Patricia trat leise in den Korridor hinaus. Sie schloss fast lautlos die Tür hinter sich zu. In dem Gästezimmer, das sie gerade verlassen hatte, schlummerte ein sichtlich erschöpfter, und wohl auch sehr zufriedener junger Mann. Obwohl er ungeschickt und nicht gerade zärtlich gewesen war, hatte Patricia ihr kurzes intimes Verhältnis mit ihm genossen. Hätte Susannah gewusst was gerade geschehen war, sie hätte Grund genug gehabt wirklich verärgert zu sein. Obwohl Patricia es mit dem jungen Mann sehr genossen hatte, besaß sie immer noch genügend Taktgefühl um dieses kurze intime Beisammensein niemanden zu verraten. Nur sie und Peregine wussten von dem Geheimnis.
Sie schlich, lautlos wie ein Schatten, über den Korridor. Niemand bemerkte sie, da um jene nächtliche Zeit alle Bewohner und Gäste schliefen. Patricia betrat ihr Schlafzimmer. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie hatte während der letzten Schritte mehr oder weniger den Atem angehalten. Natürlich trug auch das Korsett seinen Teil dazu bei dass sie fast keine Luft bekam.
Seitdem Godfrey und seine Geliebte aus ihrem Leben verschwunden waren, war
für Patricia das Leben viel schöner geworden. Ihr Arrangement mit Godfrey war
nützlich, aber auch langweilig gewesen. Er war leicht zu manipulieren gewesen.
Nur so war es ihr gelungen nicht nur ihr eigenes Vermögen zu verwalten und zu
vermehren, sondern auch über sein Vermögen zu verfügen. Sie hatte sich einen
großen Einfluss mit ihrem Vermögen verschafft. Dennoch war die Heirat mit
Godfrey, menschlich gesehen, völlig unbefriedigend gewesen. Als Geliebter war er
mehr oder weniger ein Versager gewesen.
Während ihrer Ehe hatte Patricia eine denkwürdige sexuelle Erfahrung mit
Marmaduke Hempbracke gehabt. Ein einziges Mal hatte sie in ihrem Londoner
Wohnhaus eine Nacht voller Leidenschaft mit ihm geteilt. Diese Angelegenheit war
derart intensiv gewesen, dass sie sogar Godfrey so überzeugen konnte ihren
eigenen Sohn Marmaduke zu nennen. Sie hatte ihren Ehemann, wie immer, derart
manipuliert, dass er schließlich der Meinung war, es wäre seine Idee gewesen,
obwohl er nicht sagen konnte warum er das wollte. Er hatte nie den Grund
erfahren warum sein eigener Sohn nach dem Mann genannt wurde, der ihn mit seiner
eigenen Ehefrau betrogen hatte.
Patricia begann sich auszuziehen. Während sie das Nachthemd auszog und schließlich nur noch ihre Unterwäsche trug, dachte sie über ihr neues Leben nach. Er hatte aufgrund ihres kleinen Betrugs fluchtartig das Land verlassen. Er hatte nicht einmal versucht sich von ihr scheiden zu lassen und an den gemeinsamen Reichtum zu kommen. Natürlich hätte er es nie versucht, denn er war auf ihrem Betrug hereingefallen. Er glaubte dass seine Familie hoch verschuldet gewesen war. So wären die Schulden nach einer Scheidung vollständig auf ihn alleine gefallen. Seine Flucht war sehr wichtig für Patricia gewesen. Er war aus ihrem Leben geschieden und sie war nun frei. Sie konnte sich alle nur erdenklichen Vergnügen gönnen, welche wegen seiner lästigen Anwesenheit stets verhindert geblieben waren. So hatte sie als Erstes einen schönen jungen Landarbeiter, nahe den Grenzen ihrer Domäne, verführt. Jene angenehme Umleitung führte zu der Verführung von Peregine Hempbracke, dem Sohn ihrer Nebenbuhlerin Susannah Hempbracke. Das war nicht nur ein Akt der Rache gewesen, sondern es auch ein erheblicher Spaß gewesen!
Als Patricia, nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet, vor dem Spiegel stand und ihren Körper bewunderte, bemerkte sie etwas. Am äußersten Rand des Spiegels sah sie den Schatten einer männlichen Gestallt. Ihr Herz blieb fast vor Schreck stehen. Sie bewegte sich vorsichtig etwas mehr zur Seite, um im Spiegel die Gestallt, welche sich hinter ihr befand, besser erkennen zu können. Sie konnte zwar die ganze Gestallt erkennen, aber das Gesicht blieb verdunkelt. Sie überlegte was sie tun sollte, als eine Stimme ihr die Entscheidung abnahm.
„Patricia?“ Die Stimme klang nicht bedrohlich, sonder sanft und voller
Hoffnung.
Patricia drehte sich um. Gleichzeitig trat der Mann aus dem Schatten heraus.
Langsam wurde seine Gestallt von dem Kerzenlicht beschienen. Patricia sah zuerst
einen breiten Brustkorb, dann einen stabilen Hals, und schließlich ein
vertrautes, kräftiges Kinn. Und endlich konnte sie das ganze Gesicht des
Eindringlings erkennen.
„Marmaduke?!“ Particias Stimme war eine Mischung aus Verwirrung und freudiger
Erwartung.
„Ja, meine Lady. Ich bin es... Ich bin gekommen um...“ Er verstummte, um sie für
einen Moment anzustarren.
Patricia stand in der Mitte des kaum erhellten Raumes. Ihre Kleidung war
standesgemäß. Sie trug Seidenunterwäsche. Das Seidenunterhemd verjüngte sich zur
Taille und war oben bogenförmig zu den Schultern hinauf geschnitten. Ihre
Schultern erhielten dadurch eine aufrechte Grazie. Das Korsett, welches ihre
Taille zusammenpresste, drückte die Brüste weit nach oben, während ihre Hüften
frei blieben. Die Rundung von der schmalen Taille zu den breiten Hüften ließ
ihren Körper noch begehrenswerter erscheinen. Ihr steifes Korsett lag wie eine
schützende Rüstung auf der Unterwäsche an. Irgendwie beruhigte Patricia das enge
und steife Korsett, und gab ihr Kraft in jener Situation.
„Oh Patricia. Seit jener Nacht, als wir unseren ersten gemeinsamen Tanz hatten,
bist du mir stets in Erinnerung geblieben. Die Erinnerungen an jene Nacht spuken
ständig in meinen Gedanken herum. Ich träume immer noch davon jener junge Mann
zu sein, der seinen ersten Tanz mit dir machen durfte. Kein Mädchen hatte eine
Taille, die sich mit deiner messen konnte. Die sanften Kurven deiner Taille
lassen sich mit keiner anderen Schönheit vergleichen. Du bist einzigartig, so
kurvenreich, ohne die Probleme, welche all die anderen haben.“
Patricia erinnerte sich an die harten und wohl auch strengsten Tage ihres Lebens, als sie von ihrer Tante Polly erzogen wurde. Die strenge Erziehung führte zu jenem Resultat, welches nun Marmaduke falsch deutete. Doch Patricia unterbrach ihn nicht. Das würde sie nie tun, denn eine Lady durfte nie zeigen dass etwas unbequem oder gar schmerzhaft wäre.
„Patricia, jene Nacht, die wir gemeinsam in London verbrachten, war die
glücklichste Zeit meines ganzen Lebens. Du bist immer die gewesen, welche ich so
gerne haben wollte. Du bist die einzige, die ich jemals wirklich geliebt habe.“
„Ich habe den Blick gesehen, den du mir während der Mahlzeit zugeworfen hast.
Nicht ein Wort ging über deine Lippen und dennoch hörte ich alles, was mir dein
Blick sagte. Du hast auf deiner eigenen weisen Art mich als deine Geliebte
auserwählt.“
„Ich... äh... ja.“
„Es ist schon so lange her gewesen, dass wir beide zusammen waren. Wenn du mir
versprichst, dass ich niemals mehr so lange auf dich warten muss, schwöre ich
dir dass ich für immer dir gehöre.“
Marmaduke kniete sich vor Patricia hin, als ob er ihr Untertan wäre. Er schaute
sie voller Verehrung an. Er hob seine Hände bis auf Kopfhöhe, als wollte er
seine Wangen berühren.
Patricia streckte ihre Arme aus und nahm Marmadukes kräftige Hände in die
eigenen. Sie fühlte wie sie zitterten, eine unerwartete Eigenschaft bei einem
solch kräftigen und eindrucksvollen Mann. Sie hob seine Hände langsam bis zu
ihrer geschnürten Taille hoch. Sie schlang seine Hände um ihre Taille. Obwohl
ihr Taillenumfang mit den Jahren etwas zugenommen hatte, waren Marmadukes Hände
immer noch groß genug um ihre Taille vollkommen zu umgreifen.
‚Gut’, dachte sie. ‚Daran könnte ich mich gewöhnen.’
Für den Rest ihrer Leben lebten die Personen dieses Dramas, jeder auf seine Art, zufrieden weiter. Alle konnten mehr oder weniger gut ein bequemes Leben führen. Allerdings gab es große Unterschiede wie sie sich benahmen.
Godfrey Scruttle, der große Verlierer, führte ein ganz normales Leben. Solange er in der Gesellschaft seiner Corinna war, fühlte er sich vollkommen zufrieden. Seine Hingabe zu ihr schwankte niemals.
Für Corinna Badsteel hatte die Rückkehr nach Amerika, wohin sie vor so vielen Jahren verbannt worden war, einen bittersüßen Beigeschmack. Sie hatte davon geträumt, in Großbritannien ein Leben im Reichtum zu führen. Immerhin hatte sie wieder eine annehmliche Existenz in Amerika. Zuerst eröffnete sie ein neues Mädchenpensionat für Mädchen, um gutes Benehmen und das Leben mit einer eng geschnürten Taille erlernen sollten. Allerdings wurde das Verlangen nach Korsetts und dramatisch schmaler Taillen mit den Jahren immer geringer. Schließlich musste sie die Schule schließen und zog in den Westen der Staaten, wo sie ein Geschäft für Korsetts und Zubehör eröffnete. Irgendwann musste sie auf andere Waren umsteigen, da Korsetts nicht mehr gefragt waren. Allerdings blieb von ihr ein Vermächtnis übrig, speziell der Name, der bis zum heutigen Tag im Südwesten der Staaten, besonders in Arizona gebräuchlich ist.
Lady Patricia führte ein Leben voller Luxus. In den folgenden Jahren hatte sie mehr Liaisons, als ihr an der Seite von Godfrey möglich gewesen wäre. Sie hatte viele Geliebte, welche ihrem Verlangen entsprachen, und die ihr fast hörig waren. Unter ihren Geliebten waren der Ehemann von ihrer Rivalin Susannah, sowie einer ihrer Söhne. Für sie waren Männer wie Süßigkeiten, nur dafür gedacht ihren Heißhunger zu stillen.
Das war die wahre Welt von Lady Patricia.
Ende