitte, schau mich nicht so an. Bis Mitternacht auf dem Ball zu sein ist immer noch besser als gar nicht. Versuche nicht in Schwierigkeiten zu kommen. Achte stets auf die Uhrzeit. Verspreche mir das.“
„Ich verspreche es“, sagte Aschenputtel wie das pflichtbewusste Mädchen, das sie immer war.
Die Fee hauchte Aschenputtel einen Kuss auf die Nase und flog mit einem hübschen Funkenschweif aus dem Fenster hinaus. Aschenputtel sah sie niemals wieder.

Als die Kutsche über die Straße zum Palast rumpelte, dachte Aschenputtel noch einmal an die letzte Stunde. Es war magisch, es war wunderbar, aber sie glaubte dass sie dennoch betrogen worden war. Alle anderen Mädchen würden bis zur Dämmerung tanzen. Sie aber müsste gehen, wenn der Ball auf seinem Höhepunkt angelangt war. Aber dennoch war sie dankbar für diese eine Chance, und wenn sie noch so kurz war. Sie dachte sich: ‚Wenn ich den Ballsaal betrete, muss ich eine Uhr finden und sie den ganzen Abend im Auge behalten.“

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Neun

Der Prinz war unglücklich. Er hätte es aber nicht sein sollen, denn er war der junge Thronerbe. Er war schön, lebte in einem prächtigen Schloss und dem Königreich ging es gut. Er war der begehrteste Junggeselle von sieben Nationen, und er würde an diesem, seinen ersten Ball von der Creme der Schönheiten der Gesellschaft umgeben sein. Nur sehr wenige Männer bekamen und bekommen jemals solche schmeichelhafte Aufmerksamkeit.
Aber da war mehr. Aus einem bestimmten Grund heraus versuchte sein Vater ihn geschickt zu manipulieren. Der König hatte ehrgeizige Pläne, welche zusätzliche finanzielle Mittel benötigten. Es gab da einen gewissen Mann, der zum zweiten Mal geheiratet hatte. Dessen Ehefrau war eine wohlhabende Gräfin, welche zwei ledige Töchter hatte. Jede einzelne dieser Töchter würde eine schöne fette Aussteuer mitbringen, und der König könnte damit seine Pläne in die Tat umsetzen. Dass die Töchter schlecht erzogen und, milde gesagt, dumm waren, sowie obendrein ziemlich dick, interessierte den König nicht. Er wäre ja nicht derjenige, welcher mit einer von ihnen zum Traualtar gehen müsste.
Jedes Mal, wenn der Prinz eine der Töchter sah, wurde es ihm ganz schwer ums Herz, obwohl er noch nicht verheiratet war. Aus irgendeinem Grunde hatte sich aber sein Herz ganz anders entschieden. Viele Jahre zuvor war der Stiefvater jener fetten Töchter mit einer anderen Dame verheiratet gewesen. Diese Dame war vielleicht die Schönste des ganzen Landes gewesen. Sie hatte eine Tochter, mit der der Prinz gespielt hatte, als er noch klein gewesen war. Aber dann war ihre Mutter gestorben, und das Mädchen war verschwunden. Was war mit ihr passiert? Er hätte es gerne gewusst. Denn wenn sie nach ihrer Mutter gekommen wäre, dann wäre jenes Mädchen inzwischen zu einer ganz besonders hübschen jungen Frau geworden.
Die Wunschkandidatin des Prinzen sollte nicht nur außergewöhnlich Schön sein und einen guten Geschmack haben. Sie sollte auch die schönste Figur des Königreichs haben, vielleicht sogar die schönste Figur aller Königreiche. Das war ihm sehr wichtig. Der Prinz war von dem Anblick der geschnürten Hofdamen fasziniert. Jene Damen formten ihre Körper entsprechend der neuesten Mode. Jedes Detail begeisterte ihn. Da gab es das köstliche Ritual, wenn die Damen morgens geschnürt wurden. Eine Zofe oder gar ein glücklicher Ehemann oder Geliebter zog an der Korsettschnur, um das Korsett der Dame zu schnüren. Dann gab es da jene äußere Anzeichen von sehr eng geschnürten Korsetts: Der Busen wurde nach oben gedrückt und bewegte sich bei jedem der kurzen und anstrengenden Atemzüge. Oft sah der Prinz, wie die eng geschnürten Damen bei jeder noch so kleinen körperlichen Anstrengung keuchten und mit einem Fächer versuchten sich selber Luft zufächelten. Dann hörte er oft die lächelnd vorgetragene Entschuldigung: „Ich bitte um eine kurze Pause, denn ich fühle mich etwas schwach.“
Der Prinz hatte niemals bemerkt, dass einige der Palast- Damen von seinen Interessen wussten und deswegen sogar jene Probleme vortäuschten, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Natürlich gefiel dem Prinz das direkte Ergebnis: Die Korsetts waren stellenweise so eng geschnürt, dass man meinen könnte, die Dame würde in der Mitte durchbrechen. Die streng geschnürten Oberkörper waren absolut steif und unbeweglich. Man konnte wegen der eng anliegenden Kleidung fast das Korsett sehen. Die Augen des Prinzen folgten gerne der von dem steifen Korsett vorgegebenen Figur. Jene schmalen Taillen begeisterten ihn.
So hatte er sich gewissermaßen auf den Ball gefreut. Er wusste, dass ein Ball die höchste Herausforderung für jede Dame war. Sie würden alles geben, um den kleinsten Taillenumfang zu erreichen, der ihnen möglich war, bis sie im Laufe des Abends ohnmächtig werden würden.

Der Ball hatte begonnen, und der Prinz hatte viele schöne Frauen gesehen. Aber jene Edelfrau, welche vor acht Jahren verstorben war, hatte ihn geprägt. Der Prinz hatte mit vielen jungen Damen und deren Müttern getanzt, fand aber keine, die seinem Vergleich mit jener Edelfrau entsprach. Langsam bekam er Zweifel. Konnte es sein, dass er ein falsches Bild in seinem Gedächtnis hatte? Nein, da war er sich ganz sicher. Er hatte damals gesehen, wie ihr Ehemann freudig seine Finger um die Taille seiner Ehefrau gelegt hatte. Es gab aber an jenem Ball- Abend keine Dame, deren Figur dieser Erinnerung entsprach. Der Prinz war betrübt und nahm an, dass das Korsett- Training eine aussterbende Kunst sein musste. Diese Kunst wurde schon seit ewiger Zeit ausgeübt, und nun schien sie beendet zu sein. Ausgerechnet zu seiner Lebenszeit. Der Prinz wünschte sich, dass er das nicht erleben müsste.

Dann sah er etwas im Augenwinkel. Zuerst war es ein Licht, ein silbernes Aufblitzen in einiger Entfernung. Er schaute dorthin. Und dann sah er es. Es war wie ein Feuerwerk, oder ein Brennspiegel, der das Licht der Sonne in seine Augen warf. Er schaute angestrengt in jene Richtung. Jemand war gerade herein gekommen, aber... derart leuchtend? Er spähte zum Eingang, versuchte etwas zu erkennen. Plötzlich keuchte er und sein Herz hüpfte bis zum Hals hoch. Er murmelte leise: „Verzeihen sie... Entschuldigung... Tut mir Leid...“, während er sich durch die Menge kämpfte.

Und da war SIE! Ja, SIE war es wirklich! Sie hatte dunkles lockiges Haar. Es war weder zurück gekämmt, noch unter einer hohen Perücke versteckt, wie es die meisten Damen taten. Die wunderschönen Locken hingen über den Schultern. Es gab ihr den Hauch von mädchenhafter Unschuld. Der Prinz war von dem Anblick des fast unanständig niedrigen Dekolletés und dem äußerst freizügigem Busen berauscht. Sie war hübsch, mit einer seltenen Mischung aus Frische und Grazie, was ihn sofort entzückte. Sie schaute sich in den Ballsaal mit einem hinreißenden Lächeln um, als ob sie noch nie einen derartigen Ort gesehen hätte. Es gab keine vergleichbare Schönheit, welche wie diese junge Dame zum Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit werden konnte. Und nun war jene Schönheit gekommen, welche aufgeregt da stand, als wäre sie ein Geschenk des Himmels. Keine andere junge Dame ihres Alters konnte mit ihr konkurrieren.
Wäre es nach Punkten gegangen, hätte sie bereits den Wettbewerb gewonnen.
Sie war nicht nur das hübscheste Mädchen im Saal, wie es der staunende Prinz empfand, sie war auch außergewöhnlich gekleidet. Das Dekolleté wurde so tief und so breit geschnitten, dass es kaum das verlockende Geheimnis verbarg. Die Ärmel lagen eng an ihren schlanken Armen an, während sie sich oberhalb der Ellenbogen zu einem Fantasiegebilde aus Rüschen und Spitzenstoff aufbauschten. Der Rock bestand aus vielen Schichten kostbaren Stoffen, komplizierten Stickereien und war obendrein mit echten Edelsteinen besetzt. Die junge Dame kam offensichtlich aus einer wohlhabenden Familie! Das würde den Vater des Prinzen beruhigen. Allein die Kosten für den Rock waren höher, als die jährlichen Unterhaltskosten einer fürstlichen Familie. Der Rock lag auf dem breitesten Reifrock des Abends. Die junge Dame musste trotz der mächtigen Doppeltüren etwas seitlich gedreht eintreten. Und das Oberteil war einmalig! Es bestand nicht aus eng anliegendem Satin oder bestickte Seide. Es war eine Hülle aus makellosem Silber, welche die Figur wunderschön formte. Der Traum eines jeden modischen Mädchens ihres Alters, wenn es nur sein Korsett so eng schnüren könnte. Diese junge Dame hatte die Taille, welche jedes Mädchen haben wollte und nur wenige wirklich erreichten. Und das auch nur, wenn sie unter Tränen, Ohnmachtsanfällen, gerissenen Korsettschnüren, Schmerzen und allerlei anderen Unannehmlichkeiten leiden wollten.
Und nun stand sie vor ihm. Der Traum aus Fleisch und Blut, Silbern glänzend wie ein lebendiges Kunstwerk. Ihre Taille war noch schmaler als die jener edlen Dame, die er in seiner Kindheit bewundert hatte.

Der Prinz konnte nicht länger zögern. Ein junger Mann hatte sie angesprochen und die beiden plauderten bereits. Das durfte der Prinz nicht erlauben.
„Entschuldigen sie mich“, sagte der Prinz, und gab dem jungen Lord einen vernichtenden Blick. Der Untergebene schlich mit hängenden Schultern fort. Das war der letzte Eindruck, den der Prinz von dem Lord sah. Der Prinz sah überhaupt keine andere Person, nur jene junge Dame. Für den Rest des Abends war er blind gegenüber all den anwesenden Gästen, außer jener Dame, welche an seiner Seite war.

„Guten Abend, Fräulein“, sagte der Prinz und verbeugte sich.
Die junge Dame reichte ihm ihre Hand, und knickste etwas unbeholfen, als hätte sie zum ersten Mal einen Reifrock getragen.
„Guten Abend, Sir“, sagte sie mit einem süßen Lächeln. „Müssen wir auf jemanden warten, der uns einführt?“
Der Prinz schaute sich um und fragte: „Wo sind ihre Eltern?“
„Sie sind... sie sind nicht bei mir.“ Ein Schatten verdunkelte kurz ihr Gesicht. Dann fragte sie: „Und wo sind ihre Eltern?“
„Dort drüben, auf dem Podium.“ Der Prinz zeigte dort hin, ohne den Blick von der Dame abzuwenden.
Sie schaute in die angewiesene Richtung und sagte: „Dort ist niemand, außer der König und die Königin.“
„Meine Eltern sind der König und Königin.“
„Euer Hoheit!“ Und plötzlich machte sie einen weiteren Knicks.
„Bitte, erheben sie sich. Es gibt keinen Grund dies zu tun. Wenn es ihnen nichts ausmacht, werde ich sie nicht meinen Eltern vorstellen. Dann könnten wir so tun, als wären wir zwei ganz normale junge Menschen.“
Ein schlaues Lächeln schlich über ihr Gesicht. „Wenn sie mögen. So werde ich mich ebenfalls nicht vorstellen. Sie müssen mich nehmen, wie ich bin.“
„Sie sind“, sagte der Prinz voller Überzeugung, „einfach bezaubernd. Können wir jetzt weitergehen?“
Bezaubernd war die einzige und auch treffende Beschreibung für die junge Dame.

Zu viele der jungen Damen waren sowohl zynisch als auch untertänig. Sie sahen zwar genau, was da vor sich ging, waren aber zu sehr in den Intrigen des Hofes eingebunden, als dass sie es wagen konnten gegenüber dem Sohn des Königs nur höflich zu sein. Es war schwierig ein normales und angenehmes Gespräch mit jemandem zu haben, der sich scheinbar von nichts beeindrucken ließ und nur leere Phrasen von sich gab und stets vorgab derselben Meinung zu sein, aber genau das Gegenteil dachte.
Das Mädchen im Silbernen Korsett war genau das Gegenteil.
Sie erfreute sich über die einfachsten Dinge wie den großen Kronleuchtern, dem Hoforchester, dem Meer aus Juwelen, welche all die anderen Damen trugen. Ihre Augen glänzten nur so vor Freude, als ob dies der schönste Abend ihres Lebens war. Sie schien über den Skandalberichten zu stehen, welche er stets so ermüdend empfand, und sagte kein schlechtes Wort über die anwesenden Damen, nicht einmal über die Schlimmsten unter ihnen.

So tanzten sie die meiste Zeit. Der Prinz bemerkte nicht, dass die anderen Tanzpaare vorsichtig Abstand hielten, damit er und das Mädchen ungestört und unbehindert tanzen konnten. Der Prinz bemerkte auch nicht den immer finsteren Blick seines Vaters. Dem Prinzen waren die Königlichen Vermählungspläne egal. Er wollte sich nie mehr nach einer anderen Frau umsehen müssen.

Und spät am Abend, als die schöne Unbekannte keuchte und lächelnd darum bat nicht mehr zu tanzen, da sie keine Luft mehr bekam, gingen die beiden langsam zum Rand des Ballsaals.

„Sie scheinen den Ballsaal nicht zu kennen“, sagte der Prinz. „Haben sie dieses Schloss noch nie besucht?“
„Ich war schon einmal hier“, sagte die junge Dame mit einem hübschen Keuchen, welches ihr Korsett als auch des Prinzen Selbstbeherrschung bis zu den Grenzen überbeanspruchte. „Ziemlich oft sogar, als ich klein war. Es ist aber schon lange her. Ich erinnere mich aber nicht, jemals in diesem Saal gewesen zu sein.“

Sie gingen schweigend weiter.

„Sie überraschen mich“, sagte der Prinz plötzlich. „Ich hatte geglaubt all die jungen Damen der Gegend zu kennen. Sie habe ich ehrlich gesagt nicht erwartet. Wer sind sie?“
Die junge Dame schaute leicht betreten zur Seite. Der Prinz unterdrückte den Drang, sich vor ihr auf die Knie zu begeben und um Verzeihung für diese unangenehme Frage zu bitten.
„Um die Wahrheit zu sagen“, sagte sie, „bin ich genau genommen ein ‚Niemand’. Ich nehme an, dass sie denken, ich wäre wegen meines Vaters hier. Aber ich glaube nicht, dass er weiß dass ich überhaupt auf dem Ball bin.“
Der Prinz überlegte fieberhaft. Sie müsste die außereheliche Tochter eines untreuen Edelmanns sein. Seinem Vater würde das gar nicht gefallen. Aber vielleicht könnte er ihn doch noch überzeugen. Wer auch immer sie war, sie musste phänomenal reich sein, denn allein das Korsett aus Feinsilber kostete ein Vermögen! Ja, er könnte wahrscheinlich mit dem König darüber reden...

„Sagen sie mir“, sagte er, „ist ihnen jemals der Hof gemacht worden?“
„Nicht wirklich.“
„Nicht?“
„Gut, es gab einige junge Männer, die mir ihre Zuneigung gezeigt haben, aber es gab niemals etwas Ernstes, wenn es das ist was sie meinen.“
„Ich verstehe“, sagte der Prinz, und hielt sie für eine stolze und wohlhabende Frau. Er ahnte ja nicht, dass seine Gesprächspartnerin den Messerschleifer und die männliche Dienerschaft gemeint hatte. „Mein Vater hat zwei Frauen für mich auserwählt, und er will dass ich mir eine davon aussuche. Ich habe keine andere Wahl.“
„Das ist...“ Sie schluckte ihre Worte herunter, denn sie wollte kein böses Wort über dem König sagen. Sie überlegte. Dann fragte sie zögernd: „Und wer sind die beiden Damen?“
„Tja, mal sehen...“ Der Prinz schaute in den Ballsaal. „Dort drüben ist eine von ihnen drüben, in dem rosafarben Kleid. Und... ja, dort ist die andere, die in dem lindgrünem Kleid.“
„Oh.“ Das hübsche Lächeln war verschwunden und durch einen verdrießlichen Ausdruck ersetzt.
„Sie kennen die beiden?“
„Sehr gut. Ich möchte nicht den König kritisieren, aber ich würde anstelle des Königs niemals wollen, dass mein Sohn eine der beiden heiratet.“
Der Prinz lachte. „Wenn sie ein König wären, würden sie viele Leute überraschen, mit ihrer Figur! Nein, das ist zu kompliziert. Sie kennen also die beiden?“
„Fast wie Schwestern“, sagte die junge Dame mit einem missfallenden Unterton in der Stimme.
„Was meinen sie mit ‚fast wie Schwestern’?“
„Bitte, euer Hoheit, ich möchte nicht ihnen gegenüber schlecht über andere Leute reden. Ich bin nicht so ein Mädchen!“ Sie öffnete ihren Fächer und ging heftig fächelnd weiter.
Der Prinz beeilte sich ihr zu folgen und berührte ihre Schulter. „Bitte“, sagte er, „vergessen sie für einen Moment dass sie eine edle junge Dame sind. Was halten sie von den beiden?“
Die junge Dame gab einen seichten Seufzer von sich und schaute den Prinz tief in die Augen.
Es war ein intelligenter Blick, und er sah es gern. Die Blicke der anderen von seinem Vater ausgesuchten Damen waren so hell gewesen wie Kerzen, die Stunden zuvor ausgegangen waren.
„Gut“, sagte sie, „ich möchte nichts Bedauerliches sagen, aber sie scheinen sich noch nicht mit ihnen unterhalten zu haben?“
„Das ist Wahr, in der Tat.“
„Möchten sie wirklich, dass ich ihnen alles erzähle?“
„Ich bitte sie darum. Fahren sie bitte fort. Ich werde sie auch nicht unterbrechen.“
„Sie essen zum Beispiel sehr viel...“
„Das sieht man“, sagte der Prinz, der sein Versprechen vergessen hatte. Und als die junge Dame ihre gepflegten Augenbrauen anhob, fügte er hinzu: „Ich bitte um Verzeihung.“
„Ihnen sei vergeben, euer Hoheit, aber lassen sie mich bitte fortfahren. Die beiden Damen sind egoistisch und unfreundlich zu jenen, denen es nicht so gut geht wie ihnen. Natürlich haben sie es nicht bemerkt, da sie gesellschaftlich über ihnen stehen, aber ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen. Ich habe meine Gründe.“
„Wunderschön, geschickt und sehr schlau“, murmelte der Prinz vor sich hin.
„Entschuldigung. Hatten sie etwas gesagt?“
„Nichts. Fahren sie bitte fort.“
„Wo war ich stehen geblieben? Oh, ja. Eine andere Sache betrifft deren Mutter, welche ziemlich nachsichtig ist. So wurden die beiden Damen niemals richtig im Tragen eines Korsetts ausgebildet. Oh, ihre Kleider sind schön und liegen eng an. Es sind edle Kleider, Aber es war für die beiden eine Tortur nur um eine Taille von 60 Zentimeter zu bekommen. Denken sie stets an meine Worte. Irgendwann an diesem Abend werden die beiden ohnmächtig, oder deren Korsettschnur zerreißt. Möglicherweise beides.“
Der Prinz starrte auf die stabile Figur in dem lindgrünem Kleid, welche ziemlich ungeschickt die Tanzfläche durchquerte. Es war plötzlich offensichtlich: Diese Frau hatte keine Eleganz, keine Grazie. Sie konnte sich kaum bewegen. Man sah dass sie für ihre Figur viel zu eng geschnürt worden war. Ihre Figur war nicht der Rede wert, und die ihrer Schwester ebenfalls.
„Sie haben ja so Recht“, stöhnte er. „Sie haben ja so Recht.“
Die junge Dame an seiner Seite fühlte sich unbehaglich und sagte: „Euer Hoheit, sie dürfen sich nicht von mir beeinflussen lassen. Ich bin sicher, dass euer Vater weiß, was er tut. Und schließlich ist sein Wille Gesetz. Ein Sohn oder eine Tochter müssen stets dem Vater gehorchen, sogar wenn... ja sogar wenn es ungerecht erscheint.“
„Oh nein“, sagte der Prinz mit fester Stimme. Er nahm ihre in edlen Handschuhen steckenden Hände. Seine Augen glänzen. „Ich weiß, was ich will. Ich werde mich nicht für eine der beiden entscheiden. Wenn ich nur ihren Vater finden könnte um ihn zu fragen...“
Ein sehr lautes Geräusch ließ die beiden aufschauen.
„Was ist das?“, fragte die junge Dame in dem Silberkorsett.
„Oh, sie waren ja noch nie hier in dem Saal. So können sie es nicht wissen. Das ist unsere Uhr. Schauen sie. Sieht sie nicht herrlich aus?“

Die Uhr nahm fast eine halbe Wand ein, so groß, aber auch so kompliziert sah sie aus. Es gab einen von der Wand abstehenden Halbkreis. Dort, wo der Halbkreis die Wand berührte, befand sich jeweils eine Tür. Die beiden Türen hatten sich geöffnet und zwei Figuren kamen heraus. Jede Figur war vielleicht einen halben Meter groß. Sie waren aus bemaltem Holz. Eine Figur stellte einen Edelmann dar. Die andere Figur glich einer Dame, mit eng anliegendem Rock. Sie hatte eine zierliche Taille, welche mit Blattgold verziert war. Die beiden Figuren bewegten sich ruckartig auf dem Halbkreis, bis sie zusammentrafen. Dann hob der Edelmann seinen steifen Arm. Die Dame tat es ihm Gleich. Dann schienen sie zu tanzen, während ein verstecktes Glockenspiel ertönte. Der Prinz und die junge Dame schauten es sich staunend an. Sie hatte noch nie etwas Derartiges gesehen, und er konnte ihre Freude regelrecht fühlen. Ihre Freude steckte ihn an.
Dann war der Tanz vorbei. Die Dame hob ihren anderen Arm. Daran war eine Glocke befestigt. Der Edelmann hob ebenfalls seinen anderen Arm. Daran war ein Hammer befestigt. Und dann schlug er damit gegen die Glocke: Einmal... Zweimal... Dreimal...

Die junge Dame in dem steifen Silberkorsett lehnte sich plötzlich an dem Prinzen an. Ihre Augen und der Mund waren weit geöffnet. Da gab sie einen unterdrückten entsetzten Schrei von sich, hob ihre Röcke an und lief los.
Der Prinz war wie betäubt. Er brauchte einen Moment, bis er ihr folgen konnte. Dann lief er los und rief: „Warten sie! Warten sie! Was ist los?“
Hinter ihm fuhr die Uhr fort zu schlagen: Vier... Fünf... Sechs...
Die junge Dame im Silberkorsett war nicht für das Laufen gekleidet. Sie kam nur bis zu einem der großen Fenster, bevor sie ohnmächtig wurde. Der Prinz hechtete heran und fing sie auf. Dann nahm der das Schwert, welches er nur zu zeremoniellen Zwecken trug, und schnitt schnell die Korsettschnur auf. Das Korsett sprang mit einem Schlag auf und enthüllte eine Figur, die ihn verblüffte. Vor ihm lag eine sehr junge Frau, welche offensichtlich viele Jahre mit einem Korsetttraining verbracht hatte. Er hob sanft das Silberkorsett hoch, und, da er es tat, begann sie sich wieder zu bewegen.
„Was ist los?“, fragte er eindringlich.
Die Uhr schlug immer noch: Zehn... Elf...
„Oh! Oh!“ Sie weinte, was natürlich nicht die Antwort auf seine Frage war. Dann raffte sie hastig ihre Röcke zusammen, entzog sich des Prinzens Hand, und verschwand hinter einem der Vorhänge, bevor die Uhr Zwölf schlug.

Der Prinz stand auf und zog den Vorhang zur Seite. Die große gläserne Tür war geöffnet, und er konnte im Mondschein die Terrasse, als auch die Kopie der Gärten von Versailles sehen. Da sah er eine Person, welche ihre Röcke bis zu den Knien hochgehoben hatte und in der Dunkelheit verschwand.
„Warte sie! Wartet!“, rief er und lief ebenfalls los. „Sie haben ihr Korsett zurück gelassen!“
Aber sie blieb nicht stehen und drehte sich auch nicht um. Und dann war sie im Schatten der Bäume verschwunden.
Dem Prinz fiel ein, dass die Uhr jene Aufregung verursacht hatte. Er rief noch einmal in die Dunkelheit hinaus: „Liebste! Diese Uhr geht immer fünf Minuten vor!“

Keine Antwort. Die junge Dame war fort.

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Zehn

Der Stadtrufer ließ seine große Glocke kräftig schellen. Dann entrollte er seine Schriftrolle, die er in der anderen Hand hielt.
Er rief: „Hört! Hört! Hört! Ich verkünde das Wort des Königs!
Der König lässt verkünden:
Auf dem Ball zu Ehren Unseres einzigen Sohnes und Prinzen war eine Dame zugegen, welche ohnmächtig wurde, sodass die Korsettschnur zerschnitten werden musste. Bald darauf floh sie aus dem Ballsaal und ließ ihr Korsett zurück. Aufgrund ihres edlen Gesichts und der Vervollkommnung ihrer Figur kann sie nur von höherer Geburt sein. Wir sind Uns gewiss, dass sie zwar von edler Geburt ist, jedoch konnte niemand Unseres Hofes jene Dame erkennen. Aus diesem Grunde schwören Wir und versprechen: Wer auch immer in jenes Silberkorsett geschnürt werden kann, wird die Hand Unseres Sohnes erhalten und Ihn heiraten, damit sie als zukünftige Königin an Seiner Seite Platz nehmen wird.
Das sind die Worte des Königs!“

Die auf dem Marktplatz versammelte Menschenmenge stand zitternd in der Kälte und schaute voller Ehrfurcht auf das Korsett, welches zwei Kammerzofen der Königin neben dem Ausrufer hoch hielten. Beinah alle Frauen trugen Korsetts. Sie trugen üblicherweise ein leicht verstärktes und geschnürtes Mieder über ihrer Unterwäsche, um die Figur stramm und ordentlich aussehen zu lassen. Sie waren sich bewusst, dass nur eine edle Dame, die nicht arbeiten musste, sich derart eng schnüren konnte. Mit jenem Korsett konnte man keinen Fußboden schrubben oder Schweine füttern. Dieses Korsett war jenseits aller Vorstellungskraft. Die Taille erschien nicht breiter als der Oberschenkel eines kräftigen Mannes, und es glitzerte im Sonnenschein, als ob es aus reinem Silber gemacht worden war, was ja auch stimmte. Jemand musste eine Unmenge von Silbermünzen eingeschmolzen haben, um jenes Ding zu machen. Eine Bauernfamilie hätte davon bequem jahrelang leben können. Das war wohl auch der Grund, warum die beiden Kammerzofen von sechs Soldaten eskortiert waren, welche drohend in die Menge blickten.

Eine Stimme rief: „Schmelzt es ein und verteilt das Geld in der Stadt! Wir hatten einen harten Winter gehabt!“
„Dieses Korsett“, sagte der Ausrufer, „ist nicht mein Eigentum. Es ist nicht mein Willen es wegzugeben.“
Jemand rief: „Keine Frau kann sich darin schnüren ohne es zu überleben! Unser Prinz fantasiert!“
„Der Prinz sagte, es war eine Dame“, antwortete der Ausrufer. „Jene junge Frau, mit der er letzte Nacht getanzt hat, hatte dieses zierliche Korsett getragen. Dafür gibt es Zeugen. Wir müssen sie identifizieren. Hat irgendjemand irgendetwas dazu zu sagen?“
Der Anführer der Soldaten neigte sich nach vorne und sagte zu den Zofen: „Haltet es noch einmal hoch.“
So machten die Frauen ein paar Schritte nach vorne und zeigten das Korsett den Menschen. Während sie vor der Menschenmenge herum gingen, konnten die Menschen das Korsett noch besser sehen.
Dann rief eine der beiden Zofen: „Hat irgendjemand letzte Nacht ein ziemlich junges Mädchen mit dunklem Haar gesehen?“
Keine Antwort.
Dann richtete sie eine Frage an die anwesenden jungen Frauen: „Hat eine von euch letzte Nacht dieses Korsett getragen?“
Ein schmuddelig aussehendes Mädchen aus den hinteren Reihen hob die Hand.
Die beiden Zofen schauten sich gereizt an. Mit dem Wissen eine Königin zu werden, würde jede junge Frau versuchen in das Korsett zu passen. Es wäre reine Zeitverschwendung.
Da rief der Ausrufer: „Vielen Dank! Geht jetzt nach Hause! Wir werden jetzt jene Adelshäuser aufsuchen, welche zum Ball eingeladen worden waren. Wir möchten kein Gesindel auf den Straßen sehen. Denkt daran, wir haben unser Geleit, und niemand wird sich erfreuen, wenn er versuchen sollte dieses Korsett zu stehlen. Behindert uns nicht, denn wir sind im königlichen Auftrag unterwegs!“
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, trugen die beiden Zofen das Silberkorsett davon, als ob es sehr schwer wäre, was es ja in der Tat auch war. Die Soldaten begleiteten die beiden.

Aschenputtel wandte sich ab. Ihr Gesicht glühte und ihr Herz hämmerte in ihrem engen Lederkorsett. Sie hatte gewusst, dass man sie nicht Ernst nehmen würde. Aber sie konnte nicht anders, ihre Hand war wie von ganz alleine hoch gegangen.
Sie ignorierte die derben Späße des Gesindels und stapfte durch den Dreck zum Haus ihres Vaters zurück. Sie kümmerte sich nicht einmal darum, dass ihre grauen Röcke den Schmutz der Straße berührten.

Das uns nun bekannte Kapitel Nummer Elf

Die beiden Kammerzofen blieben mürrisch stehen, während der Anführer der Soldaten an der Tür des großen Hauses klopfte.
„Das ist alles Zeitverschwendung“, sagte eine von ihnen.
„Tu deine Pflicht, denn wir werden dafür bezahlt“, sagte die andere.
„Mir ist kalt. Ich bin müde. Ich bin vom Regen durchnässt! Ich will eine schöne Tasse Glühwein und ein Bad mit warmem Wasser, um meine Füße darin zu lagern. Das bringt uns nicht weiter.“
Der Anführer klopfte wieder gegen die Tür.
„Anordnungen sind Anordnungen, Silke“, sagte die andere Kammerzofe. „Ich bin der gleichen Meinung wie du dass dies alles nur ein großes Missverständnis ist, aber wir haben den Befehl des Königs. Und den müssen wir ausführen. Erst wenn wir alle Edeldamen des Königreichs aufgesucht haben, können wir nach Hause gehen. Aber nicht vorher. Wann machen die denn endlich die Tür auf?“
„Nein, sie scheinen Spaß daran zu haben, dass wir hier im Schlamm herumstehen müssen“, antwortete Silke verbittert. „Wenn der Prinz wüsste...“
Die Tür öffnete sich. „Ja?“, sagte der Portier.
„Lady Silke Fahrenholz und Lady Rosa Heilen wünschen Gräfin Eisenmieder und ihre Töchter zu sehen“, sagte der Soldat. „Das ist ein Befehl des Königs“, fügte er hinzu.
„Ja, wir haben davon gehört“, sagte der Portier. „Wir haben sie erwartet. Kommen sie herein.“

Die Gruppe trat erleichtert ein und schleppte jede Menge Dreck in die große Halle hinein. Der Portier sah volle Entsetzen den Dreck, denn er war derjenige, der für die Sauberkeit der Eingangshalle verantwortlich war. Aber er wusste auch, dass er sich nicht mit den beiden Ladies, den Kammerzofen der Königin, und den Soldaten streiten durfte.
„Bitte hier entlang“, sagte er.
Während die Gruppe durch die großen Korridore des Hauses ging, fragte Lady Silke: „Gibt es die Möglichkeit sich aufzuwärmen und etwas zu trinken?“
„Vielleicht, die Damen. Ich weiß nicht. Sie müssten meine Herrin fragen, wenn sie die Gräfin sehen.“
„Keine Chance“, sagte Silke nicht sehr leise. „Sie ist die geizigste und unhöflichste Frau des Königreichs.“
Falls der Portier dies gehört haben sollte, so sagte er nichts. Wahrscheinlich stimmte er ihr sogar zu.

Sie kamen schließlich zu einem kunstvollen Salon, offensichtlich hatten dort früher viele vornehme Feiern stattgefunden. Gräfin Eisenmieder saß dort auf einem großen Stuhl, wie auf einem Thron. Ihre Töchter standen an den Seiten. Alle drei waren schön und aufwändig gekleidet, mit Perücken, die so groß waren wie auf dem königlichen Ball.
Die Hofdamen sahen jedoch, dass sie ihre Zeit verschwendet hatten. Die Töchter standen mit schmerzverzerrten Gesichtern auffällig gerade. Ihre nach oben gedrückten Busen quollen fast aus den niedrigen Dekolletés heraus. Das dick aufgetragene Make-up spannte sich.
Es war allzu offensichtlich, dass sie viel zu eng geschnürte Korsetts trugen. Und dennoch waren deren Taillenumfänge viel zu groß für das Silberkorsett. Nicht einmal ein Wunder würde die beiden Mädchen in das Korsett hineinbekommen, ohne dass sie sterben müssten.
Und dennoch musste dir Form gewahrt werden. Man musste des Königs Befehl ausführen, bevor man zum Palast zurückkehren durfte.

„Guten Tag, Madame“, sagte Lady Silke. „Da sie hier versammelt sind, nehme ich an, dass sie wissen weswegen wir hier sind.“
Die auf den Thron sitzende Mutter nickte mit ihrer auf dem Kopf sitzenden gepuderten Perücke. „Sie suchen nach einer Braut für den Prinzen, nicht wahr?“
„Ja, aber das ist nicht alles, Madame.“ Sie räusperte sich und zwei der Soldaten stampften mit ihren Stiefeln auf dem zarten persischen Teppich. Sie hielten das Silberkorsett in den Händen.
„Seine Hoheit, der Prinz, hat erklärt, dass die junge Dame seiner Liebe in diesem Silberkorsett auf dem Ball mit ihm getanzt hatte. Es ist unsere Pflicht heraus zu finden, welche der jungen Damen des Adels in diesem Korsett geschnürt gewesen war, ohne Ohnmächtig zu werden.“
Wie auf Kommando drehten die beiden Töchter schweigend ihre Köpfe trotz der schweren Perücken zur Seite und schauten ihre Mutter mit flehenden Blicken an. Die Mutter nahm deren Hände und streichelte sie beruhigend. Dann sagte sie: „Ich bin mir sicher, dass es eine meiner Töchter gewesen sein muss. Ihr habt sicherlich ohne Zweifel gehört, dass der König Interesse an einer Vermählung zwischen dem Prinz und einer meiner Töchter hat.“
„Ähem! Das ist nicht der Grund für unser Erscheinen, Madame. Wir haben nur zu prüfen ob das Silberkorsett um die Taille einer besonderen jungen Dame zu schließen ist oder nicht. Ich denke, dass sie nun einen Versuch wagen werden.“
Die beiden Töchter erzitterten.
„Natürlich“, sagte ihre Mutter mit königlicher Ruhe.
„Gut. Soldaten, ihr wartet draußen.“
Die Soldaten salutierten, und stampften aus dem Raum hinaus. Sie blieben vor der Tür stehen und wachten darüber, dass niemand den Raum betrat um eventuell das Silberkorsett zu stehlen.

Nachdem die Soldaten den Raum verlassen hatten, änderte sich die Atmosphäre in dem Raum. Sie wurde weniger formal, mehr weiblicher.
„Jetzt“, sagte Lady Rosa sanft, „müssen sie es nicht tun. Ich sehe, wie beunruhigt ihre Töchter sind. Dies ist ein 38- Zentimeter - Korsett. Die meisten Frauen haben sich vergeblich bemüht es anlegen zu können. Ich will niemand damit belästigen, der es sowieso nie schafft.“
„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen“, erwiderte Gräfin Eisenmieder genauso steif wie das Korsett. „Meine Töchter sind wirklich dazu fähig, wenn sie es ihnen erlauben.“
Lady Rosa und Lady Silke schauten sich an. Die Mutter der Mädchen presste ihre Lippen zusammen, sagte aber nichts. Es war nicht gut den Dienern des Königs zu widersprechen, ganz besonders nicht, wenn man hoffte eine der eigenen Töchter mit dem einzigen Sohn des Königs zu vermählen.
„Gudrun, Irma, kommt zu mir. Ich muss eure Kleider öffnen und eure Korsetts entfernen.“
„Ja, Mama.“ Die Mädchen gehorchten wie ein Hund, der Angst vor die Prügel seines Herrn hatte. So schlichen die beiden vollschlanken Mädchen nach vorne zu ihrer Mutter, wo ihnen die Kleider geöffnet wurden.
Gudrun, das ältere und größere der beiden Mädchen, trug ein Korsett, das niemals die geringste Leidenschaften eines Mannes im Schlafzimmer entzündet hätte. Es war offensichtlich schmerzhaft und unbequem, weil es in erster Linie nur für Kraft und nichts anderes entworfen worden war. Sie stöhnte, als ihre Mutter die Korsettschnur löste, und das Korsett locker wurde. Die Taille wurde breiter und breiter und breiter.
Die beiden Hofdamen schauten sich erneut an. Diesmal waren ihre Blicke voller Sorgen. Jenes Mädchen war bereits so eng geschnürt gewesen, wie es eben nur ging. Das Vorhaben die Taille bis auf 38 Zentimeter herunter schnüren zu können war nicht nur lächerlich, sondern lebensgefährlich. Die Korsettschnur des Silberkorsetts war viel zu kurz.
Lady Silke schüttelte ihren Kopf. Das Risiko wollten sie nicht eingehen. Sie gab dennoch Lady Rosa ein Zeichen, damit sie gemeinsam mit dem schweren Silberkorsett zu dem dicken und etwas schwach wirkendem Mädchen hinüber gingen, und gemeinsam versuchten das Korsett um die rundliche Mitte zu legen.
Nach mehreren Minuten voller Mühen trat Ruhe ein. Dann sagte Gräfin Eisenmieder voller Vertrauen keine Widerworte zu bekommen: „Na also! Das ist sicherlich eng genug!“
Lady Rosa drehte sich schweißnass und ziemlich atemlos um. „Wenn es ihnen nichts ausmacht, Madame, uns wurde befohlen dieses Korsett komplett zu schließen. Das werden sie doch nicht als geschlossen betrachten, oder?“ Sie ließ nicht die Korsettschnur los, nickte aber mit ihrem Kopf Richtung Gudruns Taille, wo immer noch ein Spalt von 18 Zentimeter zu sehen war.
„Niemand bekommt das Korsett komplett geschlossen. Es geht nicht. Da bleibt immer ein Spalt offen. Ich denke das genügt und ich...“
„Verzeihen sie, Madame, ich möchte sie nicht unterbrechen, aber dies ist uns befohlen worden! Es gibt sehr viele junge Frauen in dem Königreich, welche das Korsett genauso weit geschlossen bekommen. Ich komme ebenfalls nicht weiter. Es gibt aber ein paar wenige Frauen, bei denen wir das Korsett wesentlich enger schnüren konnten. Aber uns wurde gesagt, wir sollen jemand finden, der es komplett geschlossen tragen kann. Und das hier gilt bei Weitem nicht als geschlossen.“
„Frechheit! Wie können sie es wagen mir zu widersprechen?“
Lady Silke hatte genug von dieser sinnlosen Aufgabe, und ihre Geduld war am Ende. „Weil, Madame, wir die Diener des Königs sind, nicht ihre. Wir sind mehr daran interessiert...“
Sie wurde von einem schmerzhaften Stöhnen unterbrochen „Ich kann nicht mehr atmen.“
„Sei ruhig, Gudrun!“
„Vielen Dank, Madame. Wir sind mehr daran interessierte, das zu tun was der König will, und nicht daran was sie wollen. Wenn sie mit uns streiten, streiten sie mit dem König. Das wollen sie doch nicht, oder?“
Das war ein wichtiges Argument.
„Hmm. Sie sagten, dass es niemand im Königreich gelungen ist jene Aufgabe zu erfüllen?“
„Sie sagte es bereits“, keuchte Lady Rosa, welche immer noch die gespannte Korsettschnur in den Händen hielt. „Was meinen sie was wir tun?“
„Ich werte ihre Antwort also als ‚Nein’. Sehr gut. Und ich denke, wir sind der letzte Haushalt, den sie aufsuchen mussten.“
„Wenn wir...“
„Silke“, unterbrach Rosa. „Können sie bitte zu dem Punkt kommen, bevor die Korsettschnur meine Hände zerschneidet?“
„Sicherlich, liebe Rosa. Wenn wir nicht finden, wonach wir suchen, müssten wir mit leeren Händen zum Palast zurückkehren und unseren Misserfolg eingestehen.“
„Was“, fügte Rosa mit zusammengebissenen Zähnen hinzu, „wir nicht unbedingt mögen.“
Gudrun schaute sich nervös um, sagte aber nichts.
„Ich verstehe. Wenn also eine meiner Töchter das Korsett enger als all die anderen geschnürt bekommt, werden sie das als Erfolg vermelden.“
Lady Silke nickte, und schaute zur stöhnenden Gudrun, welche in dem Silberkorsett eingesperrt war und deren Taillenmaß auf 50 Zentimeter reduziert werden musste. Dann sah sie das blasse Gesicht von Irma, welche sich nicht darauf freute als Nächste an der Reihe zu sein.
„Glauben sie wirklich dass das Realistisch ist?“
„Das war nicht meine Frage. Sie werden diejenige nehmen, welche am engsten geschnürt werden kann, enger als all die anderen vor uns.“
Die beiden Hofdamen schauten sich wieder an. „Ich denke“, sagte Rosa. „Es wäre besser so, als mit leeren Händen zurück zu kehren.“
Silke nickte.
„Gut! Dann werde ich ihnen helfen. Sie werden niemals Gudruns Korsett enger schnüren können als so wie jetzt. Sie müssen ihren Fuß gegen ihrem Rücken drücken.“
„Mama, nein...“, keuchte Gudrun.
„Schhh, mein Kind. Du möchtest doch eines Tages Königin sein, oder?“
„Ja, aber...“
„Nichts aber. Halte die Luft an und versuche nicht zu sprechen. Lady Rosa, ich werde ihnen helfen. Ich halte sie fest, während sie ihren Rock anheben und einen Fuß gegen Gudruns Rücken drücken... So ist es richtig. Und jetzt ziehen.“

Sie zogen, aber Gudrun kam mit ihnen und wäre umgestürzt, wenn nicht Gräfin Eisenmieder alle festgehalten hätte.
„Oh, Liebling, so geht das nicht. Kommen sie jetzt hier rüber. Und du, Gudrun, hältst dich an diesem Pfeiler fest. Ja so... Halte dich so fest du kannst. Und jetzt ziehen.“
Lady Rosa stellte ihren Fuß auf Gudruns Rücken. Sie stand ziemlich unsicher auf einem Bein, und ihr Rock war weit hoch gerutscht.
Das Silberkorsett nagte an Gudruns Taille und das Mädchen stöhnte. Aber es wurde noch enger geschnürt.
„Ist dass das Beste, was sie aus sich herausholen können?“, nörgelte die Mutter.
„Es ist“, sagte Rosa. „Ich benötige etwas Hilfe.“
„Die sollen sie bekommen. Hier! Wie ist ihr Name?“
„Lady Silke Fahrenholz, und sie sollten mich mit mehr Achtung behandeln!“
„Später. Wir benötigen noch zwei kräftige Arme. Kommen sie her, legen sie ihre Arme um die Taille ihrer Freundin und ziehen sie. Ja, genau so.“
Lady Rosa zog an der Korsettschnur und Lady Silke an Lady Rosa. Und so wurde das Silberkorsett wieder etwas enger, aber es war noch eine große Lücke vorhanden. So zogen die beiden Hofdamen noch einmal mit vereinten Kräften.
„Oh mein Schatz“, sagte Gräfin Eisenmieder. „Ich hatte nicht befürchtet dass es so schwierig wird. Irma, komm her.“
„Ich kann nicht.“
„Irma!“
„Nein. Du wirst gleich das Gleiche mit mir machen. Ich werde dir nicht helfen. Und nachher muss vielleicht Gudrun helfen, wenn ich an der Reihe bin.“
„Also Ehrlich! Mädchen sind manchmal unmöglich! Dann werde ich es selber tun.“
Gudruns Mutter stellte sich in Position und schlang ihre Arme um Lady Silkes Taille, welche durch ein Korsett sehr steif war.
„Sind wir beriet? Auf Drei! Eins, Zwei, Drei!“
Sie warf sich mit dem ganzen Körpergewicht nach hinten. Silke zog ebenfalls und Rosa drückte ihren Fuß noch fester gegen Gudruns Rücken. Die Korsettschnur knarrte und es gab einen Ruck. Das Korsett hatte sich um einen Zentimeter geschlossen.
„Das geht! Wir machen Fortschritte! Noch einmal. Eins, Zwei, Dr...“

Sie konnte das Wort niemals beenden. Es gab einen scharfen Knall und die Gruppe an dem Pfeiler brach auseinander, weil die Korsettschnur gerissen war.
Gudrun, welche sich die ganze Zeit so stark wie sie konnte am Pfeiler festgehalten hatte, wurde wie von Geisterhand gegen den Pfeiler geschlagen. Da die Zugkraft der anderen drei Frauen schlagartig weg war, schlug sie mit dem Kopf vor dem Pfeiler und war sofort ohne Bewusstsein. Sie sackte in sich zusammen.
Lady Silke, Lady Rosa und Gudruns Mutter stürzten nach hinten und landeten in einem Durcheinander.
„Oh“, ächzte Rosa, „ich glaube, bei mir sind einige Korsettstäbe gebrochen.“
„Ich glaube, dass sie mir eine Rippe gebrochen haben“, schimpfte Silke. „Warum musst du nur so schwer sein!?“
„Bitte, Ladies!“, sagte eine Stimme unter ihnen. „Denken sie daran, dass sie auf mir gelandet sind!“
„Oh, das tut mir aber Leid!“

Die beiden Hofdamen halfen sich gegenseitig auf die Beine, was natürlich wegen der langen Röcke und der steifen Korsetts sehr schwierig und mühsam war. Danach halfen sie der Mutter von Gudrun auf die Füße. Ihre komplizierte Perücke lag am Boden und es war niemand fähig ihr die Perücke wieder aufzusetzen. So ließ man sie auf dem Fußboden liegen und ging zu Gudrun, welche wieder zu sich gekommen war und weinte. Ihre Mutter legte einen Arm auf Gudruns Schulter.
„Nicht so schlimm, Liebling. Du hast dein Bestes gegeben. Komm her und setze dich hin. Ruhe dich aus. Jetzt ist Irma an der Reihe.“
„Oh, nein“, jammerte Irma.
„Oh, ja. Komm her zum Pfeiler.“
Irma wurde ohnmächtig.

„Ich befürchte, Madame“, sagte Lady Rosa, während sie Riechsalz unter Irmas Nase hielt, „ich habe genug davon. Wir gehen nirgends wohin. Entweder werden sie ohnmächtig, oder die Schnur reißt. Üblicherweise beides.“
Irma begann zu stöhnen und schob das Riechsalz fort. Mit offensichtlich geübter Routine schloss Rosa die Flasche und steckte sie in eine Tasche in einem der unzähligen Unterrocken.
„Bitte noch ein Versuch mit Gudrun“, sagte Gräfin Eisenmieder besorgt.
„Schauen sie, Madame. Wir machen das schon seit Tagen. Ich will nach Hause und meine Füße hoch legen. Außerdem ist mein Korsett ruiniert.“

Mit vereinten Kräften hoben sie Irma hoch und setzten sie auf dem großen Stuhl. Gudrun probierte heimlich dir Tür zu öffnen. Ihre Mutter hatte aber die Tür abgeschlossen. Sie sagte immer, dass sie dadurch die Dienerschaft draußen halten wollte. In Wahrheit tat sie es aber, damit ihre Töchter drinnen bleiben mussten.

„Ich werde eine neue Korsettschnur holen lassen“, sagte die Mutter hastig. „Wir haben genug davon in diesem Haus.“ Und schon zerrte sie an dem Glockenband.
Augenblicklich waren draußen auf dem Marmorfußboden Schritte zu hören. Jemand klopfte an der Tür und versuchte sie zu öffnen.
„Es ist abgeschlossen“, rief die Gräfin.
„Was soll ich bitte tun?“, fragte eine attraktive Stimme auf dem Korridor.
„Gehe zu meinem Ankleideraum und bringe mir alle Korsettschnüre, die du finden kannst. Je länger und kräftiger, desto besser. Beeile dich!“
„Ja, Madame“, sagte die Stimme. Es entstand eine Pause, die man brauchte um einen langen Rock hoch zu heben. Dann entfernten sich die Schritte.
„Dass muss sie gewesen sein“, sagte die Gräfin. „Dieses kleine faule Frauenzimmer! Wenn sie nicht schnell zurück kommt, wird sie eine gute Tracht Prügel bekommen!“
Sie sah die beiden Hofdamen, welche sie entsetzt anstarrten, und erkannte dass sie zu weit gegangen war. So versuchte sie wieder eine damenhafte Haltung anzunehmen und starrte die Wand an.

Schon bald klopfte es wieder an der Tür. „Madame? Ich habe ihre Korsettschnüre gebracht.“
„Gut. Warte dort.“ Die Gräfin ging zur Tür und schloss sie auf.
Draußen wartete ein ziemlich junges Mädchen mit einem blassen Gesicht, das von langen dunklen Locken umrahmt war. Es trug ein raues Küchenkleid mit einem darüber sehr eng geschnürten Lederkorsett. Und da war noch etwas...
„Du kannst gehen, Aschenputtel“, sagte Gräfin Eisenmieder und wollte die Tür wieder schließen.
„Moment!“, sagte Lady Silke. „Führen sie das Mädchen herein.“
„Wenn es ihnen nichts ausmacht, die Damen, denke ich dass wir es unterlassen. Dieses Mädchen ist die schlechteste meiner Küchenmägde...“
„Führen sie das Mädchen herein!“, sagte Rosa, da die Gräfin zögerte. Dann fügte sie hinzu: „Wir sind hier die Vertreter des Königs, Madame. Denken sie stets daran.“

Gräfin Eisenmieder hielt inne und überlegte. Dann stieß sie einen Seufzer aus und zog sich zurück. Das schüchterne Mädchen betrat den Raum. Sie sah zwei Hofdamen, Gudrun und Irma, und das Silberkorsett. Dann erinnerte sie sich an die Hausregeln, schaute nach unten und machte einen tiefen Knicks, sodass ihr Korsett nur so knarrte.
„Hmmm“, sagte Silke. „Siehst du auch, was ich sehe, Rosa?“
„Es wäre einen Versuch wert, zweifellos. Komm bitte her, Mädchen.“
Das Mädchen, welches Aschenputtel gerufen wurde, kam näher und blieb in der Mitte des Raumes stehen. Die beiden Hofdamen betrachteten sie von allen Seiten. Dabei konzentrierten sich deren Blicke auf die Taille. Schließlich berührte Rosa das Korsett.
„Sie könnte es schaffen, meinst du nicht“, sagte sie.
„Sie könnte, besser als jede andere. Natürlich müssten wir sie ein wenig säubern und...“

„Was sagen sie da?“, unterbrach Gräfin Eisenmieder. „Sie denken doch wohl nicht im Traum daran dieses Mädchen zum Palast zu bringen?“
„Warum nicht?“, sagte Silke. „Wir müssen jemanden haben, der dieses Korsett tragen kann, und sie ist eine genauso geeignete Kandidatin wie all die anderen. Immer noch besser als ihre Töchter!“
„Das werde ich ihnen nicht erlauben! Ich werde den Portier rufen, damit er sie aufhält!“
„Rufen sie nur. Es wird ihnen nicht helfen. Soldaten!“
Der Klang schwerer Stiefel erklang und der Anführer der Truppe trat herein.
„Sie wünschen?“
„Soldat, diese Dame hier hat gedroht uns daran zu hindern das Haus zu verlassen. Vergewissern sie sich dass niemand sonst hier hereinkommt und wir ungestört gehen können, wenn wir es wollen.“
Der Soldat salutierte und sagte: „Jawohl, die Damen.“ Er schaute Gräfin Eisenmieder finster an und hielt seine Waffe griffbereit.
„Unser Teppich“, heulte Irma, als sie sah dass der Soldat mit seinen Stiefeln den persischen Teppich ruiniert hatte.
„Sei ruhig, Irma!“, sagte die Mutter.
„Alle beide!“, rief Rosa. Sie stellte sich vor die Küchenmagd und schaute ihr streng in die Augen. „Wie ist dein Name, Mädchen?“
„Aschenputtel, gnädige Frau.“
„Aschenputtel? Prinzessin Aschenputtel? Das geht. Welche Taillengröße hast du im Moment?“
„41 Zentimeter, gnädige Frau, aber ich kann mich noch enger schnüren...“
„Sie lügt!“, rief die Gräfin.
„Ich interessiere mich nicht für ihre Meinung! Eine weitere Unterbrechung wie diese, und ich lasse sie abführen!“
Rosa schaute wieder Aschenputtel an. „Und jetzt schaue dir das Korsett an.“ Sie ging zu dem Tisch, wo sie das Silberkorsett abgelegt hatte. Sie hob es an, sie musste sich dafür anstrengen, und trug es zur Mitte des Raumes. „Es hat eine 38- Zentimeter- Taille. Könntest du, wenn wir dich darum bitten, jenes Korsett anlegen und schließen lassen?“
„Oh ja“, sagte das Mädchen ganz aufgeregt. „Ich bin wirklich sicher dass ich das kann.“
„Sicher?“
„Aber natürlich, ja! Das ist mein Korsett. Ich habe es auf dem Ball getragen!“
„Hören sie ihr nicht zu!“, rief die Gräfin. „Jetzt wissen sie dass sie eine Lügnerin ist...“
„Soldat!“
Die Tür wurde aufgeschlagen und der Anführer der Truppe kam wieder herein.
„Führen sie bitte Gräfin Eisenmieder hinaus. Sofort.“
Der Soldat sprang nach vorne, und packte die Gräfin an der Schulter. Sie versuchte den Kopf hoch zu heben, um das, was von ihrem Stolz übrig blieb, aufrecht zu halten. Doch die fehlende Perücke und das eigene zerzauste Haar machten dies Zunichte. Nach kurzem Zögern half Irma ihre aufgeschnürte und immer noch ganz wackelige Schwester auf die Beine und folgte ihrer Mutter nach draußen.
Ein anderer Soldat schloss die Tür.

„So!“, sagte Silke, und lächelte zum ersten Mal an diesem Tag. „Jetzt können wir fortfahren. Schau, Mädchen. Wir brauchen jemanden, der das Korsett tragen kann, wenn es geschlossen ist. Der Prinz hat uns damit beauftragt. Und mir ist es völlig egal wer es ist, Hauptsache wir können diese verdammte Aufgabe zu Ende bringen und wieder nach Hause gehen. Ich bin wirklich froh darüber und würde ihn sogar anlügen, aber ich will nicht, dass du mich anlügst. Warst du wirklich in diesem Korsett auf dem Ball?“
„Oh, ja.“ Sie schaute an sich herunter und sah ihre abgetragenen und zerfetzten Kleidungsstücke. Dann lachte sie. „Natürlich nicht in dieser Aufmachung.“
„Woher hattest du das Ballkleid?“
„Tja, ich trug eigentlich diese Kleidungsstücke, nur auf eine andere Art... es ist sehr kompliziert. Wenn sie möchten, werde ich es ihnen auf dem Rückweg erklären. Soll ich das Silberkorsett anprobieren?“
Lady Rosa schaute auf die schmale Taille, welche von dem beeindruckend eng geschnürten Lederkorsett gehalten wurde, und lachte auf. Dann sagte sie: „Ja, das machen wir. Es wird eine schöne Abwechslung sein, nachdem wir an den beiden fetten Stuten herumgezerrt haben.“

Aschenputtel ließ sich das Lederkorsett aufschnüren. Doch dann bat sie die beiden Damen an dem Pfeiler angehängt zu werden. Die beiden Ladies nahmen wohlwollend zur Kenntnis, dass das Mädchen ohne die Stütze eines Korsetts nicht mehr ohne Probleme stehen konnte. Ein gutes Zeichen für eine echte langjährige Korsettträgerin.
Man legte ihr das Silberkorsett um und begann die Korsettschnur durch die vielen Ösen zu schnüren. Da die beiden Ladies während der vergangenen Tage viel zu oft Korsetts geschnürt hatten, ging das Einfädeln der Schnur schnell voran.
Dann zogen sie an der Schnur. Das war kein Vergleich mit den voran gegangenen Versuchen.
Schnell war das Korsett fast geschlossen. Sie zogen mit einem weiteren starken Zug an der Korsettschnur, und Aschenputtel wurde atemlos. Ihr Gesicht wurde etwas blass, aber sie blieb stehen. Sie wurde nicht ohnmächtig und die Korsettschnur drohte nicht zu reißen.
Bald berührten sich die Schnürleisten und Rosa machte mit großer Befriedigung einen Knoten in die Korsettschnur. Dann nahmen die beiden Hofdamen Abstand.

„Drehe dich bitte einmal für uns herum“, sagte Silke.
Aschenputtel tat es. Ihre zerfetzten Röcke wirbelten beeindruckend hoch, und das Sonnenlicht schimmerte auf dem Silberkorsett.
„Das ist in Ordnung“, sagte Rosa anerkennend.
„Diejenige, nach der wir suchten?“
„Die Eine, welche auf dem Ball war. Ich hatte den Prinzen mit ihr gesehen. Es ist niemals eine gute Idee das Korsett einer anderen zu borgen, denn es ist niemals bequem. Dieses Korsett ist offensichtlich nur für sie gemacht. Sie fühlt sich darin wie zu Hause.“

Silke trat staunend näher. Sie ließ ihre Hand über die glatten Kurven des Silberkorsetts fahren. Es stimmte. Das Korsett saß perfekt. Es gab keine lockere Stelle, keine störende Wulst. Sie lachte vor Erleichterung und gab Aschenputtel einen Kuss.
„Ich danke dir für dein Erscheinen! Du kannst dir gar nicht vorstellen, was wir alles durchgemacht haben um dich zu finden!“
„Ich danke ihnen für das Kommen“, antwortete Aschenputtel mit ernster Stimme. „Ich denke es ist an der Zeit, nicht mehr eine Küchenmagd zu sein. Sie müssen wissen, ich bin die Tochter des Ehemannes jener Gräfin. Ich kannte den Prinzen, als wir Kinder...“

Silke schaute Rosa an und sagte: „Ja, ich erinnere mich. Das stimmt. Er spielte mit einem hübschen kleinen dunkelhaarigen Mädchen, als er sieben oder acht Jahre alt war. Dann ist ihre Mutter gestorben und das kleine Mädchen war einfach verschwunden. Und niemand wusste was mit ihr geschehen war...“
„Ich habe in der Küche gearbeitet“, sagte Aschenputtel. Dann klopfte sie auf ihren stark verjüngten Oberkörper und fügte hinzu: „Und dort habe ich mein Korsetttraining gemacht.“
„Sehr schön. Glückwunsch. Nun solltest du besser mit uns kommen. Ich kenne jemanden im Palast, der sich freut dich endlich wieder treffen zu dürfen.“

Ende