Latexdame Jannette moderne Korsettgeschichten

Das Korsett der Braut

von Stephen

Alle Rechte und weitere Nutzung beim Autor.

Übersetzung: Jannette

Kapitel Vier

Kristin hätte ein oder zwei Schlaftablette nehmen können, aber sie tat es nicht. Denn falls da irgendetwas Verdächtiges in dem hinteren Schlafzimmer vor sich gehen würde, wollte sie es nicht verschlafen. Außerdem könnte es gefährlich sein, besonders wenn es sich als blutrünstige Geschichte entpuppen würde.
Sie empfand das Bett bequemer als erwartet, obwohl es viel zu groß für sie allein war. Bruce hatte sich geweigert sie zu begleiten, was sie ärgerte. Der Raum sah endlich wirklich gemütlich aus, mit seinem Hochschrank und der schönen Kiefernkommode. Ein Raum, in dem sie gerne einen Gast unterbringen, wo sie gerne morgens den Gast mit einem Frühstückstablett in der Hand wecken würde. Sie stellte sich einen Sommer- Morgen vor, mit lauter positiven Bildern.
Die Zeit schlich nur so dahin. Immer wenn sie das Licht ausschaltete, kroch die Angst in ihr hoch, nahm ihr den Atem. Nach dem dritten Anlauf tat sie etwas, was sie seit ihrem sechsten Lebensjahr nicht mehr gemacht hatte: Sie ließ die Nachttischlampe an und versuchte dabei einzuschlafen.

Sie hätte schwören können dass sie nicht geschlafen hatte. Gegen vier Uhr morgens war sie hellwach und starrte auf die Tür, welche sich öffnete. Sofort war ihr Mund trocken und sie konnte kaum atmen. Sie konzentrierte sich. Das Nachttischlämpchen war noch an. Sie kniff sich in den Arm. Es tat weh. Also war das kein Traum. Eine ältere Frau, gekleidet in einem langen schwarzen Kleid mit weißer Spitzenschürze, kam mit einer großen Öllampe in der Hand herein. Es sah so aus, als wenn sie nichts zu tun hätte.
„Wer zum Teufel sind sie?“, fragte Kristin so grimmig wie möglich.
Die Frau in dem langen Kleid zeigte keine Regung, als wenn sie Kirstin weder sehen noch hören konnte.
„Komm herein, Schatz“, sagte sie. „So ist es gut. Ich weiß dass es schwierig ist, aber es ist ja nur für heute und sie müssen es nie wieder tun.“
„Schau mich an“, sagte Kristin und setzte sich kerzengerade im Bett hin. Sie wollte nicht von der Frau ignoriert werden. „Das ist mein Haus, und wenn sie denken dass sie einfach hier hereinspazieren...“ Sie verstummte und drückte sich ihre Faust zwischen die Zähne um einen Schrei zu ersticken. Das Gemälde aus der Halle war gerade durch ihre Schlafzimmertür geschritten.
Das war jedenfalls ihr erster Gedanke. Dann bemerkte sie, dass dieses Mädchen lebendig war. Wie konnte sie lebendig sein, wenn sie vor fast einhundert Jahren als junges Mädchen gemalt wurde? Dennoch war sie dort, lebensecht. Ihre lebhaft braunen Locken waren nach hinten gebunden zu einem streng geflochtenen Zopf. Sie trug einen Morgenrock und schritt anmutig, sehr gerade herein.
Kristin fühlte sich krank, sie konnte kaum atmen oder sich bewegen. Selbst ihr Herz schien stehen geblieben zu sein. Sie konnte nicht flüchten. Das waren keine Leute aus dem Dorf, welche ihr einen Streich spielen wollte. Das war eine andere Art von Natur.
„Ich weiß dass ich mein Bestes geben muss“, sagte das Mädchen traurig. „Aber ich glaube nicht dass ich es schaffen werde.“
„Ja, wir werden sie irgendwie schon hinkriegen“, sagte die ältere Frau mit beruhigender Stimme. „Kommen sie, damit ich ihnen den Morgenrock abnehmen kann.“
Das Mädchen nickte und ließ sich ausziehen. Unter dem Morgenrock trug sie ein Unterkleid, lange gerüschte Baumwollschlüpfer und ein Korsett, dass ihr eine Sanduhrfigur formte, mit einer sehr schmalen Taille.
Kristin hatte niemals ein richtiges Korsett gesehen, und es faszinierte sie. Sie stellte sich vor wie stark es die Figur des Mädchens zusammendrücken musste. Wie es die junge Frau steif hielt, ihr den Atem nahm. Kristin ahnte was folgen würde. Irgendwie half ihr das, denn ihr eigener Körper entspannte sich, sie konnte wieder richtig atmen, zwar nicht so wie vorher, aber immerhin. Sie fürchtete sich noch, war aber nicht mehr ganz so ängstlich. Keine der beiden Fremden hatte sie bemerkt.
„Seine Eltern sollten mit ihm reden“, fuhr das Mädchen fort. „Ich bin immerhin ein menschliches Wesen und wenn er... Löst du mein Korsett?“
„Ja, Evangeline, meine Teuerste. Haltet euch bitte am Bettpfosten fest falls ihr zu fallen droht.“
„Du siehst was ich meine?“, redete das Mädchen weiter und stellte sich fast vor Kristins versteinerten Körper an den Bettpfosten. „Ich habe so hart trainieren müssen um ihn zu befriedigen, ich kann nicht mehr ohne Korsett stehen. Ich brauche die Unterstützung. Das ist mir vollkommen ungeheuer.“
„Sie müssen ihre Pflicht tun“, sagte die ältere Frau, während sie hinter dem Rücken des Mädchens herumhantierte. „Sie sind Sir Nimrods letzte Hoffnung. Er kann diesen Ort nicht halten. Er kann das Geld mit keinem Darlehen zusammenbringen. Er wäre gezwungen das Landgut zu verkaufen damit er seiner Tochter die Mitgift finanzieren kann. Wollen sie dass die Familie das Gut verlassen muss?“
„Nein, natürlich nicht“, sagte das Mädchen. Es gab ein lautes Geräusch, und die Taille dehnte sich sichtbar aus, da das Korsett gelockert war.
„Oh, tut das gut! Wie ich mir wünschte das dies nicht sein müsste.“
Die ältere Frau öffnete die vorderen Verschlüsse des Korsetts und entfernte es.
„Wenn er nur einen Sohn gehabt hätte, den er sich so sehr gewünscht hatte, dann...“
„Wir müssen das Leben nehmen wie es kommt. Der Tot ihrer Mutter, und dass er niemals wieder geheiratet hat. Sie werden eines Tages die Lady des Landgutes sein. Und dafür müssen sie alles tun.“
Sie nahm das graue Korsett fort, faltete es ordentlich zusammen und legte es in eine Schublade.
Plötzlich bemerkte Kristin, dass ihr Fußknöchel, der nahe an dem Bettpfosten lag, an dem sich das Mädchen festhielt, ganz weiß war. War es Angst, oder kam es von der körperlichen Anstrengung aufrecht zu bleiben, oder von beidem?
„Nun denn“, sagte die ältere Frau, als sie etwas aus einer anderen Schublade herausnahm und zu Evangeline hinüberbrachte, welche immer noch mehr am Bettpfosten hing als stand.
„Hier ist ihr Hochzeitkorsett. Ist es nicht hübsch?“ Sie packte das Bündel aus und hielt es hoch, damit es das Mädchen bewundern konnte.
Kristin, aufrecht im Bett sitzend, konnte im flackernden Licht der Öllampe alles gut sehen. Das Korsett war sicherlich hübsch, aber auch ziemlich Furcht- einflößend. Es war aus weißem Satin gefertigt. Der obere Rand war mit einem sehr schönen Spitzenband verziert, und gerade geschnitten, sodass es genau bis zur Hälfte ihrer Brüste reichen würde. Der Stoff war mit wunderschönen Stickereien versehen. Kristin sah Blumen und Weinreben. Sogar die sechs Strumpfhalter hatten Stickereien. Doch aller weibliche Flitterkram der Welt hätte es nicht sanft aussehen lassen können. Sogar ohne jemanden darin, sah man die Form, welche der Trägerin aufgezwungen werden würde. Das Korsett war steif wie der Brustpanzer eines Ritters. Aber keine Rüstung war jemals so verlockend und anspruchsvoll geformt. Unter den bezaubernden Stickereien verbargen sich mehrere Reihen kräftiger Nähte, welche die eingenähten, breiten, kräftigen und gebogenen Korsettstäbe, anscheinend Wahlknochen, andeuteten. Sie alle schienen sich im Taillenbereich fast zu berühren. Die Form entsprach den alten Abbildungen, welche Kristin schon einmal gesehen hatte. Es waren Kupferstiche oder Gemälde, sogar Karikaturen waren darunter gewesen. Aber alle hatten eines gemeinsam: Es war die perfekte Sanduhrfigur mit ausladender Brust, vollen Hüften und einem reichlich gepolsterten Hintern, aber einer Taille, welche kaum dicker als ein Seil war. Kristin war schockiert, denn sie erkannte dass das Korsett niemals geschlossen werden konnte.
Aber das Mädchen sagte nichts. Sie stieß nur einen tiefen Seufzer aus und blickte entsetzt drein. Die ältere Frau streichelte liebevoll ihre Wange. „Nicht traurig sein, Kleines. Nur für heute, und dann ist alles vorbei.“
Sie öffnete die vorderen Schließen des weißen Satinkorsetts. Klick, Klick, Klick...
Währenddessen sagte das Mädchen mit trauriger Stimme: „Es wird nicht vorüber sein. Ich kenne Stanley Chandler, Nancy. Er hat einen schlechten Ruf. Jeder Tanz, den er jemals gemacht hat, geschah immer nur mit dem Mädchen, welches das engste Korsett trug. Es ist sein Ehrgeiz eine Frau mit einer kleinen Taille zu heiraten und sie zu Tode zu schnüren.“
„Sie übertreiben, Evangeline.“
Nancy tadelte sie.
„Jetzt, den Bauch einziehen und den Atem anhalten bis ich vorne das Korsett geschlossen habe.“
Evangeline nickte und atmete tief ein, sodass ihre Brüste unter dem Leibchen anschwollen. Nancy legte ihr das Korsett um und begann es zu schließen.
Kristin war erstaunt als sie sah, wie leicht das nur leicht gelockerte Korsett über Evangelines Taille geschlossen werden konnte.
„So. Das ist ein sehr langes Korsett“, sagte die ältere Frau. „Sie müssen also sehr gut aufpassen. Denken sie immer daran dass sie ihr Becken nach hinten drücken müssen, sonst drückt die Vorderschließe unangenehm gegen ihr Schambein.“
„Es wird unerträglich sein, was immer ich auch tue...“
„Schhh, schhh, schhh! Sie schaffen das schon.“ Nancy griff den unteren Rand des Korsetts und zog einmal kräftig daran, um Sicher zu gehen dass das Korsett richtig saß. „Sind sie bereit? Ich beginne jetzt mit der Schnürung. Danken sie Gott dass dieses Korsett eine gerade Front hat. Es lässt sie leichter atmen. Sie glauben ja gar nicht welche Mühe ihre Frau Mutter hatte, als ich sie in ihr Hochzeitskorsett schnüren musste! Sie brauchen also nicht in Panik verfallen, sonst werden sie Ohnmächtig. In Ordnung? Jetzt bitte ganz ruhig bleiben. Ich weiß, dass es schwierig ist, aber sie müssen da durch. Sie stimmen mir doch zu?“
Evangeline nickte.
„Gut. Jetzt bitte ihren Magen einziehen und nicht mehr atmen, ich ziehe jetzt an der Schnur. Ich ziehe jetzt die Korsettschnur langsam stramm. Ich fange an.“ Sie hatte die langen Schlaufen der Korsettschnur an der Taille herausgezogen und um ihre Hände gewickelt. Dann zog sie gleichmäßig. Die Korsettschnur glitt geräuschvoll durch die Ösen, und das Korsett knarrte. „Und noch einmal. Bitte nicht erschrecken und keine Angst. Denke daran immer ganz ruhig zu bleiben. Mehr brauchen sie nicht zu tun. Und noch einmal... und...“
„Warte.“ Evangeline keuchte.
Nancy hörte auf an der Schnur zu ziehen, ließ aber nicht locker. „Ich möchte keine Pause einlegen. Wir haben gerade erst begonnen. Je länger wir dafür brauchen, desto schlechter werden sie sich fühlen.“
„Das ist es nicht“, sagte Evangeline atemlos. „Ich fühle mich furchtbar schwach. Nancy, du weißt dass ich seit Tagen nicht richtig geschlafen und kaum etwas gegessen habe, nur um in dieses Korsett zu passen. Ich glaube nicht, dass ich noch länger meine Arme hoch... Ich kann nicht mehr stehen... brauche Hilfe...“
„Natürlich! Einen Moment. Ich muss nur die Schnur sichern.“ Sie machte einen Knoten und ging dann zur Kommode. „Hier sind sie. Schnür- Hilfen. Ich hätte sie früher herausholen sollen. Es sind furchtbare Dinger, nur dafür gedacht eine wahrlich strenge Einschnürung zu unterstützen. Halten sie sich fest, gleich helfe ich ihnen.“ Sie zog einen Stuhl heran und stellte ihn neben dem Bettpfosten, während Kristin fast unbeweglich fasziniert zuschaute. Sie war sich kaum noch bewusst dass sie existierte. Nancy stieg auf den Stuhl und band zwei Schlaufen um Evangelines Handgelenke. Sie zog sie ganz stramm an. Dann band sie die Handgelenke ganz weit oben am Bettpfosten fest. „So. Jetzt werden sie nicht umfallen. Besser?“
„Ich danke dir.“ Evangeline lächelte gequält. Es schien ihr nicht zu gefallen.
„Nichts kann jetzt geschehen. Und sie wissen, dass wenn sie ohnmächtig werden, ich sie nicht wieder aufschnüren kann. Sie werden hier hängen bleiben bis sie sich wieder erholt haben.“
„Ich weiß es.“
„Gut. Dann viel Glück. Atmen sie ein.“ Und wieder begann sie zu ziehen.
Kristin hatte so etwas noch nie gesehen und konnte es sich nicht vorstellen. Sie hatte den Film ‚Vom Winde verweht’ gesehen. Die berühmte Schnürszene vor dem Barbecue war gegenüber dem Olympiareifen Kraftakt, den sie gerade sah, geradezu ein Spaziergang. Nancy war offensichtlich sehr stark. Sie hätte genauso gut das volle Netz eines Fischerboots alleine aus dem Wasser ziehen können. Dagegen sah die Taille des Mädchens sehr zerbrechlich aus. Das ganze Bett bebte. Ja, Kristin bemerkte sogar dass das Bett langsam von der Wand weggezogen wurde. Ein Bett, das sowohl Kristin als auch Bruce nur gemeinsam an die Wand schieben konnten. Sie machte sich langsam Sorgen um Evangeline und hoffte dass ihr nichts geschehen würde. Jenes unmögliche Korsett legte sich langsam immer fester auf die Taille des Mädchens. Immer stärker wurde der Druck. Das Wort ‚stramm’ schien genauso unpassend zu sein, als wenn man das Meer ‚nass’ bezeichnen würde. Und die Taille war noch lange nicht ausreichend geschnürt. Es war die schmalste Taille, die Kristin gesehen hatte, als Nancy das Korsett hochhielt bevor sie es dem Mädchen umgelegt hatte. Es fehlten aber noch fast fünf Zentimeter. Wäre das möglich? Sie konnte sehen, wie hart es für Evangeline war. Das Mädchen stand mit zurückgelegtem Kopf und geschlossenen Augen, sichtbar blass, im flackernden Licht der Lampe. Liefen da Tränen die Wangen herunter? Kristin betete dass Evangeline durchhalten würde, dass sie es schaffen würde mit einer absolut schmalen Taille den Mann zu beeindrucken, der sie eigentlich nicht verdiente... „Halte durch!“, flüsterte sie. Dabei vergaß sie, dass die anderen beiden sie möglicherweise nicht hören könnten. „Du schaffst es! Du schaffst es!“
Plötzlich war alles vorbei. Evangeline gab einen entsetzlich lauten stöhnenden Laut von sich und hing kraftlos an ihren Handgelenken. Nancy ließ vor Schreck die Schnur los, sodass diese wie Schlangen ganz von alleine durch die Ösen glitten. Die Flamme der Öllampe flackerte hell auf und beleuchtete die blasse Evangeline, welche an den Handgelenken hing und ohnmächtig wurde.

Totale Stille.

„Hallo?“, rief Kristin mit krächzender Stimme. „Wo seid ihr?“
Keine Antwort.
Ihr wurde übel. Kristin kroch im Bett herum und suchte die Nachttischlampe. Sie leuchtete noch immer. Der Raum war plötzlich doppelt so hell wie vorher mit der Öllampe. Da war niemand. Evangeline und Nancy waren fort, die Schlaufen hingen nicht mehr am Bettpfosten und die Kommode, aus der Nancy das Hochzeitskorsett herausgenommen hatte, stand auf der anderen Seite des Raumes. Es gab kein Anzeichen dafür, dass sie jemals anwesend gewesen waren, außer eines. Das Bett war wieder von der Wand gezogen worden.
Es war eine warme Nacht, aber Kristin saß auf dem Bett, die Bettdecke über den Schultern, und zitterte.

Kapitel Fünf

Bruce war in den folgenden Tagen etwas irritiert über Kristin. Als er sie nur so zum Spaß fragte, ob es in dem anderen Schlafzimmer gespukt hätte, sagte sie: „Alles in Ordnung. Keine Vandalen, Einbrecher oder so.“ Mehr war aus ihr nicht herauszubekommen. Sie hatte begonnen zwei Schlaftabletten vor der Schlafenszeit einzunehmen, und ihr Geschlechtsleben litt darunter. Keine spontane Erforschung ihrer Körper mehr in der Nacht. Sie schlief wie eine Tote. Außerdem engagierte sie sich nicht mehr so stark beim Aufbau des neuen Finanzprojekts. Sie verbrachte viel lieber die meiste Zeit im Freien und arbeitete im Garten. Ab und zu schaute sie heimlich zu dem Fenster, aus dessen Raum der nächtliche Lärm gekommen war. Sicher, sie schlief nun besser, und Bruce hatte niemals etwas mehr von den Geräuschen gehört. Außerdem fand er es nicht schlecht, denn jemand musste sich ja um den Garten kümmern. Allerdings war er der Meinung, dass die neue Beschäftigung nicht Kristins Intelligenz entsprach. Sie sollte nicht ihre Zeit nur mit Narzissen vertrödeln.

Kristin werkelte im Blumengarten herum. Sie schob eine alte Holzkarre vor sich her. Die Einwohner hatten ihr gesagt dass diese Karre von der ländlichen Oberschicht ‚Korb’ genannt wurde. Sie achtete darauf alles zu lernen, da sie das ländliche Leben genoss. Glücklicherweise wusste sie einiges über Pflanzen, und so hatte sie sehr viel zu tun um jeden Tag außerhalb des Hauses beschäftigt zu sein. Die Rosen waren zum Beispiel nicht einfach nur Blumen. Man musste sie intensiv pflegen.

Sie zog sich die Arbeitshandschuhe an, nahm eine Gartenschere, und begann zu arbeiten. Doch ihre Gedanken waren bei der Szene in dem hinteren Schlafzimmer. Grimmig sagte sie sich dass es nichts war, worüber sie sich Sorgen machen musste. Da geschahen nur Ereignisse aus dem letzten Jahrhundert, welche sich ständig wiederholten. Sollte sich doch das Mädchen zu Tode schnüren, wenn sie es wollte. Schließlich war sie ja schon lange tot. Das ging ihr alles nichts an. Schuld daran waren nur die Augen auf dem verdammten Bild. Diese Augen waren so gemalt, als wenn sie tief in ihr eigenes Herz schauen würden, um einen Kontakt herzustellen...

Da hörte sie ein lautes Geräusch, ganz in der Nähe. Es klang wie das laute Rascheln eines Kleides. Dann vernahm sie einen lauten Seufzer, gefolgt von einem dumpfen Aufschlag, als wenn jemand umgefallen wäre. Kristin sprang auf, als ob sie von einer Biene gestochen worden wäre. Sie konnte nichts sehen, aber etwas den Weg zurück, an einer großen Steinvase, wo sich vier Wege im Rosengarten kreuzten, von dort kamen Geräusche als wenn jemand dort liegen würde...
Kristin lief es kalt dem Rücken hinunter. Sie sagte sich dass es nicht schlimmer sein könnte als das, was sie in dem hinteren Schlafzimmer gesehen hatte. Sie ließ die Gartenschere fallen und ging leicht benommen zu der Steinvase. Als sie dort ankam und auf den Querweg schaute, sah sie ein Mädchen, das sie sofort erkannte. Es war das Mädchen aus dem hinteren Schlafzimmer, das Mädchen von dem Gemälde. Aber dieses Mal trug sie ihr Haar nach oben frisiert. Sie trug einen cremefarbenen Rock, eine himmelblaue Seidenschärpe über ihrer sehr schmalen Taille und eine lockere Bluse. Sie lag auf dem Rücken und ihre vielen weißen Unterröcke sahen aus wie die schäumende Brandung am Strand. Ihr Kopf und die Arme bewegten sich leicht, aber ihre Augen waren halb geschlossen und es war offensichtlich dass sie nicht aufstehen konnte.
Der Anblick von ihr erweckte Mitleid. Kristin blieb nicht stehen um nachzudenken. Stattdessen beeilte sie sich und kniete sich neben dem Mädchen hin. Sie hob das Mädchen hoch. Dabei gab es ein lautes knarrendes Geräusch, und Kristin bemerkte wie steif das Mädchen war. Unter der locker aussehenden Kleidung war sie in einem eng geschnürten Korsett eingesperrt. Sie war steif wie ein Besenstiel. Kristin war erstaunt wie schmal die Taille war. Sie konnte sie fast mit ihren kleinen Händen umgreifen. Wie konnte ein Mensch das nur überleben? Sie war doch viel zu eng geschnürt! Allerdings sah es so aus, als wenn es ihr nicht all zu viel ausmachen würde.
Kristin versuchte das Mädchen vom Kiesweg herunterzuziehen, um es auf dem Rasen bequemer hinlegen zu können. Das ging aber nicht so leicht, denn die Beine des Mädchens schienen teilweise ebenfalls in dem Korsett zu stecken. Kristin erinnerte sich an ihren ‚Erste- Hilfe- Kurs’ und wollte eine Mund- zu- Mund- Beatmung machen. Doch zunächst musste sie den Mund des Mädchens öffnen, um zu überprüfen dass die Zunge nicht den Rachen versperrte.
Nach nur kurzer Zeit bewegte das Mädchen den Kopf und stöhnte leise. Das musste ein gutes Zeichen sein. „Hallo?“, rief Kristin. „Geht es ihnen gut?“
Ohne die Augen zu öffnen murmelte das Mädchen leise: „Mein Korsett... zu eng... niemals 35 Zentimeter... ihr gesagt... ihr...“
Kristin hörte auf dem Kiesweg Schritte näher kommen. Sie sprang auf und drehte sich um. Da war aber niemand. Und als sie sich wieder zurück drehte, war auch das ohnmächtige Mädchen fort. Der Kiesweg, der vorher geharkt worden war, war nun unordentlich und Kristin sah die Schleifspur, wo sie das Mädchen zur Seite des Weges gezogen hatte. Ihr wurde schwindelig. Sie musste sich an der Steinvase festhalten. Dann ging sie langsam zu dem Beet zurück und versuchte sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Dann beschloss sie dass sie genug getan hatte und ging zum Haus zurück. Dabei schaute sie sich immer wieder um.

Kapitel Sechs

„Kristin? Was ist eigentlich los?“
„Hmm? Nichts.“
„Du flunkerst mich an.“ Bruce seufzte und schaute sich seine Freundin genauer an. Sie war ganz blass, ihr Gesicht hatte keine Farbe mehr. Und schlank war sie geworden, richtig mager. Sie aß kaum noch und war ständig nervös. Was Bruce allerdings am meisten beunruhigte war die Tatsache, dass sie sich nicht mehr für das Auf und Ab an der Börse interessierte und keinen Profit mehr erwirtschaftete.
Kristin seufzte ebenso. Sie kam zurück, von wo auch immer sie gewesen war, und schaute ihn in die Augen. „Es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen musst.“
„Du schläfst nicht richtig“, sagte Bruce und zählte die Punkte an seinen Fingern ab. „Dann isst du fast nichts mehr...“
„Ich bin auf Diät!“
„Du machst keine Diät. Ich kenne deine Diät. Jedenfalls zuckst du ständig zusammen und interessierst dich nicht mehr für die Finanzmärkte. Du schaust dich permanent um, als wenn du etwas gesehen oder gehört hast. Und ich bin mir verdammt sicher dass da nichts war. Unser Geschlechtsleben ist auf dem Nullpunkt angelangt. Du scheinst dafür keine Lust mehr zu haben.“
Kristin seufzte wieder. „Das tut mir Leid, Bruce. Ich leide wohl ein bisschen unter dem Wetter.“
Bruces Finger glitten durch ihr dunkles Haar. „Mein armer Liebling. Es war ein Fehler, hier her zu kommen. Wir könnten immer noch nach London zurückgehen, oder irgendwo sonst auf dem Land.“
„Nein! Ich... Ich muss damit klar kommen. Ich muss es begreifen.“
„Ich denke nicht dass du Fortschritte machst, oder?“
Kristin schüttelte den Kopf.
„Vielleicht möchtest du einen Arzt aufsuchen.“
„Nein, Bruce. Ich bin nicht krank. Lass mich einfach in Ruhe, einverstanden?“
„Du kannst nicht erwarten dass ich tatenlos zuschaue wie du immer schwächer wirst. Ich liebe dich doch! Glaubst du wirklich, dass ich nicht fühle wie du...“
Kristin sprang auf, sodass der Küchenstuhl laut auf den Boden fiel. „ES IST GENUG!“
Bruce hörte auf zu sprechen und starrte sie an. Er war zu sehr erschrocken als das er reagieren konnte.
„Bitte... hör auf“, sagte sie etwas ruhiger. „Lass mich einfach machen. Okay? Lass mich... bitte in Ruhe.“ Sie drehte sich um und verließ die Küche. Die ganze Zeit fühlte sie seine Augen in ihrem Rücken.
Sie wusste, dass er Recht hatte. Alles wurde nur schlechter, nicht besser. Der Lärm in der Nacht ging weiter, und sie spürte, dass es eine Beziehungen zwischen sich und dem Mädchen von dem Bild gab. Jenes Mädchen hatte gelitten, und gewissermaßen litt auch sie. Kristin wusste irgendwie, dass nur sie selber das Problem lösen konnte. Aber wie? Wie sollte man jemand helfen, der gestorben war, als die eigene Großmutter geboren wurde?

Kristin hob den langen Rock an, den sie an jenem Morgen ausgewählt hatte, und lief die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dann ging sie die Galerie hinunter zu der Seite des Hauses, um die Aussicht auf das Dorf zu genießen. Sie setzte sich auf einen Stuhl neben dem Fenster hin und streckte ihre Beine aus. Der Kirchturm war unscharf im Morgenlicht zu erkennen.
‚Vielleicht gibt es jemanden im Dorf, der mir helfen kann’, grübelte sie.

Schritte.

Sie versuchte es zu überhören. Vielleicht war es Bruce, aber sie wollte nicht mit ihm reden. Vielleicht war es auch das Gespenst, und das konnte man ignoriert. Sie schaute weiterhin aus dem Fenster hinaus und wollte nicht gestört werden.
Die Schritte kamen näher und blieben hinter ihr stehen.
„Entschuldige“, sagte eine Stimme, die sie kannte.
Kristin drehte sich doch um. Es war das Gespenst. Sie sah es an, wie sie es immer bei dem Bild tat, und das Gespenst blickte ebenso zurück.
„Ja?“, sagte sie.
„Also wirklich, das Benehmen der Zofen heutzutage!“, schimpfte das Gespenst. „Es heißt ‚Ja, Miss’, und du solltest nicht in meiner Anwesenheit sitzen, und du solltest einen Knicks machen wenn du mich triffst!“
Kristin hatte das Gefühl als wenn sie den Verstand verlieren würde. War sie etwa irgendwie ins Neunzehnte Jahrhundert abgerutscht? Sie schaute hinüber zum Dorf und entdeckte nach einem kurzen Moment der Panik die elektrische Umspannstation hinter der Dorfkneipe, sowie einem Range Rover, der gerade auf den Parkplatz fuhr. Da sie immer noch fest mit den eigenen Füßen in der Gegenwart stand, konnte sie mit diesem Phänomen umgehen. Sie stand auf, machte ihren besten Knicks, den sie bewerkstelligen konnte, und sagte: „Ja, Miss?“
„Du kommst mit mir. Ich habe eine Aufgabe für dich.“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen drehte sich das Mädchen um und schritt voran.
Kristin folgte ihr, allerdings sichtlich verwirrt. Das Gespenst hatte sie bisher noch nie bemerkt. Es war bisher nur andersherum gewesen. Jetzt schienen sie zweifellos in der gleichen Welt zu leben, und das erschrak sie. Wieder schaute sie wie eine Besessene aus dem Fenster. Sie sah Autos, Satellitenschüsseln, Strommasten, alles beruhigende Gegenstände. Sie war also immer noch in ihrer eigenen Realität. Zwischen den Fenstern studierte sie das Gespenst.
Evangeline... Evangeline und was? Sie müsste bei den Dorfbewohnern den Namen jener Familie erfragen. Jedenfalls war sie schön wie immer gekleidet. An jenem Morgen trug sie das cremefarbene Satinkleid mit feinem Spitzenbesatz an den Manschetten der Ärmel und am Saum des Rocks, ganz so wie auf dem Bild. Dennoch war das Bild nichts im Vergleich zur Wirklichkeit. Das Kleid lag außergewöhnlich eng an ihrem Oberkörper an. Der mit Spitzen verzierte Kragen reichte ihr bis fast an die Ohren. Vorne drückte er unter ihr Kinn, fast so wie bei der elisabethanischen Halskrause. Auf dem Rücken befanden sich über vierzig kleine Perlmuttknöpfe. Der lange Hals, die langen Ärmel, sowie Satin und Spitze hätten eigentlich die jungfräulichen Tugenden jener Oberschicht vermitteln sollen. Aber das unglaublich enge Kleid wirkte eher sexy. Das Unterkleid presste ihre Schenkel zusammen, sodass sie nur vorwärts kam, wenn sie verführerisch mit den Hüften wackelte. Kristin, die solche Dinge früher schon mal gesehen hatte, wusste anhand der Körperhaltung und Gehweise, dass das Gespenst auch Schuhe mit hohen Absätzen trug, welche irgendwo unter den Massen der bodenlangen Unterröcke verborgen waren. Das Kleid war sehr geschickt genäht worden, denn im Taillenbereich gab es keine Quernaht, an der das Rockteil angesetzt wurde. So wurde eine lange, kurvenreiche Form stilisiert. Selbst die Nähte sahen aus, als wenn sie mit einer Nähmaschine genäht worden waren. Die Schneiderin musste eine wahre Künstlerin gewesen sein.
Kristin überlegte: 'War das Gespenst lebendig? Könnte sie mit ihr darüber sprechen? Immerhin benahm sie sich so als wenn sie lebendig wäre. Vielleicht wäre das die Lösung?'
Das Gespenst ging voran, ihre Röcke rauschten verführerisch. Sie gingen über die Galerie zum hinteren Schlafzimmer, wo sie jede Nacht in einem Korsett eingeschnürt wurde um dann ohnmächtig zu werden. Sie öffnete die Tür und sagte: „Komm herein.“
Kristin bekam eine Gänsehaut und wich zurück. Aber das Gespenst sagte verärgert: „Ich sagte ‚Komm rein’! Ich kann nicht laut rufen wenn ich so eng geschnürt bin!“
Kristin tat wie ihr befohlen wurde. Sie erkannte die Einrichtung von der dort verbrachten Nacht kaum wieder. Das Zimmer war mit allerlei Gemälden und anderen Gegenständen voll gestopft. Lediglich das riesige Himmelbett stand so wie sie es in Erinnerung hatte. Das Morgenlicht strahlte durch die Vorhänge und ließ den Raum freundlich erscheinen, aber das Gespenst sagte: „Ziehe die Vorhänge zu!“
Kristin beeilte sich die Anweisung zu befolgen.
Als die Vorhänge geschlossen waren, schien der Raum sie zu erdrücken und Kristin hatte den Drang davon zu laufen. Doch sie hielt stand. Sie glaubte dass sie eine wichtige Entdeckung machen würde.
„Fein“, sagte das Gespenst und ging zur Tür um sie abzuschließen. Den Schlüssel steckte sie in einen kleinen Netzbeutel, der an ihrer Taille hing. „Also dann.“ Sie drehte Kristin den Rücken zu. „Knöpfe mein Kleid auf.“
Kristin trat näher und begann mit zitternden Händen zu arbeiten. Wegen der geschlossenen Vorhänge konnte sie nicht sehen ob sie noch Verbindung zu ihrer eigenen Realität hatte. Als sie das Gespenst berührte, hatte sie Angst in die Welt des Mädchens zu wechseln.
„Sei sorgfältig, Zofe! Reiße keinen der Knöpfe ab, sonst wird es von deinem Lohn abgezogen. Es sind echte Perlen, und sie haben Vater viel Geld gekostet, das er nicht wirklich hat.“
„Ja, Miss“, sagte Kristin, da ihr sonst nichts anderes einfiel, und machte weiter. Die Knöpfe waren klein, die Knopflöcher so schmal und das Oberteil lag so eng an, dass es eine knifflige Aufgabe war es zu öffnen, ohne etwas zu zerstören. Sie brauchte lange dafür.
„Beeile dich. Ich kann nicht den ganzen Tag warten“, sagte das Gespenst. „Du willst doch nicht dass ich in deinen Armen ohnmächtig werde, oder?“
„Nein, Miss“, sagte Kristin. „Ich habe das noch nie getan. Ich bin nicht sehr gut darin.“
„Das sehe ich! Offensichtlich bist du niemals die Zofe einer Dame gewesen, oder man hat es dir nicht beigebracht. Tu dein Bestes.“
„Ja, Miss“, sagte Kristin und machte weiter.
Nachdem ungefähr einem Dutzend Knöpfe erreichte sie etwas Schwierigeres als die Knöpfe, mit denen sie begonnen hatte. Als Erstes war da ein Band, diesmal in schwarz, welches waagerecht über Evangelines Rücken verlief. Es drückte auf das nach oben geschobene Fleisch. Dann gab es eine Schnur aus einem anderen Material. Es verlief gekreuzt von unten nach oben und war durch sehr starke Ösen gefädelt. Die Schnur war so stramm gespannt wie eine Klaviersaite. Kristin dachte wieder an die furchtbare Szene, der sie in jenem Zimmer beigewohnt hatte. Sie musste sich überwinden weiterzumachen. Es war bestimmt nicht richtig für eine Zofe die Dame wegen etwas Intimes anzusprechen, aber...
„Verzeihung Miss, aber ich kann ihr... ihr...“
„Mein was? Mein Korsett? Natürlich kannst du. Glaubst du dass meine natürliche Körperform wäre? Leider nein!“ Sie lachte bitter. „Das Korsett, Zofe, ist der eigentliche Grund warum du dies tun musst. Fahre jetzt fort, und zwar schnell!“
Kristin tat ihr Bestes. Es dauerte noch einige Minuten bis alle Knöpfe bis zur Hüfte geöffnet waren. Endlich war das komplette Korsett freigelegt. Es war ein phantastisches Ding, erschreckend und faszinierend zugleich. Es bestand aus schwarzem stabilem Stoff. Die aufgestickten Kirschblüten ließen es weiblicher, weniger kraftvoll wirken. Aber dennoch war es offensichtlich schmerzhaft eng geschnürt worden, von jemandem mit extremer Kraft. Evangeline war sich so permanent der Einengung bewusst. Doch da waren noch weitere, kürzere Schnürleisten seitlich der langen Rückenschnürung. Die in dem Korsett eingenähten Korsettstäbe waren trotz der hohen Qualität auszumachen. Der gespannte Stoff in Verbindung mit den Stäben formte die Taille so schmal, dass es Kristin kaum für Möglich hielt. Normalerweise müsste es jede Person umbringen, dennoch war sie da, die junge Dame des Hauses, nicht nur lebendig sondern auch fähig zu gehen und zu sprechen und sogar zu streiten. Unterhalb der Taille verbreitete sich das Korsett zu den Seiten, um Evangelines volle Hüften zu greifen, zu formen. Kristin erkannte dass das Fleisch durch den Druck auf die Taille nach oben und nach unten gedrückt wurde. Die unmöglich stramme Korsettschnur war so weit aus dem Korsett herausgezogen worden, dass bestimmt zwei Meter überschüssig waren. Die überschüssige Schnur war zu einem Knäuel zusammengerollt und unten unter dem Korsett gesteckt worden. Auch die beiden seitlichen Schnürleisten waren komplett geschlossen.
„Fertig?“, fragte Evangeline. „Hast du das Kleid endlich aufgeknöpft?“
„Ja, Miss.“
„Worauf wartest du? Schnür mich auf!“
Kristin zögerte.
„Was um Gottes Willen ist denn?“
„Ich bitte um Verzeihung, Miss.“ Kristin bemerkte dass sie sich langsam daran gewöhnte. „Aber da sind drei Schnürleisten. Welche soll ich lösen?“
„Warum sind alle Zofen nur so dumm? Die Mittlere natürlich! Die anderen zwei sind die Figurregler. Die habe ich nicht gemeint. Lockere jetzt das Korsett, aber nur ein bisschen.“
Kristin zog das Knäuel von Korsettschnur unter dem Korsett hervor. Sie war erstaunt wie lang die Schnur war. Schließlich erreichte sie den Knoten. „Äh, Miss, da ist ein, etwas, ein Stück Strohhalm, er ist in dem Knoten eingeflochten. Was soll ich damit machen?“
„Ah. Wie clever von ihnen, wie, wie hinterhältig! Ziehe es heraus und lege es auf die Frisierkommode, Mädchen. Vergiss ihn nicht.“
Kristin tat wie ihr gesagt wurde.
„Gut. Du wirst ihn wieder in den Knoten einflechten wenn du mich wieder einschnürst. Jetzt löse vorsichtig den Knoten und lockere das Korsett um zwei Zentimeter. Nicht mehr!“
„Ja, Miss.“
Kristin hielt behutsam die Korsettschnur fest und zog an dem Knoten, der die Schnur sicherte. Zuerst geschah nichts. Der Knoten war so fest angezogen, dass er sich nicht lösen ließ. Kristin zerrte an der Schnur, dann noch mehr. Und plötzlich geschah es. Der Knoten war gelöst, die Schnur frei. Die starke Spannung des Korsetts ließ die Schnur durch die Ösen flutschen. Kristins Hände wurden gegen den Rücken des Korsetts gedrückt. Dann fing die Korsettschnur an durch ihre Finger zu gleiten. Evangeline ächzte, und das Korsett ächzte mit ihr. Voller Panik kämpfte Kristin darum, wieder die Schnur in den Griff zu bekommen. Sie verbrannte ihre Finger, aber unter großer Anstrengung gelang es ihr die Schnur zum Halt zu bringen. Ihre Hände brannten fürchterlich. Sehr vorsichtig begann sie das Korsett zu sichern.
„Mein Gott, das ist besser“, sagte Evangeline und lachte. „Ich danke dir. Weißt du, heute kommt ein Künstler, der mich in Öl malen soll. Vater ist der Meinung dass ich dafür mein engstes Korsett tragen soll.“
Sie drehte sich mit laut rauschenden Röcken um. „Und dein Name ist?“
„Kristin, Miss.“
„Kristin? Welch komischer Name! Ich denke dass wir dich besser Mary Ann nennen. Gut, Mary Ann, vielen Dank für das Lockern meines Korsetts. Ich war kurz davor ohnmächtig zu werden.“
„Wirklich, Miss. Sie müssen sich sorgfältiger damit bewegen.“
„Ich bin sorgfältig, glaube mir. Ich tue mein Bestes, aber wenn du jemanden versprochen bist, der will dass du 35 Zentimeter erreichst, kann man nicht vermeiden ohnmächtig zu werden.“
„35 Zentimeter, Miss?“
„Oh ja. Sie haben mein Hochzeitkorsett schon bekommen. Du darfst es niemanden sagen, aber ich habe Angst es anzulegen. Ich glaube nicht, dass ich es bewältigen kann. Ich hoffe, dass Vater, vor der Hochzeit mit meinem Verlobten darüber sprechen kann. Bis ich dann muss ich allerdings mein Bestes geben.“
Kristin war erschüttert. „Sie müssen es ihnen sagen dass es nicht geht, Miss!“
„Das ist nicht gut“, sagte Evangeline. „Sie würden nicht auf mich hören.“ Sie streckte sich ein wenig, sodass das Korsett knarrte. „Du weißt doch wie es ist eine schmale Taille zu bekommen, oder nicht?“
„Nein, Miss. Ich habe niemals ein Korsett getragen.“
Evangeline blickte sie schockiert an. „Niemals ein Korsett getragen? Dann lass dich nicht von meinem Vater erwischen. Hm ja, du trägst merkwürdige Kleidung. Rede mit Frau Chiddom meiner Zofe, und sie wird dir behilflich sein. Also, ich will damit sagen, dass wenn du deine Taille reduzieren willst, dann musst du trainieren. Du musst immer Korsagen tragen, Tag und Nacht, bis du deine richtige Größe erreicht hast. Die Mühen werden immer schwieriger und schwieriger, je kleiner die Taille wird. Und du wirst ohnmächtig werden. Ich kann kaum etwas essen, und bekomme nicht viel Schlaf. Um ehrlich zu sein, ich fühle mich die meiste Zeit unwohl. Das wirkt sich auch auf meine Laune aus. Ich bin sicher, dass du das bemerkt hast. Ich entschuldige mich für mein Verhalten.“
„Ich habe zu danken, Miss“, sagte Kristin, mit einem weiteren ungeschickten Knicks.
Evangeline lachte. „Aber nicht doch. Du warst sehr geduldig. Ich sollte also nicht aufgeschnürt werden, egal was passiert. Deshalb der Strohhalm im Knoten. Es wäre aufgefallen wenn ich das Korsett gelockert hätte. Und alleine hätte ich den Strohhalm nicht wieder in den Knoten bekommen. Als ich dich traf, wusste ich dass entweder ich oder das Korsett gewinnen würde. Ich musste es einfach aufschnüren, oder ich würde ohnmächtig werden. Du hast mich gerettet. Wenn ich dich nicht gefunden hätte, dann läge ich immer noch in der Galerie und hätte warten müssen bis mir jemand die Schnur aufschneidet. Das tut furchtbar weh, wenn ein so eng geschnürtes Korsett aufgeschnitten wird. Und wenn es hinterher wieder auf das alte Maß geschnürt wird, ist es noch unangenehmer. So ist das schon viel besser.“ Sie seufzte erleichtert. „Aber egal wie angenehm es ist. Es kann nicht ewig dauern. Du wirst mich wieder schnüren müssen. Und sei sorgfältig, falls du es noch nie gemacht hast.“
„Das werde ich, Miss.“ Kristin fragte sich worauf sie sich da eigentlich eingelassen hatte, und ob sie je wieder heil aus der Geschichte herauskommen würde. Immerhin hatte das Gespenst den Schlüssel von der Tür. Sie hatte nicht den Mut mit dem Gespenst um den Schlüssel zu kämpfen. So folgte sie Evangeline zu dem Bett, wo sich das Gespenst reckte und so hoch wie möglich an den Bettpfosten griff. Dann, ganz wie in dem Film ‚Vom Winde verweht’, packte Kristin die Schnur und begann zu ziehen.
„Autsch! Halt ein!“
Kristin stoppte, ließ aber nicht die Schnur los. Die Spannung war so groß, dass sie sich in ihre Haut eingruben und sehr wehtaten.
„Ich merke dass du nicht weißt was du tun sollst. Ziehe zu den Seiten, nicht nach hinten.“
„Seitwärts, Miss?“
„Die linke Korsettschnur nach links, und die rechte nach rechts ziehen. Breite deine Arme aus. Dann geht es leichter und die Schnur gleitet besser durch die Ösen.“
„Ja, Miss“, sagte Kristin und begann. Es war zwar leichter, aber immer noch eine anstrengende Arbeit. Und je enger das Korsett geschlossen war, desto anstrengender wurde es für Kristin. Sie war auch sehr um Evangeline besorgt. Das Gespenst hatte offensichtlich Probleme. Ihre Atmung war sehr seltsam geworden. Sie nahm so tiefe Atemzüge, wie es das Korsett erlaubte. Doch viel war es nicht, was sie in ihre Lungen bekam. Dann begann sie bei jedem Atemzug zu stöhnen. Das erinnerte Kristin an die nächtliche Szene im Schlafzimmer. Ihr wurde schwindelig und fast rutschte ihr die Korsettschnur aus den Händen. Sie packte die Schnur, zog aber nicht weiter daran.
„Was ist los?“, keuchte Evangeline. „Warum hast du aufgehört?“
„Ich bitte um Verzeihung, Miss, aber sie sahen so aus, als wenn sie sie nicht wohl fühlen würden...“
„Natürlich fühle ich mich nicht wohl. Das ist aber egal.“ Evangeline verstummte um nach Atem zu schnappen. „Du darfst dich nicht darum kümmern.“ Weiteres Keuchen. „Ich halte das aus. Ich war schon so eng geschnürt als ich dich traf, und“, weiteres Keuchen, „du kannst mich wieder enger schnüren. Nimm also keine Notiz davon.“ Wieder keuchte sie. „Selbst wenn du meinst ich atme nicht mehr, einfach weiter ziehen.“
„Was ist wenn sie ohnmächtig werden?“
„Dann lockere einfach wieder um zwei Zentimeter“, keuch, „öffne so weit wie vorher. Aber nicht mehr als jetzt.“ Sie keuchte als ob sie einen Marathon gelaufen wäre. „Das Riechsalz ist in der“, keuch, „linken kleine Schublade des Waschtischs. Und jetzt ziehe!“
Kristin hatte keine Wahl. Sie zog, und zog, und zog. Immer heftiger, immer stärker. Mit all ihrer Kraft zog sie so lange, bis sich die beiden Schnürleisten fast berührten. Ganz so, wie Evangelines es ihr gesagt hatte. Als ihr fast die Arme ausgerissen wurden, berührten sich die Schnürleisten. Ihre Taille war wieder anmutig.
„Es ist vollbracht, Miss“, sagte Kristin und band einen Knoten. Die Schnur blieb straff. Sie war froh, dass Evangeline nicht ohnmächtig geworden war, aber dennoch war sie beunruhigt. Sie versuchte sich vorzustellen wie es sein müsste in jenem Korsett zu stecken, diesem Druck ausgesetzt zu sein. Doch sie konnte es nicht.
„Gut getan, Mary Ann“, keuchte Evangeline. Sie ließ ganz langsam den Bettpfosten los, als wenn sie befürchtete jeden Moment ohnmächtig zu werden. „Du kannst jetzt mein Kleid zuknöpfen und gehen.“
„Ja, Miss“, sagte Kristin mit einem weiteren Knicks. Sie erinnerte sich daran dass Evangeline sie vor ihrer schlechten Laune im geschnürten Zustand gewarnt hatte. Kristin begann die unzähligen Knöpfe zu schließen. Jene im Taillenbereich waren nicht so leicht zu schließen. Vielleicht hatte das Korsett doch noch etwas nachgegeben. Jedenfalls hatte Kristin ihre Mühe mit den Knöpfen. Schließlich war sie wieder am Hals angelangt und stellte erstaunt fest wie eng der Kragen anlag. Der Kragen hatte ebenfalls kurze Korsettstäbe! Das war ihr beim Öffnen gar nicht aufgefallen. Schließlich war auch Evangelines langer und schlanker Hals einbetoniert. Sie fragte sich ob der Hals genauso wie die Taille trainiert wurde, wagte sich aber nicht zu fragen.
Evangeline schritt laut raschelnd zum Spiegel und bewunderte sich darin.
„Na also“, sagte sie sichtlich zufrieden. Allerdings war sie nicht fähig sich von hinten betrachten zu können. „Bin ich nicht schön?“
„Das sind sie, Miss“, sagte Kristin.
„Und ist das nicht ein hübsches Kleid?“
„Es ist, Miss.
„Und hast du jemals eine Person mit solch einer bemerkenswerten Figur gesehen?“
„Um ehrlich zu sein, nein, Miss.“
Evangeline lächelte. „Ich danke dir, Mary Ann. Das vergütet ein bisschen das Unbehagen dieses furchtbare Korsett zu tragen.“ Sie holte den Schlüssel aus dem Täschchen und schloss die Tür auf. „Und jetzt, Mary Ann“, sagte sie gnädig, „kannst du gehen!“
„Vielen Dank, Miss“, sagte Kristin und lief.
Sie rannte aus dem hinteren Schlafzimmer hinaus, über dem Korridor an dem Fenster vorbei, wo alles begonnen hatte, die Treppen hinunter, nach hinten bis zur Küche. Besorgt fragte sie sich ob sie eine Küche aus jener Zeit, oder eine moderne Küche vorfinden würde.
Es gab einen Mikrowellenherd!!! Sie rang nach Atem, Tränen standen in den Augen. Sie lief zur Mikrowelle und umarmte sie wie einen alten Freund.

„Was um Himmels Willen tust du da?“, sagte eine Stimme.
Sie drehte sich um. Bruce saß am Frühstückstisch.
„Nichts, nichts!“, sagte sie und lächelte weinend. Dann lief sie zu ihm und umarmte ihn.
Er hielt sie ganz fest, redete ruhig mit ihr, um sie zu beruhigen. Plötzlich verkrampfte sie sich und rief: „Oh, nein! Ich habe vergessen den Strohhalm in den Knoten einzuflechten! Sie wird in Teufels Küche kommen, wenn sie es bemerken!“
„Wovon redest du?“, fragte Bruce. Er schob sie sanft weg und hielt sie auf Armlänge, um den Grund ihres Verhaltens herauszufinden. „Liebling, ich glaube du solltest wirklich jemanden aufsuchen.“
„Das werde ich. Ich weiß dass ich Hilfe brauche.“
Das schien ihn zu befriedigen, und er ließ sie los.
„Aber weder Arzt“, fügte sie hinzu, „noch ein Psychiater. Ich muss mit einem alteingesessenen Dorfbewohner reden. Ich muss herausfinden was hier geschehen ist, und wer Evangeline war.“

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