Kristin konzentrierte sich darauf, wie sie die immer größer werdende
Steuerbelastung minimieren könnte und nicht gleichzeitig ohnmächtig zu werden,
weil sie seit dem Vormittag ein Korsett mit einem Taillenumfang von 38
Zentimeter trug. Plötzlich hörte sie einen undamenhaften Ruf aus der
Empfangshalle: „Miss Campbell! Da ist eine Dame, die sie sehen will!“
Kristin seufzte und ging zur Tür. Sie rief: „Wer ist es denn?“
Sie konnte Nicky zwar nicht sehen, aber dafür vernahm sie einen belustigt
klingenden Unterton in der Stimme als Nicky antwortete: „Sie sagt, sie wäre ihre
Mutter!“
„Oh, Gott!“, sagte Kristin, aber immer noch leise genug damit es niemand
vernahm. Kristin trug ein gerüschtes Teekleid über dem Trainingskorsett, und sie
wusste verdammt gut dass ihre Mutter es nicht für gut heißen würde. Mama war
sowieso immer gegen ihren Lebensstil gewesen. Sie hätte gern gesehen wenn sich
Kristin ihren Vorstellungen gefügt hätte. Sie hatte immer davon geträumt dass
ihr Tochter einen Architekten heiraten, Kinder bekommen, diese auf eine
Privatschule schicken, und ansonsten die brave Hausfrau spielen sollte. Sie war
immer dagegen gewesen dass Kristin als junge Frau nach London gegangen war.
Eigentlich fand sie den unkonventionellen Lebensstil ihrer Tochter nicht sehr
gut. Wobei zu bemerken ist, dass das Wort ‚unkonventionell’ eines der
schlimmsten Wörter ihres Vokabulars war, denn Kristins Mutter war immer darauf
bedacht sich sehr vornehm zu benehmen. Kristin hatte ihr über die geplante
Hochzeit erzählt, aber absichtlich nicht das vorherige Training erwähnt. Sie
hatte gehofft, dass ihre Mutter erst am Hochzeitstag erscheinen würde. Und da
wäre es zu spät für Vorwürfe gewesen. Nicht einmal die rechthaberischste Mutter
würde einer Braut befehlen nach Hause zu gehen um sich umzuziehen. Aber nun war
sie da, eine ganze Woche zu früh. So musste Kristin ihr in jenem gerüschten
Teekleid und einem nicht zu übersehenden Trainingskorsett gegenüber stehen. Es
half alles nichts, da musste sie durch. Sie überprüfte noch einmal ihre Frisur,
eine Nachahmung der Frisuren, welche die Damen damals trugen. Bruce war in den
letzten Wochen ein wahrer Experte geworden und frisierte sie besser als jeder
Frisör des Landes. Kristin zupfte das gerüschte Teekleid zurecht, in der
Hoffnung dass er einen Großteil ihrer dramatischen Figur verdecken würde. Dann
ging sie zur Treppe.
Sie wusste verdammt gut wie beeindruckend sie aussah als sie nach unten ging.
Ihr Teekleid öffnete sich vorne etwas, sodass man ihre schönen Beine sehen
konnte. Natürlich war ihre schmale Taille nicht zu übersehen. Aber sie wusste
auch dass ihre Mutter nicht wie jeder andere Mann oder jede andere Frau vor
Erstaunen keuchen würde. Ihre Mutter würde diese außergewöhnliche Kleidung nicht
tolerieren und wäre auch nicht davon beeindruckt. Als Kristin die letzte Stufe
hinunter geschritten war, und mit eleganten Schritten über dem Marmorboden ging,
betrachtete sie ihre Mutter. Sie trug ein perfekt sitzendes rotes Kostüm. Die
Jacke hatte einen klassischen Schnitt. Dazu trug sie einen passenden knielangen,
gerade geschnittenen Rock und edle Pumps mit leichtem Absatz. Sie zog ihre
Augenbrauen zusammenkommen. Etwa so, als wenn sie sagen wollte: „Zieh das aus!“
Kristin musste sich geschickt anstellen, um die Situation meistern zu können.
„Hallo, Mama. Willkommen auf unserem Landgut! Warum bist du denn schon eine
Woche vorher gekommen? Du weißt doch dass die Hochzeit erst am Fünfzehnten
stattfindet!“ Als Kristin das gesprochen hatte, standen sie voreinander und gab
ihr zur Begrüßung einen Wangenkuss.
„Ich dachte mir dass du vielleicht meine Hilfe benötigst bei der Vorbereitung.
Krissie, mein Liebling, was trägst du da?“
‚Es geht schon los’, dachte Kristin und sagte: „Es ist ein Teekleid, etwa 100
Jahre alt. Ich fand ihn auf dem Dachboden. Ist er nicht hübsch?“
„Läufst du etwa den ganzen Tag so herum?“
„Wenn ich Lust darauf habe, ja. Das ist der Vorteil wenn am zu Hause arbeitet.
Dann braucht man sich nicht für einen Chef oder Kunden konventionell zu
kleiden.“
„Liebling, du wirst dich erkälten!“
„Nein, werde ich nicht. Das Haus hat eine Zentralheizung. Das war das Erste um
das wir uns gekümmert haben, als wir hier einzogen. Wie dem auch sei, ich bin
mir absolut sicher, dass ich mindestens genau so viele Kleidungsstücke trage wie
du, da eine Frau entsprechend der Edwardianischen Mode sehr viel mehr
Unterkleidung trug.“ Kaum hatte sie das gesprochen, wurde ihr klar dass sie
einen Fehler gemacht hatte. Es gibt ein chinesisches Sprichwort, dass da lautet:
„Ein Wort, dass einmal ausgesprochen wurde, kann von keinem Pferd der Welt
überholt werden.“
Augenblicklich antwortete ihre Mutter: „Ja, Krissie, das weiß ich. Wie ich sehe
trägst du ein Kor...“
‚Lass dir schnell was einfallen’, dachte Kristin. Und da kam ihr auch schon der
rettende Gedanke. Vielleicht waren das enge Korsett, oder die Situation der
Auslöser, aber sie schnitt ihrer Mutter das Wort ab, indem sie sagte: „Warte mal
kurz, Mami! Hast du schon Bruce getroffen?“
„Nein, aber...“
„Dann musst du ihn jetzt sehen! Komm mit nach oben!“ Kristin drehte sich schnell
um, sodass ihre Kleidung laut rauschte und dann schritt sie mit anmutiger
Körperhaltung die Treppe hinauf. So laut ihr die 38 Zentimeter reduzierte Taille
es zuließ, rief sie nach Bruce. Das hatte zwar nichts zu bedeuten, aber in jenem
Moment reichte es aus ihrer Mutter keine Entschuldigung vortragen zu müssen
warum sie eine derart einengende Kleidung trug. Auf jeden Fall schien Kristins
Plan zu klappen. Bruce erschien, bevor sie die letzten Stufen der Treppe
erreicht hatten. Kristin überbrachte ihn die freudige Nachricht dass ihre Mutter
angekommen war, um sie zu besuchen, und dass sie natürlich den Rest des Tages
gemeinsam mit ihrer Mutter verbringen müssten. Bruce war zwar sehr beschäftigt,
aber er wusste auch von den Problemen die Kristin mit ihrer Mutter hatte, und so
fügte er sich ohne zu Murren.
Aus Erfahrung wusste Kristin dass sie ihre Mutter beschäftigen musste, damit sie
nicht an ihr herum mäkeln könnte. Während Bruce sich mit ihrer Mutter
unterhielt, zog sie sich mit Nicky auf ihr Schlafzimmer zurück, um sich ein
schönes Ausgehkleid anzuziehen. Der Taillenumfang wurde aber um fast einen
Zentimeter gelockert. Kristin wusste dass dies nicht der geeignete Zeitpunkt war
bis an ihre Grenzen zu gehen. Sie bräuchte Kraft, falls es eine Diskussion geben
könnte.
Dann kam sie herunter. Kristin unterstütze Bruce als er ihrer Mutter die
Geschichte des Landguts erzählte, wie es sich entwickelt hatte, und was sie
alles für das Anwesen geplant hatten. Schließlich war es Teezeit. Sie tranken
ihren Tee und knabberten Gebäck. Am meisten beeindruckt war Kristins Mutter
jedoch von dem edlen Besteck des Anwesens und dem antiken Teeservice.
Nachdem sich Kristin den passenden Mantel und ein Halstuch umgelegt hatte,
führten sie ihre Mutter hinaus zum eigenen Wagen. Es war deren Geschäfts-
Limousine, der gehobenen Klasse, und somit große genug für Kristin. Sie konnte
sich trotz ihres Trainingskorsetts und den engen Röcken einigermaßen bequem
hinsetzen und die lange Fahrt genießen. Bruce fuhr die beiden Frauen durch die
malerische Landschaft und zeigte seiner zukünftigen Schwiegermutter wie groß
einst die Grafschaft gewesen war, und wie viele Bauernhöfe, Felder, Wälder und
Weiden einst nötig waren um das Landgut zu finanzieren. Er erzählte aber auch
von den vielen Problemen mit dem Denkmalschutz, und wie sehr die Auflagen die
Erhaltung der Gebäude verteuerten. Als die Abendsonne anfing zu glühen, kehrten
sie wieder heim.
Es war Zeit sich für das Abendessen umzuziehen.
Frau Campbell, Kristins Mutter, hatte natürlich kein passendes Kleid für das
Abendessen mitgebracht. Woher sollte sie auch wissen, dass Bruce und Kristin in
Harmonie mit dem ehrwürdigen Anwesen lebten? Bruce beeilte sich nach oben zu
gehen, und kämpfte im gemeinsamen Schlafzimmer mit dem gestärkten Hemd, dem
steifen Kragen, der schwarzen Schleife (Vorläufer der Krawatte) und der engen
Weste, während Kristin einen Knicks machte und sich ebenfalls von ihrer Mutter
für kurze Zeit verabschiedete. Sie rauschte so schnell es ging die Treppe
hinauf, dabei fing sie rasch an zu keuchen. Kristin wusste, dass Nicky in dem
hinteren Schlafzimmer, wo sie all ihre Korsagen aufbewahrte, mit einem
Rüschenseidenkleid auf sie wartete. Das Kleid benötigte allerdings von der
Trägerin einen Taillenumfang von 36 Zentimeter. Dieses Mal war Kristin aber fest
entschlossen sich trotz der schmalen Taille hinzusetzen und ein wenig zu essen.
Jedenfalls wollte sie es, allein schon deshalb, um nicht die Köchin zu
beleidigen. Kristin wusste dass es sich für die Dame des Hauses nicht gehörte
ein Gericht unberührt zur Küche zurückgehen zu lassen. Sie wollte nicht nur so
gekleidet sein wie die damaligen Damen, sondern sich auch entsprechend vornehm
benehmen.
Sie wollte dem Abendessen einen gewissen Glanz geben. Sie war der Meinung, dass
je härter sie sich darauf vorbereiteten würde, ihre Bemühungen einen Sinn
bekamen. Außerdem hatte sie Spaß daran alles so perfekt wie möglich zu
gestalten.
Kristin wusch sich und trocknete sich hinterher ab. Mit Hilfe eines Föhns
richtete sie wieder ihre Frisur. Die Hilfe des elektrischen Geräts gestattete
sie sich nur deswegen weil sie ein wenig unter Zeitdruck stand. Schließlich war
sie bereit und rief nach Nicky, damit diese ihr das Korsett aufschnüren sollte,
denn für den Abend hatte sie ein anderes Korsett vorgesehen.
Die beiden befanden sich mitten im Kampf das neue Korsett immer enger zu
schnüren, als es an der Tür klopfte.
„Einen Moment!“, rief Kristin. Sie wusste nur zu genau wer da klopfte. Mit
leiser Stimme sagte sie: „Nicky, mach einen Knoten. Pass auf dass die Schnur
nicht aus den Ösen rutscht.“ Als der Knoten gebunden war, ließ Kristin den
Bettpfosten los und sagte: „Wer ist da?“
„Ich bin es, meine Kleine!“, rief Kristins Mutter. „Ich möchte mich gerne mit
dir unterhalten. Bruce hatte mir gesagt dass du dich immer hier umziehst.
Warum?“
„Das ist für uns leichter, sonst kommen wir uns in die Quere, Mama. Außerdem
gefällt es mir ihn mit einem großen Auftritt zu überraschen.“
„Ich verstehe. Darf ich reinkommen?“
„Um ehrlich zu sein, lieber nicht. Kannst du nicht bis zum Abendessen warten?“
„Ungern. Nein. Ich möchte mich mit dir alleine unterhalten.“
„Oh, Gott!“, sagte Kristin, zum Glück nicht laut genug für ihre Mutter, welche
immer noch auf dem Flur stand. Allerdings hörte sie das Kichern von Nicky und
fragte sich was so komisch sei. Etwas lauter sagte Kristin: „Bitte versteh doch,
Mama. Nicky hat mich schon halb angezogen, und ich will das jetzt nicht
unterbrechen.“
„Oh, das macht mir nichts aus“, sagte ihre Mutter. Sie verstand nicht worin das
Problem liegen sollte. „Ich bin sicher, dass ich helfen könnte, falls nötig.
Darf ich jetzt reinkommen?“
Kristin fiel kein wichtiger Grund ein, der dagegen sprach. „Ja, bitte.“
Die Tür öffnete sich und Frau Laetitia Campbell trat ein. Sie sah ihre Tochter,
welche am Bettpfosten stand und das Abendkorsett trug. Ihre sorgfältig gezupften
Augenbrauen hoben sich an, ihre Nasenflüge bebten kurz und ihre Lippen warten zu
dünnen Strichen zusammengepresst. Sie schwieg. Dafür musste ihr Kristin
eigentlich dankbar sein. Kristin reckte sich wieder an dem Bettpfosten, hielt
sich so weit oben wie möglich fest und sagte: „Komm schon, Nicky. Du kannst
weitermachen.“
Nicky trat heran, löste den provisorischen Knoten und begann das Korsett enger
zu schnüren.
„Schau mal, Liebling“, sagte ihre Mutter und setzte sich auf das Bett. Elegant
schlug sie ihre Beine übereinander. „Ich bin die letzte Person, welche dich
herumkommandieren möchte.“
Kristin wusste sofort dass dies eine totale Lüge war.
„Aber du musst doch zugeben dass du etwas absolut Falsches tust.“
„Was ist hier falsch?“, sagte Kristin, während Nicky ohne Gefühl an der
Korsettschnur zerrte.
„Es ist nur... Lass mich das tun, Kleines. Du kannst inzwischen unten den Tisch
decken.“
Nicky kicherte und ließ die Korsettschnur los. Augenblicklich rutschte die
Schnur durch die Ösen, sodass Kristin keuchte.
„Nicky! Wie oft habe ich dir gesagt dass du niemals die Schnur loslassen sollst
während du mein Korsett schnürst!“
„Entschuldigung, Frau Campbell“, sagte Nicky und grinste frech. „Die alte Dame
befahl mir aufzuhören.“ Dann ging sie, bevor Kristin protestieren konnte.
„Unverschämtes Mädchen“, schimpfte Kristins Mutter während Nickys Schritte auf
dem Korridor immer leiser wurden. „Warum gibst du dich mit ihr überhaupt ab?“
„Was denkst du? Weil wir keine andere bekommen können. Wir leben nicht im
Neunzehnten Jahrhundert, Mutter. Wir können nicht bei einer Arbeitsagentur nach
einem Dienstmädchen anfragen, und uns dann eine der Bewerberinnen aussuchen.
Würdest du mir jetzt bitte ganz schnell das Korsett zuschnüren, bitte!“
Kristins Mutter blieb wo sie war. „Du hast es gesagt, Kleine“, bemerkte sie
ruhig. „Das ist nicht das Neunzehnte Jahrhundert. Warum also stehst du da und
wartest darauf dass dich jemand in das Edwardiansiche Korsett schnürt?“
„Oh, Gott! Haben wir das nicht schon oft genug besprochen? Weil ich mich so
kleiden will, und weil ich so leben will! Warum willst du dich in mein Leben
einmischen?“
Frau Campbell stand auf, aber sie ging langsam von ihrer Tochter fort, hinüber
zum Fenster, wo sie den herbstlichen Sonnenuntergang sah. „Du bist meine
Tochter, Kristin, und du wirst es immer sein, also...“
„Mama, ich bin achtundzwanzig! Ich muss nicht mehr tun was du sagst!“
„Das musst du nicht, aber das solltest du, denn ich habe mehr Erfahrung. Egal
wie alt du bist, du wirst immer meine Tochter sein und ich werde immer das Recht
haben dich auf deine Fehler hinzuweisen, wenn ich das Gefühl habe dass du dich
irren solltest.“
„Und ich nehme an, dass ich mich gerade jetzt irre?“
„Sehr richtig. Kannst du mir ehrlich gegenübertreten und sagen dass du dich wohl
fühlst, in jener Kleidung?“
Kristin legte stolz ihren Kopf in den Nacken. Ihr Haar, dass sie extra für die
Hochzeit hat nicht mehr schneiden lassen, fiel in Kaskaden über die Schultern.
„Ausgerechnet jetzt musst du das fragen? Ich würde mich besser fühlen wenn du
mir jetzt bitte das Korsett zuschnüren würdest.“
„Ich habe nicht die Absicht das zu tun. Ich verstehe überhaupt nicht, warum du
diese verrückte Besessenheit entwickelt hast. Du musst das sofort sein lassen,
bevor du ernsthafte Schäden davon trägst. Schau dich doch an! Dein Körper hat
sich schon verformt!“
Kristin schaute in den Spiegel. Sie hatte sich schon so lange in ein Korsett
schnüren lassen, dass ihre Taille selbst ohne Korsett auf kaum mehr als 48
Zentimeter blieb.
„Verformt“, sagte sie scharf, „ist relativ. Bruce gefällt es.“
„Ah! Du machst es also wegen Bruce, richtig?“
„Überhaupt nicht. Ich tue es für mich.“
„Aber du hast gesagt dass es Bruce gefällt... Und in all den Jahren, seit dem du
mit Bruce zusammen bist, hat er es dir nie gesagt? Du bist zu einem passiven
Geschöpf, eingeschnürt in einem Korsett, geworden. Und ausgerechnet jetzt will
er dich unbedingt heiraten? Kannst du mir erklären wie das zusammenpassen soll?“
„Also...“, sagte Kristin verlegen.
„Ich wusste es! Er hat dir gesagt dass dies der Preis ist um ihn zu bekommen,
ihn zu heiraten. Er will dich doch nur so schnell wie möglich wieder loswerden.
Ich habe immer gewusst dass er nicht gut genug für dich ist.“
„Das nimmst du sofort zurück!“, sagte Kristin. „Ich wollte Korsetts tragen. Und
da gibt es nichts 'Passives' daran. Es war meine Idee. Ihm gefiel es. Ich schlug
vor dass wir heiraten. Er war damit einverstanden.“
„Aber er hätte nicht zugestimmt, wenn du nicht in einem Korsett eingeschnürt
wärst.“
„Ich, er...“
„Also nicht. Ich verstehe. Du hast ein Problem, und du musst schnell da heraus
kommen. Und deshalb helfe ich dir diesem Apparat zu entkommen.“
Das Gespräch geriet außer Kontrolle. Kristin musste dem schnellstens Einhalt
gebieten.
„Mama!“, sagte sie. „Wann hast du geheiratet?“
„Neunzehnhundertsechzig, aber...“
„Ja. Sag mal, ich habe die Bilder von dir gesehen. Du hattest eine sehr
ordentliche Figur unter dem langen und eng anliegenden Hochzeitskleid. War da
nicht noch etwas unter dem Kleid, etwa eine kleine Hilfe?“
„Worauf willst du hinaus?“
„Du weißt genau was ich meine“, sagte Kristin voller Befriedigung. „Ein
Korsett.“
„Gut, ich...“
Pause.
„Erzähl weiter!“
„Ich hatte eins mit Reißverschluss, aber nicht sehr eng...“
„Ja! Siehst du? Du bist nicht besser als ich! Der Unterschied liegt nur in dem
Grad der Taillenreduzierung. Wäre es beunruhigend, wenn ich einen Hüftgürtel
tragen würde?“
„Ein wenig, denke ich...“
„Warum? Hast du nicht all die Jahre einen getragen?“
„Kristin!“
„Erwäge nicht mich anzulügen. Ich weiß es. Hasst du etwa geglaubt ich würde mir
nicht deine Unterwäsche anschauen, als ich noch ein kleines Mädchen war? Ich
wusste genau wo du diese Sachen hingen um zu trocknen. Du hast immer angenommen
dass man sie nicht sehen würde, was? Und wenn du das vor zwanzig Jahren getan
hast, dann wette ich dass du es heute noch tust. Verstehst du jetzt, was ich
meine?“
„Kristin, worüber sprichst du?“
„Über Scheinheiligkeit“, sagte Kristin triumphierend. „Wer im Glashaus sitzt,
sollte nicht mit Steinen werfen!“ Kristin lies den Bettpfosten los und zog so
gut sie konnte an der Korsettschnur, bis das Korsett eng genug war um sie
ausreichend zu stützen. Dann machte sie schnell einen Knoten und ging auf ihre
Mutter zu. Die nach vorne gedrückten Brüste sahen fast bedrohlich aus. Laetitia
Campbell schaute verunsichert zur Seite.
„Kristin, was tust du?“
Ihre Stunde war endlich gekommen. Ihre Mutter war sprichwörtlich in die Ecke
gedrängt. Einem plötzlichen Einfall folgend fragte sich Kristin, ob Evangeline
sehen konnte was gerade geschah. Sie öffnete die Messingknöpfe der eng
anliegenden roten Kostümjacke. Ihre Mutter versuchte zaghaft sich zu wehren,
aber Kristin klopfte auf ihre Hände und öffnete die Kostümjacke und anschließend
die Bluse. Dann suchte sie nach dem Reißverschluss des eng anliegenden gerade
geschnittenen Rocks und zerrte ihn nach unten. Sie enthüllte einen Longline- BH,
sowie ein kräftiges Höschenmieder. Dazwischen drückte sich eine kleine Fettwulst
heraus.
„Ich bin jedenfalls nicht so verlogen“, sagte Kristin höhnisch.
„Kristin, sei nicht albern“, sagte ihre Mutter und schnappte sich den Rock. „das
ist nicht das Gleiche.“
„Warum nicht? Weil du es sagst?“
„Du bist nicht mehr in der Lage deine Situation zu erkennen, weil du dich weit
von der Realität entfernt hast. Ein Hüftgürtel, äh, drückt nur meine Fettrolle
weg. Aber dein Korsett verändert deine Körperform dauerhaft. Ich bin mir sicher,
dass das nicht gut ist.“
„Mama“, sagte Kristin, „ich bin nicht krank, und sobald mir schlecht davon wird
höre ich sofort auf und lockere das Korsett, das verspreche ich. Bis dahin werde
ich aber tun was mir gefällt. Du interessierst dich doch nicht wirklich für
meine Gesundheit. Du bist doch nur sauer weil ich nicht so bin wie du es gerne
hättest. Du wolltest doch immer dass ich den gleichen Weg einschlage wie all die
anderen, etwas besser gestellten gutbürgerlichen Töchter. Dir hat es nie
gefallen dass ich schlauer war als die anderen. Dir gefiel es nicht dass ich in
Mathematik sehr gut war. Dir hatte es nicht gefallen als ich Finanzwissenschaft
studierte, und dir gefällt Bruce nicht, weil er nicht der typische Mann mit den
gleichen Veranlagungen und Interessen der breiten Masse ist. Jetzt werde ich
heiraten, und an deiner Stelle würde ich mich damit abfinden dass ich endgültig
mein eigenes Leben führe. Aber in der Zwischenzeit“, Kristin ging zum
Bettpfosten zurück und streckte ihren Körper, „könntest du mein Korsett
schnüren.“
„Kristin“, sagte ihre Mutter, „wie kommst du darauf dass ich dir dabei helfen
werde?“
„Ganz einfach“, sagte Kristin. Sie ließ wieder den Bettpfosten los und suchte
etwas in der Kommode. Aus der obersten Schublade nahm sie eine stabile und sehr
scharfe Schneiderschere heraus. „Wenn du nicht willst, liebe Mama, werde ich
dein Miederhöschen zerschneiden. Dann passt du nicht mehr in dein Kostüm hinein.
Du musst dann, nur noch mit Slip und BH bekleidet, hier herumlaufen.“
„Das würdest du nicht machen!“
„Oh doch! Stelle mich nicht auf die Probe. Jetzt komm endlich her und schnüre
mein Korsett zu.“ Sie ging zum Bettpfosten zurück und streckte wieder ihren
Körper. Kristin wusste dass sie den Kampf gewonnen hatte. Als ihre Mutter leicht
widerwillig zu ihr kam, den Knoten löste und anfing zu ziehen, fügte Kristin
hinzu: „Und ziehe hart an der Schnur. Das ist ein besonderes Abendessen, zu
Ehren des Besuches meiner Mutter, wie du dir denken kannst. Ich will ihretwegen
eines meiner schönsten Abendkleider tragen. Ich bin sicher, dass sie mich
perfekt gekleidet sehen will.“
Kristin wachte auf. Sie fühlte sich wie gerädert. Irgendwo in dem Haus war es
sehr laut. Dann vernahm sie Schritte. Ständig lief da jemand hin und her. Möbel
wurden verrückt, jedenfalls klang es so. Jemand gab Anweisungen. Kamen die
Geister zurück, oder war es die Vorbereitung ihrer eigenen Hochzeit? Sie war
sich nicht sicher. Kristin hätte sich nicht gewundert wenn plötzlich die alte
Nancy Chiddom hereinkommen würde und es ihr ergehen würde wie der armen
Evangeline.
Seit mehreren Tagen trug sie permanent Korsetts mit einer Taillenweite von 40
Zentimeter, sogar im Bett. Aber für diese Nacht hatte sie sich von Nicky bis auf
37 Zentimeter herunter schnüren lassen. Viel hatte sie nicht geschlafen. Die
anderen Schlafkorsetts hatten sie schon schlecht schlafen lassen, aber dieses
war noch schlimmer gewesen. Eigentlich hatte sie seit einer Woche nicht mehr
richtig geschlafen. Der Hochzeitstermin war unaufhaltsam näher gekommen, und das
hochgesteckte Ziel erforderte ein unbarmherziges Training. Sie wollte nicht
riskieren die Hochzeit zu verschieben, wie es einst bei Evangeline geschah.
Kristin wusste dass dies die einzige Gelegenheit war dem armen Gespenst zu
helfen.
Da klopfte es an der Tür. „Liebling?“, rief Bruce vom Flur. „Bist du wach?“
„Ich fürchte.“
„Gut. Es wäre schön wenn du jetzt aufstehen würdest. Ich gehe nach unten zum
Pub, um mich dort umzuziehen. Wir dürfen uns nicht im gleichen Haus umziehen, du
weißt schon.“
Früher hätte Kristin etwas Lustiges geantwortet und ihn somit ermahnt nicht zu
viel vor der Zeremonie zu trinken, aber nun hatte sie nicht mehr die Kraft dazu.
„Okay“, sagte sie leise. „Würdest du bitte Nicky zu mir schicken?“
„Ich denke nicht, da sie nicht da ist. Das faule Ding!... Ich habe aber bei ihr
angerufen und ihrer Mutter gesagt dass sie ihre Tochter aus dem Bett schmeißen
soll.“
„Vielen Dank.“ Kristin lag auf dem Bett und hörte wie seine Schritte immer
leiser wurden. Da inzwischen ein Teppich im Flur lag, hörte es sich an wie
einst, als sie das Gespenst zum ersten Mal hörte. Das war in jener Nacht, als
Evangeline für ihr Hochzeitskleid vorbereitet wurde.
Als Bruce Schritte verklungen waren, dachte sie an Dr. Hassenpflugs Anatomisches
Korsett und dem gut einen Zentimeter breiten noch offenen Spalt an der
Schnürleiste...
Kristin rappelte sich trotz des engen Trainingskorsetts vom Bett hoch, nahm
Evangelines rostfreies Bade- Korsett und ging zum Badezimmer. Sie konnte kein
Bad mit dem gegenwärtigen Korsett nehmen. Erst müsste Nicky kommen und ihr
helfen das Korsett zu wechseln. In der Zwischenzeit erledigte sie aber andere
Aufgaben.
Kristins Bad war kein leichtes Unterfangen, und sobald sie wieder heraus war,
wurde es noch schwieriger. Das ständige Tragen von immer enger werdenden
Korsetts, um ihre Taille bis auf das gewünschte Maß, 35 Zentimeter, zu
reduzieren, hatte zur Folge dass sie ihren Körper nicht mehr ohne ein stützendes
Korsett aufrecht halten konnte. Aus jenem Grund musste sie beim Baden das
rostfreie Korsett tragen. Dieses Korsett war im frühen Neunzehnten Jahrhundert
speziell dafür entworfen worden. Aber nach dem Bad musste ihr natürlich wieder
das Korsett abgenommen werden. Also lag sie vor der Badewanne auf einem großen,
aber sehr rauen Badehandtuch. Kristin hatte es ebenfalls bei Evangelines
Aussteuer gefunden. Nicky schnürte ihr das Badekorsett auf. Als das Korsett
entfernt war, blieb Kristin liegen, nackt und unfähig sich wenigstens
hinzusetzen. Nicky rollte sie auf dem Badehandtuch herum und trocknete ihren
Körper. Obwohl ihre Figur sich zu einer beeindruckenden Sanduhrform entwickelt
hatte, sogar ohne Korsett, war Kristin nicht besonders stolz über jene
Situation. Es ärgerte sie, derart abhängig von anderen zu sein. Dieser Aspekt
ihres Figurtrainings gefiel ihr nicht sonderlich. Als ihr Körper abgetrocknet
war, musste sie auf dem Handtuch liegen bleiben, während Nicky sich abmühte ihr
die zahlreichen Schichten jener Edwardianischen Unterwäsche überzuziehen, bevor
ihr endlich das ‚Dr. Hassenpflug Anatomische Korsett’ umgelegt werden konnte.
Erst als es einigermaßen geschnürt war, und somit ihr Oberkörper wieder eine
ausreichende Stütze erhielt, konnte Kristin aufstehen, natürlich nur mit Nickys
Hilfe. Anschließend legte ihr Nicky das Teekleid um.
In jenem verführerischen Negligee, über dem bedrohlich aussehenden anatomischen
Korsett, gekleidet, öffnete sie die Tür des sehr großen Badezimmers. Vor ihr
stand eine Person, welche auf sie gewartet hatte.
„Hallo, Mama. Was gibt es?“
Ihre Mutter schien nervös zu sein. Sie trug einen Morgenrock. „Ich dachte du
könntest... Hilfe gebrauchen.“
„Wie du siehst, habe ich Nicky.“
„Die Mutter der Braut sollte ebenfalls anwesend sein. Du hast mich eingeladen.
Oder willst du mich jetzt ausschließen?“
Kristin überlegte was sie sagen sollte, fand aber nicht die richtigen Worte.
Außerdem war da noch das steife anatomische Korsett, welches ihren Körper von
den Brüsten bis zu den Oberschenkeln zusammendrückte. Ihr Taillenumfang betrug
42 Zentimeter, enger hatte es Nicky im Badezimmer auf dem Fußboden nicht
schnüren können. Kristin war stolz darauf, stolz über dieses spektakuläre Gefühl
der Einengung und Körperformung, welches aus ihrer Sicht dennoch als Bequem zu
bezeichnen war. Kristin war stolz darauf es bald allen zu zeigen, dass sie eng
genug geschnürt werden konnte, um Evangelines Hochzeit tragen zu können! Sie
bemerkte aber auch die innerliche Zerrissenheit ihrer Mutter, wie sie fieberhaft
versuchte wieder ihrer Tochter näher zu kommen. Kristin war jedoch noch nicht so
weit.
„Komm schon, Krissie, Schatz. Möchtest du nicht dass ich dir helfe?“
Keine Antwort.
„Oh, Krissie. Warum lehnst du meine Hilfe ab?“
Kristin musste antworten. „Weil, Mutter, weil du mich nur ausschimpfen wirst
wenn mein Hochzeitskorsett geschnürt wird.“
Es entstand eine kleine Pause.
„Und wenn ich verspreche es nicht zu tun?“
„Ich würde dir nicht glauben.“
Eine weitere Denkpause.
„Gibt es kein anderes Kleid, welches du ohne dieses Ding tragen kannst?“
„Nein.“
Wieder eine Pause.
„Bist du dir sicher?“
„Um Himmels Willen, Mama! Meinst du nicht dass es ein bisschen spät ist
ausgerechnet am Hochzeitsmorgen meine Wahl bezüglich des Brautkleids zu
kritisieren?“
Ein Seufzer.
„Ich denke du hast Recht. In Ordnung, Krissie. Ich verspreche dir hoch und
heilig dir keinen Ärger zu bereiten. Ich werde tun was auch immer mir gesagt
wird. Ich möchte nur nicht von dir ausgeschlossen werden, bitte.“
Kristin stemmte ihre Hände auf die Hüften. Sie war sich sehr wohl bewusst dass
sie dadurch das Negligee gegen das Korsett drückte und man sehr gut die Form
ihres eingeschnürten Körpers sehen konnte. „In Ordnung. Aber wenn du nur ein
falsches Wort sagst, oder sonst was tust, fliegst du raus. Also reiß dich
zusammen. Hast du mich verstanden?“
„Habe ich.“
„Ich meine das wirklich ernst, Mama. Dieser Tag bedeutet mir sehr viel. Ich habe
monatelang trainiert um in dieses Kleid zu passen.“ Kristin sah wie ihre Mutter
Luft holte um etwas zu sagen und beeilte sich fortzufahren. „Sage jetzt lieber
nichts! Du hast dich selber in dein Hochzeitskleid hinein gehungert, also hast
du jetzt nicht das Recht mich zu kritisieren!“ Kristin drehte sich um und
blickte Nicky in die Augen. „Das gilt auch für dich. Du hast keine Ahnung wie
man sich modern kleidet. Du läufst ständig wie eine Schlampe herum!“
„Wenn sie mich jetzt beschimpfen wollen“, sagte Nicky, „gehe ich nach Hause!“
„Nein, wirst du nicht“, sagte Frau Campbell schnell. „Du wirst hier gebraucht.
Schließlich bist du eine Brautjungfer. Du musst verstehen, sie ist deshalb so
kratzbürstig, weil es ein ganz besonderer Tag ist. Sie ist nur nervös. Lasst uns
jetzt zu dem hinteren Schlafzimmer gehen. Da willst du dich doch umziehen, oder?
Und jetzt lasst uns wieder einander vertragen.“
Als sie über dem langen Flur gingen, kam Kristin plötzlich ein wichtiger Gedanke
in den Sinn. „Was ziehst du denn eigentlich an, Mama? Sollen wir es nicht vorher
aus deinem Zimmer holen?“
„Äh... Ich nahm mir die Freiheit, es in das hintere Schlafzimmer zu bringen. Ich
dachte, ich könnte es dort anziehen, während du eingekleidet wirst, und...“
„Das klingt ja wie ein Einsehen, oder irre ich mich?“
„Ja, jetzt schimpfe nicht mit mir! Ich war richtig fertig. Und ich verspreche
dir zu helfen und gut zu dir zu sein.“ Sie zog Kristin näher an sich heran,
sodass dass Korsett laut knarrte und gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn.