Latexdame Jannette moderne Korsettgeschichten

Das Korsett der Braut

von Stephen

Alle Rechte und weitere Nutzung beim Autor.

Übersetzung: Jannette

Kapitel Zweiundzwanzig

Kristin wollte keine Brautjungfern haben. Sie war der Meinung gewesen dass sie zu alt dafür sei, und außerdem traute sie sich nicht ihre Freundinnen darum zu bitten. Allerdings hatte sich ihre Mutter durchgesetzt, denn sie hatte das bessere Argument. Sie sagte Kristin, dass sie nicht eine traditionelle Hochzeit ohne Brautjungfern durchführen könnte, weil schließlich jemand die Schleppe tragen müsste. Das war ein wirklich überzeugendes Argument, denn Evangelines Hochzeitkleid hatte eine sehr lange und schwere Schleppe. So erkoren sie Nicky Bishop zur Brautjungfer und gingen auf dem Dachboden, um nach einen passenden Kleid zu suchen. Sie fanden schließlich eines, aber als sie Nicky darum baten es anzuprobieren, stellte diese sich stur. Nicky hatte sich bereit gefunden Kristin zu helfen in ihre Korsagen zu schnüren. Da sie aber abends mit ihren Freundinnen im Pub darüber lästerte, konnte sie unmöglich plötzlich selber ein Korsett tragen. Sogar die Androhung entlassen zu werden, half nicht. So gab Kristin auf und brachte sie zu einem Hochzeitausstatter in die nächste Stadt. Dort kaufte sie ihr ein standardmäßiges marineblaues Satinkleid. Es war schlicht gehalten und in einem Stil, der zu ihrem Hochzeitskleid passte. Natürlich fiel es gegenüber ihrem weißen Kleid sehr auf, aber die Form des Oberteils vermittelte den Eindruck als wenn sie darunter ein Korsett tragen würde. Jedenfalls sorgten die eingenähten Korsettstangen dass es eng anlag. Der lange und vollen Rock passte ebenfalls zu ihrem Hochzeitskleid, machte aber dennoch nicht zuviel Aufsehen.

Als Frau Campbell den Reißverschluss von Nickys Oberteil schloss, machte Nicky plötzlich ein Getue. Sie beklagte sich dass es zu eng sei und sie nicht atmen könnte. Kristin sah sie voller Mitleid an. So ein schöner und schlanker Körper, und dann dieses Gehabe! Nicky hatte eine Figur mit der sie sehr wohl prahlen konnte, wenn sie nur bessere Kleidung tragen würde. Aber sie bestand auf enge T-Shirts oder anderen unmöglichen Fummel. Sie war darauf fixiert gewesen genauso viel nackte Haut zu zeigen, wie sie verbarg. Als Nicky in den Spiegel schaute, musste sie zugeben dass der enge Schnitt des verstärkten Oberteils mit dem weiten Rock sehr hübsch aussah. Doch sie hatte offensichtlich keine Absicht diesem Stil treu zu bleiben.

Kristin selbst verbrachte eine lange Zeit damit, dass sie geduldig auf einem Stuhl, mit 5 Sitzkissen unter dem Hintern, saß, während ein Friseur aus London sein Bestes gab um ihr die echte Frisur einer Edwardianischen Braut zu geben. Natürlich war der Fachmann nicht gerade billig gewesen, aber es gab keinen anderen Experten. Und selbst er hatte so seine Probleme. Selbst trotz der auf dem Dachboden gefundenen Haarteile war es sehr schwierig. Evangeline hatte, wie es sich damals gehörte, nur die Haarspitzen schneiden lassen, sodass sie sehr langes Haar hatte. So hatte man damals mehr als einen Meter langes Haar zur Verfügung um die kompliziertesten Frisuren zu kreieren. Kristin dagegen hatte ihr Haar erst dann länger wachsen lassen, als sie sich entschieden hatte wie eine der damaligen Damen zu leben. So war ihr Haar erst schulterlang. Dennoch vollbrachte der Friseur ein wahres Wunderwerk. Mit einer großen Anzahl von Nadeln, kleinen Polstern und künstlichen Haarteilen schuf er eine überzeugende Frisur. Sobald er damit fertig war, band er ein Seidenkopftuch um ihr Haar. Er zog den Knoten unter ihrem Kinn so fest, dass er sie beinahe erwürgte. Zufrieden mit seinem Werk und mit der Gewissheit dass die Frisur hielt, zog er sich zurück.

Kristin wollte so wenig Personal anwesend haben, als es darum ging sie in das Hochzeitskorsett zu schnüren.
Es war ein langer und sehr langsamer Prozess. Als sie aus dem Badezimmer zurückkam, schnürte Nicky Kristins Taille sehr schnell und sehr leicht bis auf 40 Zentimeter herunter. Dann legten sie eine halbe Stunde Pause ein, damit sich der Körper daran gewöhnen konnte. Danach wurde Kristins Taillenumfang auf 38,5 Zentimeter reduziert. Eigentlich sollten es 37,5 Zentimeter sein, aber Kristin fühlte sich plötzlich Unwohl. Sie war sauer auf sich. Sie hatte die ganze Nacht mit einem Taillenumfang von 38 Zentimeter verbracht, und deshalb hatte sie geglaubt dass sie es nun viel leichter bewältigen könnte. Das Problem bestand aber darin, dass das anatomische Korsett viel länger und steifer war als das Trainingskorsett. Das Hochzeitskorsett war viel anspruchsvoller. Sie gab auf und ließ Nicky die beiden seitlichen Schnürungen, die Figurregler, lockern. Kristin setzte sich hin, mit geöffneten Seitenschnürungen ging es. Nach einer kurzen Pause stand sie mit Hilfe ihrer Mutter wieder auf. Nicky sollte erneut versuchen das Korsett zu schließen. Diesmal schafften sie es bis zu einem Taillenumfang von 36 Zentimeter. Kristin keuchte: „Halt! Oh bitte halt ein!“ Gleichzeitig war sie enttäuscht darüber dass Nicky ihr den Gefallen tat.
„Nicky“, keuchte sie und hielt sich krampfhaft am Bettpfosten fest. „Ich habe dir doch gesagt dass du keine Notiz von mir nehmen sollst, wenn ich mich beklage!“
„Ich kann das nicht“, sagte Nicky verlegen.
„Warum nicht? Wir haben das doch schon hunderte Male so gemacht!“
„Ja, aber...“ Nicky legte eine Hand auf die Taille ihres eng anliegenden blauen Satinkleids „Ich habe dabei niemals ein Kleid so getragen. Es ist so eng, ich kann kaum atmen, und ihr Korsett ist viel enger. Ich schaffe es nicht, ich will ihnen nicht wehtun!“
Kristin lachte kaum hörbar. „Gute Güte! Das hast du mir nie gesagt!“
Nicky fingerte an ihrem Satinrock herum und nickte.
Kristin schüttelte ihren Kopf und sagte: „Mama, würdest du mit ihr reden? Wir kommen sonst nicht voran.“
„Ich muss ihr aber zustimmen, Liebling“, sagte Kristins Mutter. „Ich glaube dass du dir mehr vorgenommen hast als du schaffen kannst. Können wir nicht das Kleid etwas in der Taille größer machen?“
„Nein.“
„Was meinst du mit ‚Nein’?“
„Es ist ein ganz einfaches Wort, nicht wahr? Es ist nicht möglich. Ich würde es nicht erlauben, und wir haben jetzt keine Zeit dafür.“
„Gut. Könnten wir keine Abdeckung anbringen, damit niemand sieht dass es nicht richtig zugeknöpft ist?“
„Es würde schrecklich aussehen. Erinnerst du dich an mein Konfirmationskleid? Willst du etwa dass ich so in der Kirche erscheine? Nein.“
Kristins Mutter sah besorgt aus. „Überzeugt. Wenn das so ist, müssen wir halt sehen dass wir damit zurechtkommen.“
„Komm Nicky, mach bitte weiter“, fügte Kristin hinzu. „Ziehe so stark du kannst.“
Nicky begann an der Korsettschnur zu ziehen.
Das Nächste, an das sich Kristin erinnerte, war dass sie mit dem Rücken auf dem Fußboden lag. Sie sah das unscharfe Gesicht ihrer besorgt drein blickenden Mutter.
„Was ist geschehen?“, flüsterte sie.
„Du wurdest ohnmächtig, Liebling“, sagte ihre Mutter. „Also wirklich, das ist keine sehr gute Idee!“
„Das war zu erwarten“, sagte Kristin mit noch schwacher Stimme. „Nicky, hast du die Korsettschnur gelockert?“
„Sicher, sie sind ja umgefallen!“
„Dafür gibt es keine Entschuldigung. Wie viel?“
„Ich weiß nicht... Ich glaube fast 4 Zentimeter.“
„Das fühle ich. Tu das nie wieder. Lockere nie wieder das Korsett, hast du mich verstanden? Helft mir jetzt wieder auf die Beine, damit wir weitermachen können.“
Sie fingen wieder an das Korsett zu schnüren. 37,5 Zentimeter, 36 Zentimeter, und bei dem Taillenumfang von 36,2 Zentimeter verdrehten sich Kristins Augen. Sie ließ den Bettpfosten los, sackte in den Knien ein und fiel unkontrolliert gegen das hohe Fußende des Betts. Nur das lange und steife Korsett hielt sie davon ab in der Hüfte einzuknicken. Nicky tat ihr Bestes und hielt die Korsettschnur fest, damit sich das Korsett nicht lockern konnte. Dann machte sie schnell einen Knoten und legte ihre Arbeitgeberin auf den Rücken. Kristins Mutter kniete sich neben ihre Tochter und begann sanft das Gesicht ihrer Tochter zu tätscheln. Mit der anderen Hand rieb sie Kristins Handgelenk. „Sie braucht Riechsalz“, sagte sie entsetzt. „Gibt es hier welches?“

„Es ist wieder geschehen, nicht wahr?“, waren Kristins erste Worte, nachdem das Riechsalz sie wieder zu sich gebracht hatte.
„Jawohl“, bestätigte ihre Mutter. „Kristin, wenn du unbedingt darauf bestehst in der Kirche mit einer Taille von 35 Zentimeter zu erscheinen, wirst du nie heiraten können.“
„Das werde ich ganz bestimmt tun!“
„Das glaube ich dir ja, Liebling, aber auch du hast deine Grenzen. Du hast mir gesagt dass du sechs Monate dafür trainiert hast. Könnte es sein dass der Zeitraum zu kurz dafür war?“
Kristins schleierhafter Blick wurde plötzlich ganz hart. „Was sagst du da?“, zischte sie giftig.
„Ich will damit sagen, dass wenn du schon darauf bestehst, du dir mehr Zeit nehmen musst, sonst musst du die Hochzeit verschieben.“
Kristin hätte am Liebsten ihre Mutter erwürgt, aber das anatomische Korsett hielt sie zurück. Dennoch packte sie die Schulter ihre Mutter und sagte: „Niemals! Das wäre mein Tod, und auch ihrer!“
„Wovon sprichst du?“
„Nichts. Hilf mir hochzukommen.“
Kristin ging wieder zum Bettpfosten, und ein paar Minuten später lag sie wieder auf dem Fußboden.

„Schnürt einfach weiter“, keuchte Kristin als sie sich erholt hatte. „Egal ob ich ohnmächtig werde oder nicht.“
„Aber sie fallen um!“, protestierte Nicky.
„Dagegen können wir was tun. Bindet meine...“ Sie verstummte abrupt, denn ihr wurde bewusst was sie sagen wollte.
„Wie bitte?“
„Fesselt meine Handgelenke... am Bettpfosten fest. Dann kann ich nicht umfallen.“ Kristin hatte diese Worte sehr langsam gesagt.
„Liebling“, sagte ihre Mutter, „das ist Wahnsinn!“
„Mama“, antwortete Kristin, „ich weiß was ich tue, und ich muss das tun. Bitte. Komm mir jetzt nicht dazwischen.“
„Kristin, du verlangst zu viel von mir. Du bist meine Tochter. Ich kann nicht dabeistehen und mit ansehen wie du dir wehtust!“
„Ich hatte dich gewarnt, und du hast mir hoch und heilig versprochen nicht dazwischenzukommen. Wenn du das nicht ertragen kannst, verlasse bitte lieber den Raum. Gehe auf dein Zimmer, ziehe dich um und warte einfach unten an der Treppe auf mich. Das ist wohl das Beste für uns beide.“
Als ihre Mutter gegangen war, sagte Kristin: „Bitte helfe mir jetzt hoch.“
Und Nicky tat es.
„Ich denke dass sie Recht hat, und das wissen sie“, sagte die Brautjungfer mit leiser Stimme als sie die Braut an dem Bettpfosten stellte.
„Vielleicht hat sie Recht, vielleicht aber auch nicht. Ich werde jedenfalls in das Kleid hineinkommen, oder ich sterbe. Hole jetzt bitte die... ja die... Fessel mich bitte an den Bettpfosten... Du musst es fester machen.“

Nicky wusste natürlich nicht wie man es machen sollte. Ihr erster Versuch war so locker, dass Kristin ihre Hände wieder herausziehen konnte. „Versuche es noch mal. Wickel das Band zuerst um meine Handgelenke und dann ziehe es stramm um den Bettpfosten. Autsch! Ja so ist es besser. Vielleicht geht es leichter, wenn du dich auf das Bett stellen würdest.“
„Das geht nicht mit dem Kleid.“
„Okay, du kannst das nicht. Lassen wir es so sein.“ Kristin knickte leicht mit in den Knien ein und probierte aus, ob sie an dem Pfosten hängen blieb. Es war unbequem, aber der Knoten hielt die Korsettschnur stramm genug, sodass sich nichts lockern konnte.
„Das muss reichen. Würdest du bitte jetzt weitermachen? Und diesmal hörst du erst auf, wenn das Korsett vollkommen geschlossen ist, selbst wenn ich ohnmächtig werden sollte. Du kannst mich hinterher mit Riechsalz wiederbeleben.“
„In Ordnung“, sagte Nicky. Doch bevor sie das Korsett enger schnürte sagte sie: „Wenn sie aber nach einer viertel Stunde immer noch nicht zu sich kommen, rufe ich einen Krankenwagen.“

Kapitel Dreiundzwanzig

„Hatte sie schmalere Hände als sie?“, fragte Nicky als sie sich mit den unmöglich engen Glace- Lederhandschuhen abmühte.
„Nein“, sagte Kristin. „Die Handschuhe sollen so eng sein.“
„Warum? Wir können sie kaum über ihre Hände ziehen, obwohl wir uns beide bemühen!“
„Oh, es gibt eine Anzahl von Gründen. Je enger sie sind, desto besser müssen sie genäht sein. Je enger sie sind, desto mehr Hilfe braucht man beim Anziehen. Das bedeutet, man kann sich viele Diener leisten. Je enger sie sind, desto hilfloser wird man. Das ist wiederum ein Zeichen dafür, dass man viel Personal braucht, welches einem behilflich ist. Jedenfalls liebte man diese engen Dinger in jenen Tagen. Sie benutzen nicht so Worte um es zu beschreiben, aber sie empfanden enge Handschuhe als sexy. Was sie auch sind.“ Kristin kniff Nicky leicht in die Wange und streckte dann ihre rechte Hand voller Zufriedenheit aus. „Siehst du? Sieht aus wie eine zweite Haut!“
„Ihre eigene Haut sieht dagegen richtig weich und uneben aus“, sagte Nicky und betrachtete die Handschuhe voller Sorgen. Sie befürchtete dass jeden Moment die Nähte aufgehen würden.
„Ja, das ist der Sinn der Sache. Außerdem sehen die Hände kleiner aus.“
„Ziehen sie den Handschuh wieder aus wenn sie den Ring angelegt bekommen?“
„Überlege mal! Das wird viel zu lange dauern die Handschuhe wieder auszuziehen! Egal. Der Ring wird darüber geschoben. Ich hoffe nur dass er groß genug ist. Ich werde ihn hinterher kleiner machen lassen müssen.“ Sie seufzte glücklich und legte ihre Hand auf das stramm anliegende Seidenkleid. „Ooh! Ist das Korsett eng! Ich hoffe dass ich nicht während der Zeremonie ohnmächtig werde.“
„Wir sollten eines dieser Beatmungsgeräte dabei haben“, sagte Nicky schüchtern und fügte hinzu: „So eines wie die es in den Krankenhäusern haben für Leute, die Marathonläufe machen. Dann kommen sie wieder zu sich, ohne aufzuschnüren.“
„Sauerstoffflasche? Gute Idee, aber nicht sehr romantisch. Lass mich jetzt alles genau betrachten.“
Kristin fühlte sich, als wenn sie zu Tode zerquetscht wäre, aber dennoch war sie glücklich und raschelte laut zu dem Ankleidespiegel hinüber. Auf dem kurzen Weg dorthin fühlte sie wie sich das Kleid bewegte. Das lange und steife Korsett hielt sie kerzengerade. Selbst ihre Hüften waren fast unbeweglich. Das Kleid lag überall eng an. Erst ab den Knien wurde es weiter und die vielen gerüschten Unterröcke rauschten nur so, dass es eine wahre Freude war. Die schwere Schleppe dagegen schien zu ihr zu flüstern. Kristin kannte die Aussage dass jede Braut schön ist und die Hochzeit der schönste Tag ihres Lebens ist. Aber sie wusste auch, dass sie mehr als schön war. Sie war eine Ausnahmeerscheinung. Ihr Spiegelbild zeigte ihr, dass sie Recht hatte. Das Kleid, welches schon auf der Schneiderpuppe großartig aussah, sah an einer lebenden Frau einfach betäubend schön aus.
Das Kleid war so reich verziert, dass man fast nichts von der glatten Seite sah, aber dennoch hatte es auf gar keinen Fall den Anschein überladen zu wirken. Alles passte bis ins letzte Detail zusammen. Die stolze, verführerische Körperhaltung, die ihr das Korsett aufzwang, war genau jene, welche für das Kleid nötig war. Selbst in Evangelines Zeitalter wäre sie als pure Schönheit hervorgetreten, und mit der schlichten modernen Mode verglichen war sie ein Wesen aus einer absolut anderen Welt. Niemand, der sie in dem Brautkleid sähe, würde sie jemals vergessen können. Und all die Verzierungen, die lange Schleppe, der Brautschleier, ihre betonten Brüste als auch Hüften, wurden übertrumpft von einer Taille, über der das Seidenkleid so eng anlag, dass man jedes Detail des anspruchsvollen Korsetts erahnen konnte. Eine Taille, mit einem sagenhaften Umfang von nur 35 Zentimeter, welche Evangeline niemals zustande gebracht hatte, und nun von Kristin gemeistert wurde.

Natürlich gab es nichts daran zu deuten, dass Kristin sich matt fühlte, der Ohnmacht nahe. Es hatte fast den Anschein als wenn sie jeden Moment in der Mitte auseinander brechen würde. Ihr Körper wurde von dieser unnatürlichen Form gefoltert, und das alles nur, um der Seele von Evangeline die ersehnte Ruhe zu verschaffen. Alles in Kristin schrie nach Befreiung. Sie wusste dass sie dies nicht lang durchstehen könnte. Würde sie während der Zeremonie ohnmächtig werden? Falls dies geschehen würde, könnte man sie wiederbeleben ohne sie aufzuschnüren? Falls man sie aufschnüren würde, wären alle Anstrengungen vergebens gewesen, denn es würde sehr lange dauern bis sie wieder den Taillenumfang von 35 Zentimeter erreichen könnte. Selbst wenn dies gelänge, die Hochzeit wäre erledigt gewesen. Vielleicht lag ein Fluch darauf, ein Fluch der die arme Evangeline bis zur Verzweiflung angetrieben hatte...

Kristin schüttelte kräftig ihren Kopf. Zum Glück hielt der Schleier und verrutschte nicht. Es gab keinen Grund sich Sorgen zu machen. „Auf geht’s“, keuchte sie. „Lasst uns nach unten gehen und in die Kutsche steigen.“

Kapitel Vierundzwanzig

Das Rauschen, Rascheln und Zischen wurde immer lauter. Über einem Meer aus Spitzen, Rüschen, Seide und Stickereien thronte Kristin am oberen Ende der großartigen Treppe.
Dr. Hassenpflugs anatomisches Korsett war so lang und derart eng geschnürt, dass sie sich kaum bewegen konnte. Und das bisschen Freiheit was ihr das Korsett beließ, wurde von den Röcken fast vollkommen verschlungen. Ihre Beine wurden bis zu den Knien eng zusammengepresst. Erst darunter flammten sie zu einer großartigen Kaskade aus Rüschen und Spitze auseinander. Das wiederum bedurfte einer großen Konzentration um damit klar zu kommen. Obwohl Kristin von dem Korsett und den engen Röcken arg behindert wurde, machte sie irgendwie das Beste daraus. Nein, noch viel besser: Sie machte es perfekt! Der Anblick war unwiderstehlich.

Als Kristin oben an der Treppe stand, sah sie ihre Mutter unten in der Halle, wo sie auf ihre Tochter wartete. Ihre Mutter trug ein neues, so genanntes ‚Mutter- der- Braut- Kostüm’ in pink und hellblau. Eigentlich ziemlich unangemessen, wenn man Kristins kostspielige Pracht bedachte. Jedenfalls starrte sie die Treppe hinauf und machte sich Sorgen. Kristin lächelte nicht. Sie hielt es nicht für geeignet, besonders nach dem, was ihre Mutter gesagt hatte. Kristin legte ihren Kopf hochmutig zurück und begann die Treppe hinunter zu schreiten. Das tat sie sehr vorsichtig. Geschickt verlagerte sie ihr Gewicht von einem Fuß auf dem anderen. Dabei musste sie ihre Beinbewegung aus der Hüfte heraus machen. Ihr Rock wirbelte bei jedem Schritt über ihre Knöchel. Sie tat das mit einer solch grandiosen Fähigkeit, obwohl sie ihren Körper so gut wie nicht beugen konnte. So kam sie nicht in die Gefahr auf den Rocksaum zu treten. Es war ein Prachtbild. Besser konnte es kein Showstar auf der berühmten langen Showtreppe vollbringen. Hinter ihr folgte Nicky und hielt die lange Schleppe. Sie hatte alle Mühen und Beschimpfungen vergessen. Sie wusste dass sie hinter einem Wesen aus einer anderen Welt herging. Für ihr war Kristin so erhaben, dass ihre eigenen Probleme und Vorstellungen absolut unwichtig erschienen. Kristin war jenseits aller Kritik. Niemand dürfte jemals ein Urteil über sie fällen.

Kristin stoppte mitten in der Halle. Das Ende ihrer Schleppe befand sich immer noch auf der Treppe. Sie wartete und schaute ihre Mutter herausfordernd an. Es war so still, dass man das Ticken der Standuhr aus dem Wohnzimmer hören konnte. Dann hörten die beiden Frauen das leise Keuchen von Kristin. Sie atmete heftig, obwohl sie nur stand. Das Korsett hatte ihr Atemvolumen drastisch eingeschränkt. Dann brach Kristins Mutter das eisige Schweigen. Sie lächelte und sprach: „Es tut mir so leid dass ich unhöflich zu dir war, Liebling.“ Sie trat näher. Kristin blieb wie eine Statue stehen, während ihre Mutter ihre Hände auf die schmale Taille legte und ihrer Tochter einen vorsichtigen Kuss auf die Wange gab. Sie wollte nicht das Make-up ihrer Tochter ruinieren. „Ich hätte nie gedacht dass du so wunderbar aussehen könntest. Wirklich, Liebling, wenn du das jetzt so tun willst, dann hast du meinen Segen. Auf jeden Fall kann niemand sagen du langweilig wärst!“
Die schweigende, hochmutige Dame beliebte zu lächeln. „Ich danke dir, Mama“, sagte sie. „Ich bin manchmal zu aufbrausend. Würdest du mir jetzt bitte behilflich sein? Ich muss zur Kirche, und ich denke dass dieses Korsett und das Brautkleid zwei Menschen glücklich machen wird.“

Nicky ließ die Schleppe los, nahm ihren Rock hoch wie Cinderella, und lief mit dem laut raschelnden hellblauen Satinkleid in einem großen Bogen um die lange Seiden- Schleppe herum, welche wie ein Wasserfall von der Treppe bis zur Braut reichte. Sie keuchte: „Sind wir bereit zu gehen?“

Kristin kam in den Sinn wie viele Male sie während der Einkleidung ohnmächtig geworden war, und die Wahrscheinlichkeit dass es wieder geschehen könnte war groß. Für einen kurzen Moment dachte sie daran sich umzuziehen, aber dann dachte sie an die arme Evangeline. An ihrem geplanten Hochzeitstag wurde sie von dem Korsett besiegt und war seit dem gezwungen ruhelos durch das Anwesen zu streifen. Kristin musste ihr Werk zu Ende bringen, nicht nur um dem Gespenst zu helfen, sondern auch für sich und für Bruce. So sagte sie: „Lasst uns gehen.“

Nicky stolperte fast über ihrem langen Rock. Gleichzeitig behinderte sie das enge Oberteil, als sie das Ende der prächtigen Schleppe aufhob. Kristin legte ihren Kopf zurück, edel und unberührbar. Sie hielt ihren Kopf aufrecht, weil es der steife, sie fast erwürgende Kragen, sowie die komplizierte Frisur verlangten. Mit vorsichtigen, aber würdevollen Schritten ging sie durch die Halle auf die große Eingangstür zu. Leicht hektisch trippelte ihre Mutter plötzlich laut klackernd über dem Marmorboden, das es schon fast in den Ohren schmerzte, durch die Halle des fast menschenleeren Anwesens, um ihren Hut zu nehmen, und anschließend die beiden Türflügel weit zu öffnen. Das helle Licht des frühen Nachmittags überschwemmte die Braut.

Auf der Einfahrt standen Nickys rostiger Kleinwagen, Bruces protziger Geschäftswagen, Kristins eckiger, aber sauberer Geländewagen, der dekadente Mittelklassewagen ihrer Mutter und eine auf Hochglanz polierte Kutsche mit zwei schwarzen Pferden. Der Kutscher trug für die Zeremonie eine schöne Uniformjacke sowie Reithose und glänzende Reitstiefel. Als die Braut auf seine Kutsche zu schritt, nahm er seinen schwarzen Zylinder ab und verbeugte sich vor ihr. Eines der beiden Pferde warf den Kopf hoch, und das Geschirr klapperte. Ein weiterer seltener Klang, der sich zu dem lauten Rascheln von Kristins Röcken paarte, während sie vorsichtig näher kam, denn sie fürchtete sich zu stolpern. Ihre Mutter ging neben ihr und achtete auf ihre Tochter. Nicky folgte in respektvoller Entfernung, darauf bedacht dass die Schleppe nicht schmutzig werden würde.

Als sie die Kutsche erreicht hatten, dachte Kristin kurz dass der Kutscher ein junger netter Mann sei. Schnell war wieder der Gedanke verflogen, denn sie musste jeden Schritt sorgfältig ausüben. Der Kutscher öffnete die Tür und klappte den breiten Tritt herunter. Das war aber absolut sinnlos. Der Tritt hing über 30 Zentimeter über dem Boden, und Kristin konnte ihre Füße nicht mehr als 5 Zentimeter anheben.

„Bitte heben sie ihre Röcke, Madame“, sagte der Kutscher respektvoll.
„Das hilft nicht“, sagte Kristin völlig außer Atem. „Es ist mein Korsett. Es reicht sehr weit nach unten.“ Sie deutete auf die Mitte ihrer Oberschenkel. „Und ich kann mich nicht viel bewegen.“
„Hmm.“ Er kratzte sich am Kopf. „Und wenn ich sie in die Kutsche hinein hebe?“
„Sie müssen verdammt sorgfältig sein“, sagte Kristins Mutter. „Sie ist sehr empfindlich in ihrer Aufmachung. Sie wollen doch nicht dass sie in Ohnmacht fällt?“
„Nein, natürlich nicht, Madame. Aber wir müssen sie irgendwie in die Kutsche bekommen... Mal überlegen. Wenn die Brautjungfer zuerst einsteigt, kann sie die Braut halten, während ich sie hoch hebe. Das sollte eine sichere Methode sein.“
Nach einer kurzen Diskussion war man sich einig. Nicky legte, sehr zu ihrem eigenen Entsetzen, die Schleppe auf den Kiesweg ab und rannte schnell zur Kutsche. Nach ein Paar Fehlversuchen schafften sie es die Röcke weit genug anzuheben. Dann gab es eine leichte Verzögerung, weil Kristin darauf bestand dass jemand ihre Schleppe hielt, bevor sie in die Kutsche gehoben werden sollte. Ihre Mutter war die einzige Person, welche in Frage gekommen wäre, aber sie konnte sich nicht so weit nach unten beugen oder bücken. Teilweise lag es an dem engen Rock, aber hauptsächlich lag es daran, dass sie zur Feier des Tages ihre Figur etwas stärker geformt hatte. Kristin amüsierte sich innerlich. Sie freute sich dass trotz aller Proteste letztendlich auch die anderen beiden sich mehr oder weniger ihr angeschlossen hatten. Nicky trug das mit Korsettstäben versteifte Oberteil ihre Brautjungfernkleids und ihre Mutter ein stabiles ‚Playtex®- Korselett’.
So musste der Kutscher zuerst bis zum Ende der Schleppe gehen, diese aufheben und dann Kristins Mutter geben. Dann kam er zu der Braut zurück, ging in die Knie und griff vorsichtig die Braut an die Taille, um sie hochzuheben. Kristin war überrascht dass er es schaffte. Er musste sehr muskulös sein, denn mit der vielen Unterwäsche war sie doppelt so schwer wie sonst. Kristin streckte ihre in den engen Handschuhen und ziemlich unbeweglichen Hände aus, damit Nicky sie in die Kutsche ziehen konnte.
Auch Kristins Mutter kam nur mit Hilfe des Kutschers in die Kutsche hinein. Schließlich waren alle drei wohlbehalten in der Kutsche.
„Und?“, fragte Kristins Mutter weil nichts geschah. „Warum fahren wir nicht?“
„Ich warte darauf dass sich die Braut hinsetzt, Madame“, sagte der Kutscher und schaute in die Kutsche hinein.
„Bist du bereit, Krissie?“
„Ja, ich denke schon.“
„Dann setze dich doch hin.“
„Nein!“
„Warum nicht?“
„Sie kann sich nicht hinsetzen“, sagte Nicky. „Ihr Rock ist zu eng und das Korsett zu lang.“
„Das stimmt“, sagte Kristin. „Darum habe ich auch eine geschlossene Kutsche bestellt. Ich werde während der Fahrt zur Kirche stehen bleiben müssen.“
Kristins Mutter zog gereizt ihre Augenbrauen zusammen. „Was die Leute heute alles so tun um hübsch zu sein! Nein, nicht aufregen! Ich wollte dich nicht ausschimpfen“, sagte sie schnell, denn sie sah wie Kristin ihren kostbaren Atem für einen Protest sammelte. „Bleibe schön ruhig. Wir werden uns hinsetzen.“ Sie setzte sich hin und Nicky folgte ihrem Beispiel. „Jetzt reichst du uns deine Hände, und wir werden dich festhalten. So, Kutscher! Wir sind bereit!“

Kristin versteifte sich und streckte ihre Arme aus. Von jeder Seite griffen zwei starke Hände um ihre Handgelenke. Sie hörte wie der Kutscher den Pferden ein Signal gab, und schon fuhren sie los. Kristin musste trotz der hilfreichen Hände um ihr Gleichgewicht kämpfen. Es ging los! Sie konnte nicht mehr zurück! Sie musste nach vorne, in die nahe Zukunft schauen. Sie durfte nicht mehr schwach werden.

Kapitel 19 bis 21     Kapitel 25 bis 26