Kristin hatte sich vorgenommen ihre Korsettleidenschaft den Freunden und
Bekannten durch das Auftreten im originalen Kostüm aus der Zeit von König Edward
zu erklären. Das war ja auch der eigentliche Grund der Gartenparty. Sie war eine
Frau die viel von sich hielt, und gerne im Mittelpunkt des Interesses stand. So
empfand sie es als angenehm, wie sie für die vielen Gäste völlig unerwartet oben
auf dem Rasen erschien. Arm in Arm stand sie mit Bruce da und bemerkte entzückt
dass die Gäste ihre Augen nicht von ihr abwenden konnten.
Sie beobachtete mit anmutigem Blick ihre Gäste. Leicht enttäuscht stellte sie
fest dass die Gäste sich ruhig etwas mehr Mühe hätten geben können. Entsprechend
der Einladung war das nicht fair. Ihre Freunde und frühere Kollegen waren alle
gut bezahlte Angestellte und Selbstständige, welche genug Geld hatten um sich
entsprechend dem Motto richtig einzukleiden. Alle trugen, bis hin zu den Socken,
die gleichen Sachen von demselben Designer- Label. Sicher, der Damenschneider
hatte einen guten Ruf, aber das schien Kristin nicht sonderlich zu beeindrucken.
Sie hatte alle zu einer Gartenparty mit dem Motto ‚Die Epoche Edwards’
eingeladen. Warum nur hatte niemand sich die Mühe gemacht wenigstens ein
bisschen der Epoche entsprechend gekleidet zu sein?
Man sah ihr die Enttäuschung leicht an. Als sie und Bruce ins Licht der
Nachmittagssonne heraustraten, gab es ein hörbares Raunen auf dem Rasen, sowie
ein schwaches Murmeln des Erstaunens. Dann begann jemand aus dem Hintergrund zu
klatschen, und einen Moment später taten es alle. Kristin hielt ihren Kopf stolz
aufrecht und sah schon fast so hochnäsig aus wie eine Edelfrau. Sie hatte es
vorher heimlich vor dem Spiegel geübt. Doch dann lächelte sie und war ganz die
charmante Gastgeberin. Das klappte nicht immer. Teilweise weil sie nicht wusste
wie man es richtig machen sollte, teilweise weil ihr Rock und das Korsett sehr
eng waren und sie stark behinderten. Aber eines war gewiss: All die Gäste hatten
niemals eine so bezaubernde Gastgeberin gesehen. Sie waren von Kristin sehr
beeindruckt. Es schien, als wenn sie heller als die Sonne strahlen würde.
„Hallo Kristin! Das hast du also in letzter Zeit getan!“ Küsse auf beide
Wangen wurden mit einer schönen Dame in einem eng geschnittenen roten Anzug mit
schwarzem Besatz und einem passenden schwarzen Strohhut sowie High- Heels
ausgewechselt. „Wir haben uns alle gefragt, warum du London verlassen wolltest.
Aber jetzt sehe ich warum. Erzähle mir über dein Leben als edle Dame!“
„Ja, das ist ein ziemlich prächtiger Ort, nicht wahr?“, sagte Kristin und
schaute auf das große Gebäude, welches oberhalb des Rasens thronte. „Natürlich
benutzen wir das wenigste davon. Wir haben auch nur zwei Helferinnen. Eine ist
unsere Köchin, sie ist aber nicht sehr gut. Und dann haben wir noch Nicky, so
eine Art Zofe und Mädchen für alles. Dort ist sie, mit dem Getränketablett in
der Hand. Sie ist nicht sehr intelligent, gibt aber ihr Bestes.“
„Ich verstehe“, sagte ihre Freundin. „Im Neunzehnten Jahrhundert müssen dutzende
von Angestellten hier gearbeitet haben.“
„Mindestens! Du kannst dir denken dass Fotos aus jener Zeit existieren. Das war
auch einer der Gründe warum ich mich inspirieren ließ diese Party zu
veranstalten.“
„Und ein Grund ist dein Kleid. Gib es schon zu! Wo hast du es her? Es ist
prächtig!“
Kristin machte einen leichten Knicks, um ihren Rock anheben zu können, damit sie
ihrer Freundin andeuten konnte was sich noch darunter verbarg. „Ich muss dir
zustimmen. Es befand sich oben auf dem Dachboden. Hier lebte mal ein Mädchen.
Leider kam es nie zu einer Heirat. Ihre ganze Aussteuer liegt seit dem unbenutzt
dort oben. All diese wunderbaren Kleidungsstücke hat noch nie jemand getragen.
Es wäre ein Verbrechen sie liegen zu lassen. Glücklicherweise hatte sie ungefähr
meine Größe.“
Die Stadtfrau berührte vorsichtig Kristins Taille, als wenn sie es nicht glauben
könnte. „Kristin“, sagte sie leise, „war deine Taille nicht breiter als du in
der Stadt gelebt hattest?“
Kristin zuckte mit den Achseln, und ihr Seidenkleid schien im Sonnenlicht noch
mehr zu strahlen. „Aber sicher. Man muss schon trainieren, wenn man in dieses
Kleid hineinpassen will.“
Ihr Freund schien fasziniert von Kristins Taille zu sein und fragte: „Aber...
wie kann man darin atmen?“
Kristin hatte dies erwartet. Sie hatte die Berichte der Leute auf jener Korsett-
Internetseite gelesen und wusste, dass die meisten Korsettträgerinnen ihre Figur
in der Öffentlichkeit unter locker hängender Kleidung verbargen, um
aufdringlichen Fragen zu entgehen. Sie hatte also diese Frage erwartet und sich
einige Antworten parat gelegt. So antwortete sie: „Es geht so“, und lächelte.
„Tut das nicht weh?“
Das war eine der dümmeren Fragen. Kristin seufzte. „Überlege mal“, sagte sie.
„Sehe ich aus, als wenn ich Schmerzen erleiden würde?“
Keine Antwort.
„Und?“
„Ich denke... nein, nicht wirklich.“
„Glaube mir. Es tut nicht weh. Ich habe mich heute von 58 Zentimeter auf 45
Zentimeter herunter schnüren lassen...“
„Das ist eine 45er- Taille? So etwas habe ich noch nie gesehen.“
Kristin ignorierte diese unwürdige Unterbrechung. „Das verlief über einen
längeren Zeitraum. Man fängt mit einer leichten Reduzierung an, legt eine Pause
ein, und macht dann weiter, bis man merkt dass es genug ist.“ Sie lachte. Dann
fügte sie hinzu: „Und Bruce ist scharf darauf zu helfen!“
„Mag ja sein... Aber warum machst du das überhaupt? Ich meine, ist es nicht das,
was die Frauen Jahrhunderte lang unterdrückte, und was sie bekämpft haben?“
„Sei nicht albern! Nur weil ich ein Kleid aus jener Epoche trage unterliege ich
nicht jenen Gesellschaftsregeln. Ich habe weiterhin meine eigene
Entscheidungsfreiheit und mein Eigentum gehört immer noch mir. Bruce ist ebenso
wenig wie ich der Meinung dass ich ihm zu dienen habe, und er erwartet bestimmt
nicht von mir dass ich wie eine dekorative Puppe herumsitze und den ganzen Tag
Stickereien mache. Die Firma, welche wir hier aufbauen, kommt nicht ohne uns
beiden aus. Wir tun beide unseren Job. Ist doch klar dass wenn ich Sportlerin
wäre, ich nicht so gekleidet herumlaufen kann. Aber das habe ich auch nie
gewollt. Da ich hauptsächlich mit dem PC arbeite, kann ich mich auch so
gekleidet davor setzen.“
„Aber... warum willst du das?“
„Weil ich es einfach machen will, darum! Warum stürzt sich dein Freund mit einem
Gummiseil an den Füßen kopfüber in die Tiefe? Warum besteigen Menschen den Mount
Everest? Das tun sie doch nur, weil sie es wollen, und niemandem einen Schaden
dabei zufügen. Wenn ich Bergsteigerin wäre, könnte es passieren dass Bruce
heimkommt, und ich liege mit einem gebrochenen Fuß im Bett, oder ich käme nie
mehr daheim. Sich eine schmale Taille zu schnüren ist ein viel sicheres Hobby,
auch wenn es nicht das ist, was heutzutage bewundert wird.“
„Bist du sicher, dass es ungefährlich ist? Es kann doch nicht normal sein seinen
Körper zu verformen.“
„Du weißt einfach viel zu wenig darüber. Nur das was man sagt oder was du im
Fernseher gesehen hast reicht nicht. Wie denkst du denn über mich?“
Die andere Frau nickte.
„Denke mal nach. Alles was wir über Korsagen wissen, stammt von Frauen die
selber Korsagen trugen. So ging das von Generation zu Generation weiter. Alle
schnürten ihre Taillen eng ein, bekamen Kinder, und diese taten es ebenso. Diese
Frauen waren weit aus enger geschnürt als ich und erfreuten sich dennoch an ihre
Enkelkinder. Natürlich könnte ich mir wehtun wenn ich etwas Dummes mache, aber
das kann mir auch mit einem Auto passieren!“ Sie schnaufte. Dabei bemerkte
Kristin dass sie ihren Kopf wieder so hochnäsig hielt wie die Damen in jener
Zeit. Kristin legte eine Pause ein um sich zu beruhigen und ihren Atem wieder zu
normalisieren. Sie war verärgert, und das war undamenhaft und das geziemte sich
nicht für eine gute Gastgeberin. Mit leiserer Stimme sagte sie: „Bitte, höre
jetzt mit den albernen Fragen auf. Sei lieber ein netter Gast und amüsiere dich
auf unserem Fest. Ich muss mich jetzt um die anderen Gäste kümmern. Wir sehen
uns später.“
Nach einer halben Stunde war Kristins Lächeln arg strapaziert. Der Grund war
nicht das Korsett, welches zweifellos anfing zu drücken. Einige Gäste bemerkten
die Veränderung an Kristins Verhalten und schoben es natürlich auf das Korsett.
Nein, sie hatte einfach nur die Nase voll. Fast jeder Gast hatte die gleichen
Fragen gestellt. Kristin fühlte sich fast krank und unendlich müde. Die Leute
waren alle so unwissend, so engstirnig! Alle nahmen sich das gleiche Recht
heraus zu bestimmen was richtig sei und was nicht. Sie konnten einfach nicht
akzeptieren dass Kristins Projekt keine Missgeburt des Geistes war und nicht das
Ziel hatte den Körper zu entstellen. Kristin verstand endlich warum all jene
Damen aus dem Internet ihre korsettierten Taillen in der Öffentlichkeit
verdeckten. Es war traurig. Man mühte sich ab eine prachtvolle Taille zu
bekommen, und konnte es niemand zeigen. Wieso waren die Menschen nur so dumm?!
Nachdem sie ihre Erklärung zum zwanzigsten Mal von sich gegeben hatte, fühlte
sie dass sie bei der nächsten dummen Frage vor Zorn explodieren würde. So sagte
sie: „Bitte entschuldigen sie mich kurz.“ Dabei setzte sie ihr charmantestes
Lächeln auf und ging laut raschelnd zum Irrgarten.
Sie und Bruce hatten diesen Ort den Irrgarten getauft, als sie in das Haus
einzogen. Natürlich war es kein richtiger Irrgarten. Man musste sich schon sehr
anstrengen um sich darin verlaufen zu können. Aber von dort konnte man sehr gut
das große Haus bewundern. Auf alten Fotos hatten sie gesehen, dass früher einmal
die Hecken zu Schachfiguren beschnitten waren. Dazwischen hatte man andere
Büsche gepflanzt. Inzwischen war alles zugewachsen. Nur ein paar Schritte in
einen der Seitenwege hinein, und man war alleine. Kristin kehrte an einer
riesigen Schachkönigin nach rechts ab, sie hatte den Busch in mühevoller
Kleinarbeit zurechtgeschnitten, und ging über einen Weg, der fast zugewuchert
war. Dort blieb sie stehen. Sie bedauerte es so eng geschnürt zu sein. Kristin
gab einen seichten Seufzer von sich, mehr konnte sie in dem engen Korsett nicht
machen.
„Hallo!“, sagte eine vornehme Stimme. „Ich wurde ihnen noch nicht auf der Feier
vorgestellt.“
Kristin drehte sich hastig herum. Das Gespenst stand vor ihr. Ihr bleiches
Gesicht hatte auf den Wangen kleine rosa Flecken. Ihr hoch gedrückter Busen war
unter dem engen und weißen Kleid gut zu erkennen. Um ihre kleine Taille schlang
sich eine breite, hellblaue Satinschärpe, die farblich zu dem Band passte,
welches ihren riesigen Strohhut umgab. Kristin lauschte angestrengt und vernahm
leise Geräusche einer Party, welche auf dem Rasen stattfand. War es nun ihre
Party, oder eine Fest aus dem Neunzehnten Jahrhundert? Das war aber nicht
wichtig, darum würde sie sich später kümmern. „Kristin Campbell“, sagte sie und
hielt dem Gespenst ihre in dem Handschuh steckende Hand hin. „Sehr erfreut sie
zu treffen.“
Evangeline schaute sie etwas verstört an. „Das ist wirklich nicht die Etikette,
aber... gut, ich nehme an dass es niemanden gibt, um uns einzuführen, und
immerhin sprach ich mit ihnen zuerst. So ist es meine Schuld ebenso wie ihre.
Ähem! Also, ich bin die Tochter des Gastgebers, Evangeline Gerattyng, wie sie
wahrscheinlich gehört haben. Es ist eine ziemlich gute Feier, denke ich. Aber
irgendwann wird es dann einen zu viel, wenn man nicht so viele Gäste gewöhnt
ist. Ich kam hier her um meinen Atem zurückzubekommen.“
Kristin schaute auf die besorgniserregend schlanke Taille des Gespenstes. ‚Sie
wird es niemals bewältigen’, dachte sie, konnte es aber nicht sagen. Ein Mädchen
jener Zeit wäre zutiefst schockiert gewesen. Außerdem glaubte Kristin dass sie
Solidarität zeigen musste. Die arme Evangeline hatte sich offensichtlich sehr
einsam während der schlimmen Monate gefühlt. Tagein, Tagaus hatte sie das
Korsetttraining für das unmögliche Hochzeitkleid erlitten. Ein wenig Mitleid von
einer ähnlich Betroffenen könnte ihr vielleicht helfen. „Ja, sicher, eigentlich
sollte ich das nicht sagen... aber... können sie nicht ein wenig näher kommen?“
Evangeline raschelte langsam näher heran. Ihr Rock schwang wundervoll, und das
Rauschen der vielen Rüschen glich fast einem Wasserfall. Kristin beugte sich
leicht nach vorne, sodass ihr Korsett gefährlich knarrte und sich schmerzhaft in
ihren Unterleib drückte. Sie sagte mit leiser Stimme: „Das ist das engste Kleid
dass ich jemals getragen habe, Miss Gerattyng, und ich denke dass es mich
erregt. Ich habe aber Angst dass dies nur geschieht wenn ich dieses
fürchterliche Korsett trage. Ich kann kaum darin atmen.“
Evangeline schaute sie einen Moment erstaunt an und errötete. Dann bekam sie ein
scheues Lächeln. „Sie arme“, sagte sie leise. „Ich weiß genau was sie meinen.“
„Das sieht man ihnen an.“ Beide kicherten verschämt. Kristin wurde von einer
wahren Freudenflut überwältigt, sodass sie fast den Atem in dem engen Korsett
verlor. Das war das erste Mal dass sie Evangeline glücklich gesehen hatte.
Bestimmt bedeutete es dass sie auf dem richtigen Weg war!
„Wissen sie“, sagte Evangeline, dabei neigte sie sich vor und flüsterte fast,
„es fühlt sich irgendwie schön an wenn man sehr eng geschnürt wird, nicht wahr?
Es kribbelt so merkwürdig.“
„Sie meinen unten am Ende der Vorderschließe? Und dann dieses leichte
Schwindelgefühl, das kommt wenn man kaum atmen kann? Ich weiß. Es ist manchmal
wie im Himmel, ist es nicht so?“
Evangeline lachte und hatte ein fröhliches Gesicht. „Ja. Aber manchmal ist es
anders.“ Sie lächelte Kristin vertraulich an. Dann stellte sie sich wieder so
hin, dass die übliche höfliche Distanz gewahrt war, und sprach: „Das ist aber
ein wirklich hübsches Kleid. Wer hat es für sie gemacht?“
„Ich weiß es wirklich nicht“, sagte Kristin. „Jemand anderes kümmert sich um
diese Dinge.“
„Ah, sehr richtig. Ich werde sehen, was meine Damenschneiderin tun kann, wenn
ich ihr darüber erzähle. Ich glaube, dass es zu meiner Aussteuer passen würde.
Sind sie derselben Meinung?“
„Auf jeden Fall. Ich habe so ein Gefühl, als wenn wir gegenseitig unsere
Kleidung tragen könnten... mit ein wenig Anpassung in der Mitte.“ Sie legte ihre
Hände auf ihrer Taille, welche trotz enger Schnürung viel dicker war als
Evangelines erstaunliche Taille.
„Ja, sie haben Recht“, sagte das Gespenst. „Aber ich habe auch schwerlich für
diese Taille gearbeitet, das kann ich ihnen sagen. Mein Verlobter will dass ich
einen Taillenumfang von 35 Zentimeter habe wenn wir heiraten, und...“ Sie
verstummte, da die Kirchturmuhr fünf Mal schlug. „Ich danke ihnen für das
lockere Gespräch.“
„Locker ist nicht die richtige Bezeichnung, Miss Gerattyng!“
„Sicher, aber sie wissen was ich meine. Jetzt muss ich gehen. Papa will das
Hochzeitsdatum verkünden und möchte dass ich anwesend bin wenn er seine Rede
hält. Bitte entschuldigen sie mich.“ Sie hob ihre Röcke hoch und enthüllte dabei
weiße Knopfstiefel mit sehr hohen Absätzen. Mit erstaunlich flinken Schritten
verschwand sie hinter der nächsten Hecke.
Kristin folgte langsamer. Sie fühlte sich erleichtert dass das Mädchen
verschwunden war und keine Fußabdrücke auf dem geharkten Weg hinterlassen hatte.
Als sie wieder an der Wiese angelangt war, sah sie die Gäste, welche sie und
Bruce eingeladen hatten. Einige hatten ein Handy am Ohr. Sie war also nicht mehr
in der Vergangenheit.
Sie konnte sich auf keine Konversation mehr konzentrieren. Sie hatte immer noch
das Gespräch mit Evangeline im Kopf. Da das Gespräch so locker und intim
verlaufen war, hatte sie die Hoffnung dass sie sich näher gekommen waren, fast
wie Freunde. Vielleicht war dies das Ergebnis ihrer Bemühungen...
Später an jenem Abend saßen Kristin und Bruce im Wohnzimmer vor dem Kamin, in
dem ein großes Holzscheit brannte. Es war ein warmer Abend im Spätfrühling und
das entfachte Kaminfeuer war eigentlich zu heiß, aber Kristin war der Meinung
dass der große Raum geradezu nach einem warmen Kaminfeuer schrie. Bruce ließ sie
gewähren. Er hatte sich seiner Anzugsjacke, der Weste, und seiner Krawatte
entledigt. Kristin hatte ihn gebeten ihr das exquisite Kleid auszuziehen sowie
das Korsett so weit zu lockern, dass ihr Taillenumfang wieder 50 Zentimeter
betrug. Sie hatte sich ihr Teekleid angezogen und saß mit übereinander
geschlagenen Beinen in einem großen Ledersessel. Es herrschte eine ruhige,
zufriedene Atmosphäre in dem Raum. Beide fühlten sich seit ihrer Ankunft auf dem
Landgut zum ersten Mal so richtig wohl in ihrem neuen Zuhause.
„Schön“, sagte Bruce und legte seine Füße auf den Mahagonitisch. Er kreuzte
seine Beine und entspannte sich bei einem Getränk. „Ich denke dass die Party ein
wirklicher Erfolg war, meinst du nicht auch?“
„Füße runter vom Tisch, Bruce!“, tadelte sie ihn.
Lachend legte er seine Füße auf dem Fußboden zurück.
Kristin sagte: „Irgendwo müsste es doch eine Fußbank in dem großen Haus geben,
von dem du... Ich habe irgendwie gemischte Gefühle. Die Menschen sagen die
dümmsten Sachen wenn sie jemand eng geschnürt sehen.“
„Noch“, sagte Bruce. „Jetzt wissen sie es wenigstens!“ Er gähnte und rutschte in
dem roten Ledersessel immer tiefer hinunter. Er legte wieder seine Füße auf den
Tisch.
„Bruce! Weißt du dass jemand wegen dir den Tisch polieren muss?“
„Jedenfalls nicht du!“
„Nein, aber es gehört sich nicht Dreck auf einen schönen Tisch wie diesen zu
verteilen. Stelle bitte deine Füße auf den Fußboden. Wenn du sie schon auf den
Tisch legen willst, dann lege bitte einen Schonbezug darunter. Den kann man
wenigstens waschen.“
„Schonbezug“, sagte Bruce und setzte sich wieder gerade in dem Sessel hin. Das
Wort ging ihm nicht aus dem Sinn. „Schonbezug. Das ist ein hübsches Wort, oder?
Genau die Art, wie eine damalige Frau es ihrem Ehemann sagen würde. Legen sie
bitte ihre Füße nicht auf den Tisch, sondern legen sie bitte einen Schonbezug
darunter.“
„Wir sind nicht verheiratet“, sagte Kristin verschnupft.
„Wir könnten es längst sein, wenn du nicht so nörgeln würdest.“
„Pffft!“
„Bitte sei nicht eingeschnappt, Honey! Ich necke dich doch nur. Du weißt, dass
ich nur dich allein haben möchte. Wo kann ich sonst jemand finden, welche einen
Netzwerk- Server installiert und obendrein eine geschnürte Taille hat? Nicht zu
vergessen dass ich es sehr gerne an dir sehe und dich umso mehr liebe!“
„Pass auf, sonst nehme ich dich beim Wort!“, sagte Kristin mit einem hübschen
Lächeln.
„Wenn du möchtest.“
Es war still in dem Raum. Nur das prasselnde Feuer und das Ticken der mächtigen
Standuhr waren zu hören.
„Meinst du nicht wir sollten das Feuer ausmachen?“, fragte Bruce höflich. „Ich
schwitze!“
„Sei nicht ordinär“, antwortete Kristin und genoss die Pose einer Lady. „Pferde
schwitzen. Herren transpirieren, aber Damen glühen nur. Mal davon abgesehen,
wenn du einen Eimer Wasser in den Kamin schüttest, wirst du nur eine große
Schweinerei verursachen.“
„Wenn du das sagst.“ Er schob den Sessel weiter zurück. Zu Kristins
Erleichterung war er auch somit weit genug vom Mahagonitisch entfernt.
Es entstand wieder eine Pause und holte sich ein Getränk.
„Kristin... hattest du nicht gesagt dass ihr Hochzeitkleid oben auf dem
Dachboden bei ihren anderen Sachen ist?“
„Stimmt. Es hängt noch dort. Ich hatte es herausgeholt und über eine
Schneiderpuppe gehängt. Die Schneiderpuppe muss wohl für das Kleid gemacht
worden sein, denn es passt genau darauf. Es ist wirklich großartig. Dir hatte
doch das Kleid, welches ich auf der Gartenparty trug, sehr gut gefallen. Aber
das ist noch gar nichts im Vergleich mit dem Hochzeitkleid. Es ist ein wahres
Kunstwerk, und es ist ein Verbrechen dass es niemals getragen wurde. Ich
wünschte mir ich könnte es tragen, aber ich werde wohl nie so viel Zeit haben,
um mich meine Taille bis auf die 35 Zentimeter schnüren zu können, die man für
dieses Hochzeitskleid braucht.“
„Fünfunddreißig Zentimeter!“
„Ja, das ist schon was. Man kann gar nicht glauben dass es niemand tragen kann.
Auch sie konnte es nicht.“
Bruce schaute aus dem Fenster. Die Sonne ging im Westen langsam unter. Es war
aber noch eine halbe Stunde bis zum Sonnenuntergang. „Sollen wir nach oben gehen
und es uns anschauen?“
„Was, jetzt?“
„Ja, jetzt!“
„Oh... Ich denke schon. Kannst du mir helfen?“
Bruce stand schnell auf, ging um den Mahagonitisch herum, auf der entgegen
gesetzten Seite des Kaminfeuers, und half Kristin aufzustehen. Als sie auf ihren
Füßen stand, band sie auf Taillenhöhen einen Bindegürtel um das Teekleid und
sagte: „Okay. Du willst meine Schätze sehen. Fangen wir also mit meiner
Schatztruhe an. Es ist Wert einen Blick hineinzuwerfen. Du warst noch nicht auf
dem Dachboden, oder?“
„Nein, ich war noch nie an altmodischen Sachen interessiert. Ich interessierte
mich immer für die Zukunft, das Internet, Computer und so. Ich hatte immer
gedacht, dass die Sachen, welche auf einem Dachboden verstauben, nichts Wert
seien.“
„Tja, dann hast du bisher falsch gelegen“, sagte Kristin mit einem diebischen
Lächeln und stemmte ihre Hände in die Taille. „Komm`, lass uns nach oben gehen.“
Sie ging voran.