Sie schaute noch einmal auf den Tisch um zu prüfen ob alles ordentlich bereitgelegt war. Sie hatte sich ein bestimmtes Arrangement ausgedacht und die bereitgelegten Sachen mussten für das für den Abend geplante Abenteuer in der richtigen Reihenfolge liegen. Es war ihr wichtig dass alles ganz genau geregelt war.
Vielleicht war es sogar das was sie so sehr an die Ära aus der Zeit Eduards VII, vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, faszinierte. Diese unerschütterliche geregelte soziale Struktur mit der genau definierten Rolle jeder einzelnen Person, basierend auf bestehende Klassenunterschiede. So sollte damals jeder und alles in der Welt funktionieren.
Das Thema ihres Kostüms würde also heute Abend sich genau auf jene Ära beziehen. Glücklicherweise gab es eine Menge Websites, die authentische, oder fast authentische, Frauenkleidung anboten.
Ihre Auswahl für den Abend begann mit einem entsprechenden Haar- Stil, bei dem die Haare nach oben hochgesteckt als auch teilweise nach hinten frisiert wurden. Die langärmelige Bluse hatte die Farbe Beige, oder wie es damals hieß: Elfenbein- Weiß. Der Modestil hieß "Gibson- Girl". Das bedeutete dass die Bluse an den Schultern aufgebauscht war und einen hohen, engen Stehkragen besaß. Der hellbraune Rock war bis unten hin durchgehend geknöpft, war hochtailliert und reichte bis an die Fußknöchel. Der enge, gerade Rock war nicht ganz echt. Also vom Schnitt her schon, aber er war aus Leder gefertigt und nicht wie es damals üblich wart aus Wolle oder Baumwolle. Der Rock war dadurch schwerer, aber sie mochte das steife Gefühl wenn sie damit herumging oder sich niederkniete. Sie trug dazu passende knielange Lederschnürstiefel. Die Absätze waren etwa sieben Zentimeter hoch. Diese Kombination aus der hellen Bluse, dem hellbraunen Lederrock und den ebenfalls hellbraunen Lederstiefeln sah elegant aus und ließ sie wie eine Dame der damaligen Oberschicht aussehen, welche im Frühling des Jahres 1905 einen Nachmittagsspaziergang im Park machten.
Sie hatte aber nicht die Absicht in Begleitung eines Mannes herum zu flanieren. Abgesehen davon war sie noch nicht mit dem Anziehen fertig. Der Tisch war nämlich noch voll mit "Accessoires", welche keine Frau aus jener Epoche getragen hätte.
Das erste dieser Teile war ein Riemen, der für den Rock gedacht war. Der Lederrock hatte Riemenschlaufen, die dafür perfekt waren.
Der Riemen oder Gürtel, den sie vom Tisch nahm, war von praktischer Natur und hatte mit Mode rein gar nichts zu tun. Er bestand aus gegerbten Leder, hatte eine große Schnalle am einen, und entsprechende Löcher am anderen Ende. In der Mitte des Riemens gab es einen stabilen D- Ring, der mittels stabiler Lederstreifen an dem Riemen festgenäht war. Der Riemen, Beziehungsweise Gürtel, würde außerdem verkehrtherum angelegt werden; die Schnalle also hinten und der D- Ring vorne. Letzteres war für die Aktivitäten des Abends sehr entscheidend.
Sie fädelte den Riemen mit der Schnalle voran durch die erste rechte Gürtelschlaufe und das andere Ende mit den Löchern durch die erste linke Gürtelschlaufe des Lederrocks hindurch. Das ging dann Gürtelschlaufe für Gürtelschlaufe weiter, bis sich die beiden Enden auf ihrem Rücken trafen. Sie führte ohne es sehen zu können den Lederriemen durch die Schnalle und zog den Riemen fest an. Sie lockerte den Gürtel um ein Loch. Jetzt war es zwar immer noch eng, aber wesentlich bequemer als zuvor. Dann nahm sie den D-Ring und zerrte daran. Der Gürtel verrutschte keinen Millimeter und es gab nichts nach. Es gab also keine Möglichkeit für ihr sich davon zu befreien, und der Rock konnte nicht mehr nach unten gezerrt werden.
Sie war mit dem festen Sitz von Gürtel und Rock zufrieden und ertastete mit einer Hand die auf dem Rücken befindliche Gürtelschnalle. Direkt darüber gab es einen Verriegelungsknopf, den sie nun reindrückte. Das war kein gewöhnlicher Gürtel. Diese Art von Gürtel war nämlich für den Polizeigebrauch entwickelt worden und man benötigte den dafür passenden Schlüssel um die Schnalle wieder öffnen zu können. Es war kein üblicher Schlüssel, sondern lediglich ein entsprechend gezackter Blechstreifen. Also nichts Besonderes. Aber das reichte um den Gürtel sicher zu verschließen. Und wenn sie nicht mit den Händen nach hinten gelangen könnte, dann reichte dieser simple Schlüssel total aus.
Um den Modestil der damaligen Periode gut nachzuahmen waren ihre Beine in etwas gefangen, was den Namen Humpelrock hatte. Die diagonal- seitlich verlaufende Knopfreihe war rein dekorativ. Der Rock konnte also nicht aufgeknöpft werden. Diese enge Form des Rocks war seiner Zeit mit Absicht so gewählt worden, damit die Damen langsam und sehr feminin laufen mussten. Aber für sie war dieser Zweck nicht ausreichend. Die Extras, die auf dem Tisch lagen, würden dieses Problem "beheben".
Obwohl sie im Haus war, setzte sie sich einen Strohhut auf und befestigte diesen mit entsprechenden Haarnadeln. Der Hut wurde recht reizvoll in einem steilen Winkel zur Seite geneigt gesichert. Es entsprach dem Modestil für eine junge Frau.
Sie öffnete eine kleine Schachtel und nahm einen ihrer Schätze heraus. In der Schachtel lagen, auf Samt gebettet, ein passendes Paar goldene Ohrringe aus der späten viktorianischen Zeit. Es war ein Familienerbstück, welches von einer Generation zur nächsten Generation weitergegeben wurde. Diese Ohrringe waren ihre Verbindung zur Vergangenheit, zumal es keine Nachbildungen sondern echte Stücke der Geschichte waren. Sie führte sorgfältig die Haken durch die Löcher ihrer Ohrläppchen. Die Ohrringe klein, aber schwer, da sie aus fast reinem 22er Karatgold bestanden. Sie schloss ihre Augen und dachte an die lange Reihe ihrer Vorfahren, welche über mehr als ein Jahrhundert lang diesen Familienschmuck in Ehren gehalten haben und dass sie selber nicht die letzte Person in dieser Reihe wäre. Es würden noch viele folgen.
Dass eine Dame in der Öffentlichkeit ohne Handschuhe erscheint, wäre skandalös gewesen. Aus diesem Grund schob sie ihre Hände in Lederhandschuhe hinein Die Handschuhe bestanden aus dünnem Leder und fühlten sich weich und geschmeidig an. Diese Lederhandschuhe waren jedoch keine Korrekte Kopie der damaligen Mode, da sie die Ärmel der Bluse überlappten. Sie kontrollierte ihre Arme, denn es durfte kein Bisschen ihrer Haut zu sehen sein. Nun ja, es würde sie trotzdem nicht in Verlegenheit bringen.
Eigentlich hätte eine Zofe oder ein Hausmädchen ihr beim Anziehen behilflich sein müssen. Sie hatte aber keine. Ach, wenn man doch nur die Zeit bis zu jener Epoche zurückdrehen könnte, als es noch Diener und Dienstmädchen gab. Doch im Hier und Jetzt musste sie ihre Vorbereitung für den Abend selber beenden.
Sie nahm vom Tisch eine der damaligen Epoche exakt nachgebaute Beinfessel herunter. Diese Fesseln wurden damals von der Polizei verwendet und wurden als "Darby" bezeichnet.
Diese Fußfessel war aber eine Sonderausführung. Die Größe war reduziert worden, damit es dem Knöchelumfang einer Frau entsprach. Und die Verbindungskette war auf die Hälfte der damals üblichen Länge gekürzt. Als Material wurde vernickeltes Messing genommen, was dekorativer aussah, aber genauso sicher und funktionell wie das Original war.
Sie setzte sich auf einen Stuhl und zog den Humpelrock so weit wie möglich hoch. Dann befestigte sie die erste Manschette an ihrem linken Fußknöchel. Die Beineisen waren nicht einstellbar, aber die Stiefelschäfte gaben dem Ganzen eine behagliche Passform.
Sie hielt weiterhin den Rock hoch und wiederholte das Verfahren mit der rechten Manschette.
Danach ließ sie den Rocksaum los und stand auf. Die Beineisen wurden wie geplant von dem Saum des Humpelrocks verborgen. Sie probierte vorsichtig den ersten Schritt zu machen. Kaum hatte sie es getan, da wurde auch schon der rechte Fuß gestoppt. Die Verbindungskette war straff gezogen, der Absatz des rechten Stiefel befand sich neben der linken Stiefelspitze. Die Schrittweite war also etwas weniger als eine Fuß- Länge. Perfekt, genau das was sie wollte. Der Rock, obwohl ein Humpelrock, hing immer noch relativ lose um ihre Knöchel herum, aber darunter hatte sie ihre Grenze erreicht. Sie ging in dem Raum herum und testete die Beschränkungen, welche ihr von der unerschütterlichen Kette zwischen den Füßen und dem unflexiblen Leder auferlegt wurden. Sie konnte sich damit herumbewegen, damit sitzen oder stehen. Aber der Versuch damit rennen zu wollen würde unweigerlich zu einem Sturz führen.
Als sie sich wieder hinsetzte, entdeckte sie, dass das Beine- Übereinanderschlagen nun außer Frage war.
Bevor sie den nächsten dekorativen Schmuck auswählte, befühlte sie den Stehkragen ihrer Bluse, um sich zu vergewissern, dass er faltenfrei am Hals anlag und bis unter dem Kinn reichte. Danach nahm sie die Halskette für den Abend vom Tisch herunter. Sie musste beide Hände benutzen sich das schwarze, stark glänzende Metallband an ihrem Hals anzulegen, es langsam um den Hals herum zu schlingen bis sich die Enden hinten berührten. Dann musste sie nur noch etwas drücken und es machte "Klick".
Vorne hing eine herzförmige Brosche mit dem Abbild von Königin Victoria. Diese Brosche war echt und gut einhundert Jahre alt.
Sie achtete darauf dass die Brosche genau in der Mitte war und die Spitze der herzförmigen Brosche direkt auf das unter der Bluse verborgene, auffällige, weibliche Attribute zeigte.
Von einem leichten Abstand aus betrachtet, sah es so aus als wenn sie ein stilvolles, schwarzes, samtenes Halsband trug. Bei näherer Betrachtung stellte sich jedoch heraus, dass es ein stabiles Metallhalseisen war, für dessen Entfernung ein Schlüssel erforderlich war. Für sie war es aber ein Symbol des Eigentums, eine Bestätigung von Loyalität und Gehorsam gegenüber ihrem Mann.
Jetzt gab es nur noch ein Teil auf dem Tisch, um die spezielle Einkleidung zu beenden. Es waren Handschellen. Sie waren die kleineren Ausgaben der Beineisen, also die gleiche Bauart der von britischen Konstablern bevorzugten Darby-Manschette. Diese Kopien bestanden ebenfalls aus Messing. Die Handschellen waren also schwer, aber dennoch funktionell. Da auch sie vernickelt waren, glänzten sie im Schein der Lampen. Man würde sie dennoch niemand mit dekorativen Armbändern verwechseln. Die großen Verriegelungsbolzen ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass deren Zweck funktionell statt dekorativ wäre.
Sie schob den U- förmige Schäkel der rechten Handschelle über ihr rechtes Handgelenk. Er war wie die Beineisen für das Handgelenk einer Frau dimensioniert. Die Handschelle war eng, aber nicht zu fest oder gar unbequem. Sie drückte den Verriegelungsbolzen in die Öffnungen des Schäkels hinein. Dann machte es "Klick" und die Handschelle konnte ohne den passenden Schlüssel nicht mehr geöffnet werden. Bei der linken Manschette musste zuerst der Schäkel durch den Ring geführt werden, der an dem Ledergürtel befestigt war. Danach legte sie ihr linkes Handgelenk in den Schäkel hinein, und schloss diese Handschelle mittels des Verriegelungsbolzens. Die bis über die Ärmel der Bluse gezogenen Lederhandschuhe sorgten dafür dass nichts drückte und die Hände auf gar keinen Fall aus den Handschellen rausgezogen werden konnten.
Ihre Hände waren jetzt vor ihr an dem Ring des stabilen und fest angezogenen Taillengürtels angeschlossen. Ein Paar scharfe Rucke in verschiedenen Richtungen bestätigten ihr dass sie jetzt sehr strikt in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.
Sie stand auf um ihr Werk zu prüfen. Wären da nicht die kurzen Ketten, man würde vermuten sie wäre eine modische Londoner Dame. Sie ging langsam zum zwei Meter hohen Ankleidespiegel, der in einer Ecke des Zimmers an der Wand stand. Die Spitzen ihrer Lederstiefel schauten unter dem Saum des Lederrocks hervor. Mehr war von den Stiefeln nicht zu sehen. Das galt natürlich auch für die Beinfesselung. Die lange, gerade Linie des Rocks von der Taille bis fast zum Fußboden hinunter wurde nur durch die schmale Taille unterbrochen und erschuf eine wunderschöne Abbildung ihrer Figur. Die hellbraune Farbe des Leder- Humpelrocks passte vorzüglich zu dem Weiß der Bluse.
"Das bin ich", dachte sie, als sie ihr Spiegelbild betrachtete. "Und das sind die Regeln der Gesellschaft, denen ich folgen muss. Ich habe die richtige Einstellung für eine wohlerzogene Frau aus der Zeit von König Eduard dem Siebten."
Sie sah keinen Widerspruch zu ihrer Liebe für Selbstfesselung. Es war sogar irgendwie ironisch. Sie war ein Produkt der modernen Welt, der Befreiung der Frau, unabhängig, frei, konnte ihren eigenen Weg durchs Leben gehen ohne jemand um Erlaubnis zu fragen. Und doch sehnte sie sich nach einer Zeit, in der nichts davon zutraf. Eine Zeit, geprägt von Struktur, Disziplin, eingefahrenen geschlechtsspezifischen Rollen mit einem unflexiblen Verhaltenskodex. Ja, genau das war ihre geheime Begierde. Sie war weit davon entfernt sich unterdrückt zu fühlen.
Sie spürte eine gewisse Unruhe und ging durch die Wohnung bis zur Terrassentür. Es war später Nachmittag, die Sonne stand schon sehr tief. Sie ging auf die Terrasse hinaus. Sie machte sich keine Sorgen dass sie jemand sehen könnte. Das Haus befand sich außerhalb einer ländlichen Kleinstadt. Ihr nächster Nachbar wohnte fast zwei Kilometer von ihr entfernt.
Sie konnte über die Weiden und Felder bis zum weit entfernten Bauernhof sehen. Sie hätte genauso gut auch auf einem Landgut im Westen von London leben können. Als Dame des gehobenen Landadels bräuchte sie sich nicht um lästige geschäftliche Dinge kümmern. Ihre Aufgabe wäre sich um den Haushalt, also das Führen des Personals, und den sozialen Verpflichtungen zu kümmern.
Sie ging zur Treppe, die von der Terrasse hinunter zum umzäunten Garten führte, drehte sich zur Seite, und hielt sich am Treppengeländer fest, während sie vorsichtig die Stufen hinab schritt. Es war natürlich kein Park, aber sie tat so als wäre es einer, während sie langsam über die schmalen Wege des Gartens ging.
Sie machte ihren Spaziergang und blieb nach einer Weile am Rosenbeet stehen. Die Rosen blühten wunderschön und sie wollte eine der Blühten abpflücken. Der Versuch wurde jedoch jäh von den Handschellen sowie dem Gürtel unterbrochen. Sie seufzte frustrierte, war aber dennoch merkwürdigerweise über die Gewalt erfreut, die sie daran erinnerte ihre selbstauferlegten Grenzen zu respektieren.
Das Klappern der Terrassentür drang in ihre Ohren. Sie schaute über ihre Schulter zurück und sah wie ihr Mann, der Herr des Landguts, dort stand. Sie blieb mit dem Rücken zu ihm stehen, während er sich näherte.
"Wieder Mal auf Zeitreise? Welches Jahr haben wir denn heute aufgesucht?"
Sie schaute wieder über ihre Schulter und sah wie er sie mit seinen Augen fixierte, um anhand ihrer Kleidung die Zeitperiode zu erraten. Eine Erregung ging durch sie hindurch, als sein Blick ihre Hüften erreichte.
"London, 1905 und King Edward VII", antwortete sie. "Und unser Landgut in Berkshire, wie du gut weißt, mein Herr."
"Ah! Das nachviktorianische Großbritannien. Die Lockerung der Moral. Kann das Imperium noch lange erhalten bleiben?" Er lachte. Dann kniff er seine Augen zusammen, neigte seinen Kopf zur Seite und verschränkte seine Arme. "Drehe dich herum und lasse mich die Ergebnisse deiner Bemühungen sehen." Sein Ton klang streng.
Sie versuchte die Handschellen mit ihrer Hand zu verdecken, bevor sie ihm ins Gesicht schaute. Er fiel aber nicht darauf herein. "Dachte ich mir", sagte er. "Ich habe die Schlüssel auf deinem Nachtschrank gesehen. Das war Unachtsam, die Schlüssel einfach so liegen zu lassen." Er tätschelte die Brusttasche seines Hemds und fügte hinzu: "Aber keine Angst. Sie sind jetzt in den Händen einer verantwortungsvollen Person."
"Möchten sie mich auf einer Reise durch unseren Garten begleiten, mein Herr? Es ist für eine verheiratete Frau akzeptabler, wenn sie von ihrem Gatten begleitet wird."
Er ergriff ihren Arm, und legte seine große Hand auf ihrem Oberarm. "Es ist mir ein Vergnügen, gnädige Frau." Er neigte sich leicht nach hinten, schaute zu ihren Stiefelspitzen hinunter und fragte: "Hast du…?"
"Ja, mein Herr. Die kurze Kette. Schrittweite Absatz bis Stiefelspitze. Ich habe es zum ersten Mal probiert. Ich hoffe, dass du mit mir geduldig sein wirst, denn es wird einige Zeit vergehen, bis wir das Ende des Pfads erreichen."
Idealerweise würde sie seinen Arm ergreifen, während er sie begleitet. Es gab jedoch bestimmte Hindernisse, welche diese Sitte unpraktisch machten. Das betraf die Handschellen, welche ihre Handgelenke in einer unzertrennlichen Einheit verbanden. Seine Hand auf ihrem Arm war eine pragmatische Lösung, die es ihm erlaubte persönlichen Kontakt zu halten und, falls notwendig, seine Frau fest zu halten, falls sie stolperte.
"Der Strohhut. Ist er neu?", fragte er. "Ich habe ihn noch nie gesehen. Eine ziemlich kühne Erscheinung, die mit dem traditionellen Aussehen bricht."
"Ich habe ein uraltes, eines der ersten wohl mithin, aus dem Jahre 1905, gefunden. Es ist ein Portrait einer jungen Frau, die einen fast identischen Hut trägt. Um ehrlich zu sein, ich hasse diese riesigen viktorianischen und edwardianischen Hüte, die mit Unmengen von Stoffblumen und Federn bedeckt sind. Ich habe außerdem keine Ahnung wie sie es schafften diese Hüte bei windigem Wetter auf dem Kopf zu behalten. Ich habe heute also beschlossen etwas praktischer zu sein."
Er nickte. "Ich verstehe deinen Standpunkt. Aber selbst wenn es dir praktischer Erscheint, gebe ich zu Bedenken dass dies auch mich betrifft. Was wäre dann für dich als nächstes praktisch? Diese Frau Pankhurst unterstützen und ihrer Suffragetten- Bewegung anschließen? Muss ich demnächst zur Polizeiwache gehen, um die Kaution für dich zu zahlen?"
Sie streckte ihre Hände aus und hielt diese mit den Handflächen nach oben. Dann sagte sie: "Würdest du keine junge Frau vor der Not retten? Aber du würdest mich doch bestimmt vor dem Transport nach Australien bewahren, oder?"
Das war natürlich ein Scherz ihrerseits, denn die Praxis, Verbrecher an eine Strafkolonie auszuliefern, war schon lange nicht mehr praktiziert worden.
Er begann zu lachen. "Wie ich sehe bist du gut vorbereit. Ich werde mir also alles vorher genauer überlegen müssen."
Sie schüttelte ihren Kopf. "Herr! Ich kann dir versichern, dass ich auf gar keinen Fall Sympathie für Frau Pankhurst und ihrer Forderung für das Frauenwahlrecht habe. Die frühere Königin war dagegen. Wie könnte ich die königliche Monarchie infrage stellen? Politik ist ein schmutziges Geschäft. Ich bin mit dir und den Männern, die nach dem Abendessen mit Whisky und Zigarre die Angelegenheiten der Welt erörtern während ich mich mit den Damen zum Wohnzimmer zurückziehe, zufrieden."
"Ja, du bist meine liebe Frau! Habe keine Angst, die einzige Reise nach Down Under wird unsere Urlaubsreise sein." Er tätschelte wieder die Brusttasche seines Hemds, in der der Schlüssel lag. "Ich denke aber dass du dennoch eine Weile jene Mahnungen tragen solltest. Das wird dich auf dem Pfad der Tugend halten."
"Was auch immer du glaubst, es ist das Beste für mich, Herr."
Das war nicht einfach so daher gesagt. Ihre Welt basierte auf einer aus heutiger Sicht archaischen Vision der pflichtbewussten Ehefrau; stets gehorsam und ehrerbietig gegenüber ihrem Mann. Momente wie dieser Spaziergang im Garten, bei denen er auf sie aufpassen musste, waren für sie so etwas wie wertvolle Erinnerungen. Sie lebte und liebte jene Zeitepoche, in der sie sowohl physisch in seinen Ketten, als auch mental durch seinen Willen gebunden war. Vielleicht war es nicht empfehlenswert, zumal inzwischen andere Standards an der Tagesordnung waren, aber diese Art der Beziehung funktionierte für beide sehr gut.
"Glaubst du wirklich, dass es dir im Jahr 1905 genauso gut ergangen wäre wie heute? Allein die Idee dir deinen eigenen Willen zu erlauben ist doch für sich gesehen bereits eine radikale Veränderung. Du bestehst aber immer noch darauf dass du deinem Mann gehörst."
"Und was ist damit nicht in Ordnung?" Sie hielt ihr Kinn hoch. "Soll doch die ganze Welt wissen wer mich besitzt. Ja, Herr, ich bin davon überzeugt, dass ich ein Produkt einer bestimmten Zeit bin. Aber mein Kalender ist über einhundert Jahre alt."
Er hielt sie an und drehte sie so, dass sie sich direkt anschauen konnten. Dann legte er seine Hände auf ihre Hüften, genau dort, wo der Lederrock am Festesten an ihrem Körper anlag.
"Herr!", rief sie empört. "Solche Freiheiten gehören sich nicht für einen wahren Herrn. Entferne deine Hände auf der Stelle!"
Er dachte gar nicht daran ihrer Forderung nachzukommen. Und sie versuchte nicht seinem Griff zu entkommen.
"Und was ist, wenn sich in der Privatsphäre deines Gartens herausstellt, dass dein Mann überhaupt kein Gentleman ist?"
"Hilfe! Hilfe", rief sie. Sie tat es aber so leise, dass es niemand hören konnte. "Diese Bestie beabsichtigt mich zu verführen! Kommt mir denn niemand zur Hilfe?"
Er sah wie ein Lächeln über ihr Gesicht huschte. Für jemanden, der, Beziehungsweise die in Verzweiflung zu sein schien, war sie doch bemerkenswert unbekümmert bezüglich ihres Schicksals.
"Solch eine Unverschämtheit! Ins Haus, Frau! Ich habe Geduld mit dir verloren. Schnell jetzt, ich dulde keinen weiteren Verzug."
Sie lief mit einer geradezu halsbrecherischen Geschwindigkeit zur Terrasse.
Nein.
Sie hätte es getan, wenn da nicht die viel zu kurze Kette zwischen ihren Knöcheln gewesen wäre, die sie zwang ganz kleine Schritte zu machen. Er machte keine Anstrengung, ihre Behinderung zu entfernen. Natürlich nicht, denn er genoss es sie kämpfen zu sehen.
Sie wertete diesen Tag als Erfolg, da er mit einer Verführung endete, einer Verführung ganz im Stil aus der Zeit Eduards VII.