Latexdame Jannette 'historische' Korsettgeschichten

LONG ISLAND STAYLACE ASSOCIATION
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Der Große Aufstand

Lesen Sie bitte zuerst die Geschichte 'Tante Pollys Ziehkind'.

Original Fiction by Stephen

Alle Rechte und weitere Nutzung beim Autor.

Übersetzung: Jannette

Kapitelübersicht:
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6

Kapitel Eins

Stille, Dunkelheit. Nein! Es ist nicht wirklich dunkel, da Licht durch den Türspalt auf dem Boden herein scheint, und es ist auch nicht wirklich still. Drei Personen atmen, und seltsame Laute begleiten ihre Atemzüge: Stöhnen, Knarren, Seufzen.
Plötzlich das Rauschen einer Bettdecke. Das knarrende Geräusch sowie ein Klappern werden für einen Moment lauter. Ein Metallbett klappert ziemlich laut in der Dunkelheit. „Gertie“, flüstert eine Mädchenstimme. „Gertie, bis du wach?“
Es klingt so, als ob sich jemand im Bett umdreht. Auch dieses Metallbett klappert und kippelt auf dem unebenen Fußboden. Doch da sind noch andere Laute, die weder vom Bett, noch von einem menschlichen Körper kommen können. „Ja. Ich kann nicht schlafen. Sie haben mir wieder zusätzlich den Schraubgürtel umgelegt.“
„Was, auf deinem Nachtkorsett? Das ist ja ungeheuerlich!“
Eine dritte flüsternde Stimme gesellt sich dazu: „Ist das ein Privatgespräch, oder darf ich mitmachen?“
„Oh, du bist ja auch wach, Netta. Hast du auch keine Lust zu schlafen?“
Ein Stöhnen erklingt: „Ooh! Ich glaube nicht dass ich mich in meinem Bett aufsetzen kann. Ich werde wohl im Liegen sprechen müssen.“
„Das macht nichts.“
„Giuli, bist du schon die ganze Zeit wach?“
„Da sie mich so streng geschnürt haben, ja, das bin ich. Wer kann schon in solch einem Korsett schlafen?“
Ein Seufzer erklingt. „Ich rate, niemand.“
„Gertie, sage nicht ‚ich rate’. Das ist kein gutes Englisch.“
„Das mag zwar kein gutes Englisch sein, Schätzchen, aber es ist gutes Amerikanisch. Aber wen kümmert es. Was meinst du? Ich bin zu eng geschnürt um mich um meine Grammatik zu kümmern.“
Jemand stimmt leise stöhnend zu.
„Giuli, an was denkst du, wenn du nicht schlafen kannst?“
Ein weiterer Seufzer erklingt. „In meinen Gedanken foltere ich die Mistress.“
Bettzeug raschelt plötzlich ganz laut, als wenn sich jemand erhebt. Ein Augenpaar glänzt in der Dunkelheit. „Ich auch!“
„Du kannst mich dazu zählen, Netta. Ich würde liebend gerne die Schraube an Miss Badsteel ansetzen, nur um zu sehen was sie dazu sagt.“
„Oh, Gertie, das ist eine großartige Idee! Ich träume davon sie so eng zu schnüren, dass sie sich kaum bewegen kann. Und dann würde ich ihr Korsett abschließen, genauso wie sie es bei uns macht wenn sie denkt wir haben uns schlecht benommen. Dann könnten wir tun was immer wir wollten und sie muss hilflos stehend tatenlos zusehen.“
„Giuli, und was willst du danach machen? Nehmen wir mal an du hast Erfolg, was dann?“
Ein unterdrücktes Lachen erklingt. „Ich würde immer bei Miss Badsteel bleiben und dafür sogen dass ihr Korsett stets so eng wie möglich geschnürt ist. Und wenn sie sagt ‚Es ist zu eng’, dann sage ich ‚Nein, es ist noch nicht genug'. Und dann würde ich das Korsett noch enger schnüren. Immer wenn sie mich wütend macht, schnüre ich ihr Korsett noch enger, bis sie mich so höflich behandelt, als wenn ich eine Contessa wäre.“
„Ja! Und ich würde sie an das Brett binden, wenn sie Unterricht gibt. Ich würde zu gerne sehen wie ihr das gefällt.“
„Das ist eine wunderbare Idee, Gertie! Wisst ihr, was ich gerne mit ihr machen tät? Ihr kennt doch ihre blöde Matrosenbluse, die mit dem hohen Stehkragen? Ich würde in dem Kragen einen Blechstreifen von den Konservendosen aus der Küche einlegen. Dann kann sie ihren Kopf nicht mehr drehen. Dann könnten wir alles Mögliche hinter ihrem Rücken tun, und sie kann es nicht sehen.“
„Du sollst nicht ‚machen tät’ sagen, Netta. Miss Badsteel würde es nicht gefallen.“
„Warum korrigierst du meine Grammatik, Giuli? Du wirst nie in Latein und Italienisch besser sein als ich...“
„Das überrascht mich nicht... Aber das bringt mich auf eine Idee. Ich würde ganz gerne so hart mit ihr sein, wie sie mir gegenüber ist. Sie hat doch diese engen Stiefel, die sie bei besonderen Angelegenheiten trägt, die mit den sehr hohen Absätzen. Ihr wisst doch welche ich meine? Ich würde sie zwingen diese Stiefel zu tragen und dazu ein Strafkorsett, damit sie sich nicht hinsetzen kann. Dann würde ich zu ihr sagen: „Jedes Wort, dass sie benutzen ist falsch, Miss Badsteel. Sie müssen eine weitere Stunde in ihren engen Stiefeln stehen. Und wenn sie dann sagt ‚Die Zeit ist um’, würde ich sagen ‚Nein, Miss Badsteel, sie haben falsch gezählt. Eine weitere Stunde’.“
„Ja, das tut sie immer mit mir, wenn sie mir den Schraubgürtel angelegt hat, damit ich eine unmöglich enge Taille bekomme. Dann könnten wir...“
Es klopft laut an der Tür und eine laute Frauenstimme ruft von draußen: „Ruhe da drinnen!“
In dem Zimmer wird es schlagartig ruhig. Nur noch leise Atemgeräusche, begleitet von anderen seltsamen Klängen, sind zu hören. Es bleibt solange still, bis die harten Schritte sich auf dem langen Korridor weit genug entfernt haben. Dann sind wieder geflüsterte Worte zu vernehmen.
“Gute Nacht, Giuli.”
„Bona-notte, Gertie, Netta.“
„Nacht, Giuli, Netta.“
„Gute Nacht, Gertie.“
Stille.
„Gertie?“
„Ja?“
„Schläfst du schon?“
„Nicht in diesen Korsett. Aber wir sollten lieber den Mund halten, falls sonst noch jemand vorbeikommt.“

Und Stille kehrt ein, nur unterbrochen von kurzen Atemzügen, Knarren, metallischem Quietschen und Klappern.

*****

Als acht Stunden später die Vorhänge aufgezogen werden, verwandelte sich das Zimmer in einen lebhafteren Ort. Es kommt zwar nicht all zu viel Sonnenschein hinein, da eine schwere Gardine vor dem Fenster hängt, aber dennoch ist alles klar zu erkennen.
Drei klapprige Metallbetten stehen eng beieinander, mit dem Kopfende zur Wand, gegenüber dem Fenster. Eine große Garderobe verdeckt fast die ganze Wand. Und auf der vierten Wandseite befindet sich die große Tür.

Drei hübsche Mädchen, um die siebzehn Jahre alt, tätigen ihr morgendliches Ritual. Sie laufen in Unterwäsche herum, der Unterwäsche jener Zeit: Wadenlange, mit Rüschen besetzte, Unterhosen, weiße Strümpfe die bis unter die Unterhosen reichen, weiße, ebenfalls gerüschte, Unterhemden, und über allem lange und furchtbar eng geschnürte Korsetts. Eines der drei Mädchen steht am Fenster, sie steht leicht nach vorne geneigt. Sie hat den dunklen Teint und tief schwarze Augen einer italienischen Schönheit. Ihr glattes schwarzes Haar, welches für die Nacht geflochten wurde, reicht ihr bis fast an die Taille. Neben dem Fenster sind auf Schulterhöhe zwei Messinggriffe in der Wand befestigt. Sie dienen einem ganz bestimmten Zweck. Das italienische Mädchen hält sich krampfhaft daran fest. Hinter ihr steht ein sehr hellhäutiges Mädchen. Es hat dunkelblondes Haar. Auch ihr Haar ist noch geflochten und reicht bis zur Taille hinunter. Sie ist zart gebaut und hat braune Augen. Sie zieht sehr stark an der Korsettschnur des anderen Mädchens.
Das dritte Mädchen, welches seidiges dunkelbraunes Haar und graue Augen hat, sitzt auf einem der klapprigen Betten und reibt sich den Schlaf aus den Augen.
Das Mädchen am Fenster gibt ein schmerzhaftes Stöhnen von sich.
„Bin gleich fertig“, sagt das Mädchen hinter ihr. „Nur noch ein ganz wenig enger. Miss Badsteel will dass deine Taille heute Morgen bis auf 48 Zentimeter geschnürt wird.“
„Es ist zu eng, Netta“, sagt das italienische Mädchen mit besorgt klingender Stimme. „Meine Mama, sie ruhe in Frieden, erreichte niemals 48 Zentimeter... aua!“
„Entschuldige, Giuli. Ich habe zu schnell gezogen.“ Netta zieht gekonnt an der Korsettschnur und macht schließlich einen Knoten. Dann wickelt sie die lange überschüssige Schnur auf und steckt sie zwischen die Ösen unter das Korsett.
Giuliana lässt die Ringe los und geht langsam von dem Fenster weg. Dabei knarrt ihr Korsett gewaltig. „Meine Mama“, sagt sie und legt eine Hand dorthin, wo der flach gedrückte Bauch hinter dem steifen Stoff und den Stäben des Korsetts eingesperrt ist, „hat noch nicht einmal für einen Ball ihre Taille bis auf 48 Zentimeter schnüren können. Wenn eine große Festlichkeit bevorstand, hatte sie tagelang ein sehr eng geschnürtes Korsett getragen, aber Miss Badsteel hat es geschafft mich in ein Korsett zu schnüren, dass enger ist, als meine Mama es jemals geschafft hatte.“
„Was soll ich sagen?“, sagt Netta und drückt noch einmal auf die überschüssige Korsettschnur, damit sie nicht mehr zu sehen ist. „Fertig! Das war doch nicht so schlimm, oder?“
Giuliana schmollt. „Nicht schlimm? Es tut zwar nicht weh, aber...“
„Wenn es nicht wehtut, warum beklagst du dich dann? Du hast schon Schlimmeres erlebt. Ich habe Schlimmeres erlebt. Komm’, jetzt bin ich an der Reihe.“
Netta geht zum Fenster und hält sich an den Messingringen fest. Dann holt sie tief Luft. Ihr Gesichtsausdruck wird dabei sehr ernst. Giuliana löst den Knoten und wickelt sich die Korsettschnur um die Hände. Dann beginnt sie zu zerren.
Das Mädchen auf dem Bett hat aufgehört ihr langes dunkles Haar auszubürsten und beginnt es mit flinken Händen zu flechten. „Ich nehme an, dass ich die Nächste bin“, sagt sie mit offensichtlichem Widerwillen.
Netta, die neben dem Fenster steht, schaut über ihre Schulter nach hinten. „Eigentlich nicht“, sagt sie und legt eine Atempause ein, da ihr Korsett enger wird. „Heute Morgen wird nur an deinen Schrauben gedreht, Gertie.“
Gertie sieht aus, als wenn sie jeden Moment weinen wird. „Oh! Und warum musste ich dann in dieser Gott-Verdammten Frühe aufstehen?“
„Gertie, auaa, du wirst niemals eine Lady werden, wenn du diese, autsch, Worte benutzt.“ Netta verstummt und atmet langsam und gleichmäßig weiter. Ihre Brust hebt und senkt sich schneller als zuvor, denn Giulianas Tätigkeit in ihrem Rücken nimmt ihr immer mehr von ihrem Atemvolumen weg.
Giuliana beendet den Gedanken für sie. „Du musst damenhafter sein, Gertie“, sagt sie. „Du darfst nicht fluchen, du darfst nicht herumrennen, du musst viel feiner werden, so wie wir.“
Oh, das weiß ich, Giuli. Ich kann mich aber nicht daran gewöhnen. Wenn ich nur daran denke was die alles mit mir gemacht haben. Sobald ich morgens aufstehe, zwängt man mich in ein Gott-Verdammtes Korsett...“

Plötzlich öffnet sich die Tür. Die drei Mädchen blicken hinüber und stöhnen. Eigentlich ist nur Gerties Stöhnen zu hören, da die Korsetts der anderen beiden Mädchen zu eng sind, als dass sie laut stöhnen könnten.
„Signorina Badsteel!“, sagt Giuliana und lässt augenblicklich die Korsettschnur los, um einen tiefen Knicks zu machen. Nettas Korsettschnur peitscht laut durch die Ösen und schlagartig öffnet sich das Korsett. Das Mädchen stöhnt laut auf.

Miss Badsteel betritt den Raum. Sie ist eine Frau von mittleren Alters, mittelgroß und von normaler Erscheinung, jedenfalls ab den Hals aufwärts. Ihr Haar ist penibel nach oben gesteckt. Sie trägt einen festen Dutt, der mit Haarnadeln gesichert wird, welche im Morgenlicht bedrohlich funkeln. Sie trägt eine Matrosen- Flanellbluse mit senkrechten Streifen. Die Farben der Bluse sind hellrosa und hellblau. Die Bluse hat einen steifen und eng anliegenden Kragen, der gegen ihr Kinn drückt. Obwohl ihre Bluse relativ locker sitzt, wird sie unten von einem breiten Ledergürtel zusammengezogen und liegt dort sehr eng an. Der Gürtel offenbart eine Taille, von der die meisten Leute glauben so etwas gäbe es nicht und hätte es auch nie gegeben. Darunter schwingt ein schlichter marineblauer Rock. Er ist ziemlich füllig und reicht bis fast zum Boden. Wenn sie geht, kann man die Spitzen der glänzenden Lederstiefel sehen und erkennen, dass diese spitz zulaufen und sehr hohe Absätze haben müssen.
„Was für ein schändliches Verhalten muss ich sehen?“, stellt sie sachlich fest.
Die drei Mädchen fangen an zu zittern.
„Ich sehe Giuliana, so genannte Contessa di Fioretti, mit nach vorn geneigtem Kopf, weil niemand sich darum gekümmert hat ihre Korsettschnur mit einem Knoten zu sichern. Ich sehe dass ihr es zulasst wie sich ihre Korsett immer mehr lockert. Ich sehe dass zwei Mädchen immer noch nicht richtig geschnürt sind, und das um viertel vor Acht am Morgen! Würde eine von ihnen die Güte haben mir zu erklären, warum ihr immer noch in einem solch schändlichen Zustand seid!?“
„Tja, Madame“, sagte Netta, „Giuli hat mich gerade geschnürt. Sie nahm wohl an, dass es ihnen nicht gefallen würde wenn sie keinen ordentlichen Knicks machen würde. Deshalb hat sie...“
„Sie sollte fähig sein beides gleichzeitig zu machen, einen ordentlichen Knicks und die Korsettschnur halten“, sagt Miss Badsteel. „So, Signorina la Contessa, sind sie in der Lage das Korsett ihrer vorlauten Freundin zu schnüren, oder soll ich das tun?“
Netta wird augenblicklich sichtbar blass.
„Ich werde sie schnüren, Miss Badsteel“, sagt Giuliana schnell, und begibt sich an die Arbeit. Währenddessen steht Miss Badsteel daneben und stemmt ihre Hände in die Hüften. Sie macht immer wieder Bemerkungen wie: „Halten sie ihren Atem an, Mädchen! Versuchen sie nicht zu atmen, während ihr Korsett geschnürt wird! Miss Fioretti, sie ziehen ja nach hinten, anstatt zu den Seiten! Nein! Nicht so! Ziehe stärker! Warum mache sie jetzt einen Knoten? Das Korsett ist noch nicht eng genug! Miss Scruttle-Quise, sie dürfen nicht stöhnen wenn sie mit einem Korsett eingeschnürt werden! Es ist sehr undamenhaft.“
„Ich kann es nicht unterdrücken“, keucht die arme Netta. „Es ist unerträglich.“
„Oh, sie denken das es unerträglich, tun sie das? Und das schon jetzt, wo ihr Taillenumfang noch vier Zentimeter von ihrem Ziel entfernt ist? Sie werden mit der Zeit noch viel enger geschnürt werden, für den Abschlussball. Dann werden sie sich garantiert wünschen ein Korsett zu tragen wie dieses! Mädchen, wo bewahrt ihr das Maßband auf? Oh, ich sehe es.“
Sie eilt zu einem der leeren Betten, wo das Maßband liegt und beugt sich nach vorne, um es zu erreichen. Dabei knarrt ihr Korsett sehr laut. Mit sichtbarer Erleichterung erhebt sie sich wieder. Dann geht sie zu Netta um ihre Taille zu vermessen. „Nicht eng genug. Schnüre sie noch enger.“
Giuli zieht, und endlich sagt Miss Badsteel abfällig klingend: „Das reicht. Und wer ist jetzt dran? Komm’ her, Mädchen. Drehe dich einmal herum. Schrecklich! Du hältst deinen Oberkörper immer noch nach vorne geneigt. Ich hatte gehofft bei dir keine Rückhaltungsvorrichtung anwenden zu müssen, aber ich sehe dass wir es doch eine zeitlang bei dir anwenden müssen. Miss Scruttle-Quise, binden sie bitte den Zopf ihrer jungen Freundin am Korsett fest.“
Als Netta näher kommt, läuft das Gesicht des Mädchens vor Scham als auch vor Zorn rot an. Netta bindet das lange Haar von Giuliana zu einem Zopf und das Ende durch zwei Reihen der Rückenschnürung des Korsetts durch, sodass der Zopf stramm gezogen wird.
„Fertig. Ich habe den Zopf festgebunden. Ist das so in Ordnung?“
„Natürlich ist es nicht! Ziehen sie fester. Und sie, Mädchen, legen ihren Kopf zurück. Den Hals gerade halten und die Schultern nach hinten. Sie halten ihre Schultern viel zu stark nach vorne gebeugt!“
Sie tritt an das Mädchen heran und drückte Giulianas Schultern mit den Händen nach hinten und unten. „So. Ziehen sie jetzt den Zopf strammer nach unten, nein, noch strammer, und binden sie das Ende fest. Nicht durchziehen, das lockert sich wieder. Binden sie den Zopf an den Enden der Korsettschnur fest.“
„So“, sagt Netta. „Reicht das?“
Miss Badsteel presst ihre Lippen zusammen. „Kaum zu glauben. Ich kann nicht den ganzen Morgen warten bis ihr in die Gänge kommt. Ich werde jetzt den Rest erledigen.“
Sie geht zu Netta, nimmt ihren Zopf in die Hand und zieht heftig daran.
„Auaa!“
„Schreien sie nicht so! Das ist undamenhaft. Wenn sie ihren Kopf richtig halten würden, dann bräuchte ich ihnen jetzt nicht wehtun, oder? So sollte es getan werden. Ich hoffe ihr habt mir genau zugeschaut.“
Giuliana nickt andeutungsweise, mehr lässt der Zug an ihrem Haar nicht zu. Auch Gertie nickt flüchtig. Sie hat jenen Aktivitäten vom Bett aus zugesehen und versucht sich unauffällig zu verhalten. Sie hat die Hoffnung dass Miss Badsteel hinausgeht ohne ihr etwas anzutun.
Doch sie wird enttäuscht. „Ah, und nun zu ihnen, Gertie. Würden sie bitte aufstehen? Ich muss ihnen heute Morgen meine volle persönliche Aufmerksamkeit schenken.“
Gertie steht zögernd auf. Ihr Korsett wurde für die Nacht leicht gelockert. „Ja, Miss Badsteel?“
„Kommen sie bitte her zu mir. Ich werde sie heute Morgen höchst persönlich schnüren. Wir werden wieder den österreichischen Gürtel benutzen, und ich will Sicher gehen, dass es richtig getan wird.“
Gerties hübsches Gesicht wird von einem leichten Stirnrunzeln überschattet. „Aber, Miss Badsteel... Sie haben mich doch den Gürtel die ganze Nacht tragen lassen. Sie können das doch nicht zweimal tun!“
„Warum nicht?“
„Aber... Ich konnte nicht schlafen weil mein Korsett so eng war... Ich habe Probleme damit. Ich kann diese enge Schnürung nicht länger ertragen.“
„Gertie, meine Liebe, seien sie kein albernes Mädchen. Sie wissen, dass es absolut notwendig ist. Ihre Eltern haben sehr viel Geld gezahlt um sie hier her zu schicken, damit sie meine persönliche Aufmerksamkeit bekommen. Ihre Eltern sind der Meinung dass sie das Potential haben die Schönste ihrer Generation zu sein. Und ich glaube, dass sie Recht haben könnten. Sie sind mein Favorit. Sie werden mich doch nicht enttäuschen wollen?“
Gertie weicht immer weiter zurück, bis sie mit dem Rücken an der Wand steht. Für einen Moment sieht es so aus, als wenn sie davonlaufen wollte, aber Miss Badsteel steht genau zwischen ihr und der Tür.
„Ich weiß genau was meine Eltern sagten als ich hier her kam. Ich weiß dass ich meine Figur trainieren muss... es ist nur... bitte nicht wieder die Schraube!“
Miss Badsteel schaut sie wütend an. „Gertie! Ich bin sicher, dass sie mir nicht entgegentreten können, oder wollen sie das?“
Gertie schaut sich hastig um.
„Denn wenn sie das tun, dann fürchte ich, dass ich Schritte einleiten werden muss, die sie auf jeden Fall in die Richtige Richtung lenken werden.“
Gertie schwankt.
„Kommen sie zu mir. Sie wissen dass sie es nicht umgehen können. Sie können es nur schwieriger für sich machen.“
„Aber... es ist so eng, es ist so... Ich kann nicht atmen, ich kann mich nicht bewegen, es ist unerträglich!“
„Sie waren fähig es letzte Nacht zu tragen. Vielleicht haben sie geglaubt nicht geschlafen zu haben, aber ich bin sicher dass sie ein wenig geschlafen haben und sie sind nicht gestorben. Es wird nicht sehr wehtun, wenn sie es mich öfters tun lassen. Und glauben sie mir, sie werden am Ende eine Schönheit sein!“
Gertie überlegt fieberhaft wie sie aus dieser Situation unbeschadet herauskommen kann, aber sie weiß genau dass sie keine Chance hat.
„In Ordnung, aber... sie versprechen mir dass sie meine Taille nicht so hart zusammenschrauben wie gestern Abend?“
„Ich werde nicht mehr Kraft anwenden als nötig, um das beste Ergebnis zu erziehen das du verdienst“, sagt Miss Badsteel.
Gertie sackt sichtlich in sich zusammen und ihre Lehrerin faucht sie an: „Stellen sie sich gerade hin, Mädchen! Kommen sie jetzt zu mir, damit ich sie richtig schnüren kann. Hinterher können wir dann endlich zum Frühgebet gehen.“

*****

Es rauscht nur so, wegen der vielen Unterröcke. Es klackert hart und laut, wegen der hohen Absätze. Es knarrt leise, aber permanent, wegen der engen Korsetts. Der Grund für all diese Geräusche sind die Mädchen, denn sie befinden sich auf dem Weg zum Morgengebet.

„Hast du deinen Französisch- Aufsatz geschrieben, Gertie?“, fragt Netta.
Gertie geht sehr vorsichtig und auffällig gerade. Ihr Zopf verschwindet unter dem Kragen der strengen aber auch engen Schulbluse, da er hinten an dem Korsett festgebunden ist. Sie hält eine Hand dort, wo ihr Bauch sein sollte, jetzt aber von Federstahlstäben und Korsettstoff nach innen gedrückt ist. Sie sieht aus, als ob sie Angst hätte dass ihr Korsett jeden Moment aufspringen könnte. Doch das ist nicht möglich, da das Korsett zu stark ist. Es ist so stark, dass es ihren Körper genau in der Mitte teilen könnte, wenn man es wollte. Sie sagt: „Nein, ich konnte mit dem Thema nichts anfangen. Es ist ein absolut absurdes Thema. 'Le mariage est une loterie', ich habe noch niemals so einen Blödsinn gehört.“
Netta legt eine Hand auf ihren Busen. Ihre Brüste werden von dem eng geschnürten Korsett nach oben gedrückt, und die Bemühungen ausreichend Luft zu bekommen lassen ihre Brüste nur noch mehr anschwellen. „Gertie, du bist jetzt eine junge Dame. Du darfst nicht mehr so reden wie eine kleine Schülerin. Eine der Mistresses könnte dich hören!“
„Ich weiß. Ich sollte das nicht tun. Es ist nur... Dieser verdammte Ort bringt mich ständig dazu...“
„Hör damit auf, Gertie“, sagt Giuliana. „Hast du denn den Aufsatz geschrieben?“
„Nein, habe ich nicht. Was soll man denn schreiben, wenn man so eine dumme Überschrift bekommt? Ich kann mich einfach nicht konzentrieren wenn ich zu eng geschnürt werde. Und das die ganze Zeit, verdammt noch mal.“ Sie legt eine Hand auf ihren Bauch und schaut wütend über ihre hoch gedrückten Brüste nach unten. „Sie werden geradezu unverschämt nach vorne gedrückt“, stellt sie dabei fest.
Netta schaut sie an. „Du kannst dich glücklich schätzen. Mademoiselle kann sehr unfreundlich sein, wenn man nicht ihre Aufgaben erfüllt hat.“
„Ich schaffe es noch, Schätzchen. Ich mache es. Ich werde während des Gebets ein paar Zeilen aufs Papier kritzeln. Und wenn sie sagt dass es nicht genug gut ist, dann werde ich in Ohnmacht fallen. ‘Oh, Mademoiselle, je suis desolée, mais on m’a lacé trop fort hier soir…au secours, Mademoiselle, j’ai peur que je vais évanouir!’, werde ich dann sagen und elegant zu Boden fallen und dort liegen bleiben. Das klappt immer. Wenn man ohnmächtig wird, denkt sie nicht mehr an die Hausarbeiten.“
„Es gibt eine Erzählung“, sagt Giuliana, als die Mädchen kurz vor dem Klassenzimmer sind, „über einen Jungen, der wie ein Wolf rufen konnte... Vielleicht hören sie auf, dir zu glauben, wenn du zu oft in Ohnmacht fällst.“
„Bei einer Taille, wie der meinen, Süße, müssen sie mir einfach glauben. Außerdem stimmt es ja auch fast. Beeilung, es ist höchste Zeit für das Gebet.“

Eine Lehrerin, mit einem grimmigen Gesichtsausdruck und einer schmalen Taille, steht an der Tür. In der einen Hand hält sie einen Stock, und in der anderen Hand ein Maßband. Die Lehrerin vermisst die Taillen der Schülerinnen. Die drei Mädchen bleiben respektvoll stehen. Die Lehrerin kontrolliert ihre Taillen, und lässt sie passieren. „Euer Aussehen ist nachlässig!“, ruft sie ihnen nach, als sie das Klassenzimmer betreten. Die drei Mädchen tun so als hätten sie es nicht gehört und setzen sich auf die vorderen freien Plätze. Normalerweise füllen sich die Schulbänke immer von vorne nach hinten, aber auf der Akademia della Vespa ziehen es die Schülerinnen vor lieber hinten zu sitzen und unauffällig zu bleiben.

Als alle Schülerinnen anwesend sind, insgesamt 29 Mädchen, betritt Miss Corinna Badsteel das Klassenzimmer. Es rauscht unglaublich laut, als sich alle Mädchen erheben. Sie warten bis Miss Badsteel ihren Platz eingenommen hat und sagt: „Ihr dürft euch hinsetzen.“
Etwas ungeschickt, da die engen Korsetts und die weiten Röcke hinderlich sind, setzen sich die Mädchen wieder hin. Die Röcke rauschen und die Korsetts knarren laut. Manche Mädchen stöhnen, als wenn sie kurz vor dem Ersticken wären.
„Lasset uns betet“, ertönt die laute Stimme von Miss Badsteel.
Mit offensichtlichen Schwierigkeiten mühen sich alle neunundzwanzig Mädchen wieder hoch, um sich für das Gebet hinzuknien. Das ist eine der schlimmsten Anstrengungen, denn sie müssen mit aufrechtem Oberkörper auf den harten Kniebänken verharren.
Die Mädchen murmeln die Gebete, welche ihnen die Schulvorsteherin wie jeden Morgen vorbetet. Es sind die üblichen Gebete der englischen Kirche. Allerdings legt die Schulvorsteherin großen Wert auf die Betonung von Gehorsam und Geduld. Außerdem hat sie ein paar Zeilen hinzugefügt, welche sicherlich nicht die Zustimmung des Erzbischofs von Canterbury haben dürften. Die Mädchen sollen darum beten eine bessere Figur zu bekommen.
Als Miss Badsteel endlich ‚Amen’ sagt, mühen sich die Mädchen wieder auf die Sitzbänke zurück. Gertie ist allerdings zu eng geschnürt und schafft es nicht von alleine. Netta und Giuliana müssen ihr helfen. Miss Badsteel schaut dieser undamenhaften Tätigkeit Stirn- runzelnd zu.

Dann beginn ihre Rede: „Ich bin mir sicher dass es euch nicht entgangen ist, Mädchen, dass es meine Aufgabe ist mit der neuesten Korsettmode Schritt zu halten. Es ist natürlich für jemanden in meiner Position absolut wichtig zu wissen, wie man die besten Ergebnisse erzielen kann, um den heranwachsenden Körper eines jungen Mädchens perfekt zu formen. Nur so habt ihr die Gewissheit dass ihr die schönsten und begehrenswertesten Körper eurer Generation habt, wenn ihr meine Einrichtung verlasst. In den letzten Wochen habe ich eine Entdeckung gemacht, die euch alle bestimmt interessieren wird. Ich glaube auch dass diese Entdeckung euer Leben zu eurem Vorteil verändern wird.“
Die Schulvorsteherin unterbricht ihre Rede und geht zur Seite, wo ein grünes Tuch über einer Staffelei hängt. „Das ist“, sagt sie mit stolzer Stimme, „das neue Gesundheitskorsett.“ Mit diesen Worten zieht sie das Tuch herunter und enthüllt einen 60 Zentimeter großen Kupferstich. Die Mädchen verrenken ihre Hälse, um das Bild besser sehen zu können. Giuliana, Netta und Gertie, sie sitzen in der vordersten Reihe, können das Bild sehr gut sehen. Sie können aber auch sehen, dass die Frau auf dem Bildnis eine entsetzlich schmale Taille hat. Die drei Mädchen wissen aus Erfahrung, dass Darstellungen für Korsetts immer übertriebene Zeichnungen sind um besser für das Erzeugnis zu werben. Sie wissen auch, dass die Korsetthersteller von ihrer Kundschaft nicht erwarten dass man in der Wirklichkeit so aussieht.
„Das Gesundheitskorsett ist eine Weiterentwicklung des gegenwärtigen Stils als auch eine revolutionäre Neuerung, denn es hat einen wichtigen Vorteil“, sagt Miss Badsteel. Sie zeigt dabei mit einem Zeigestock auf das Bild. „Betrachtet zunächst die Vorderschließe. Bei einem konventionellen Korsett... Gertie, steh auf und komme nach vorne.“ Sie wartet bis Gertie vor der Klasse steht. „Vielen Dank. Gerties Bluse ist sehr eng und so können wir die Vorderschließe ihres Korsetts deutlich sehen. Stell dich seitwärts, Mädchen. So. Wie ihr seht, ist Gerties Korsett so geformt, dass es in ihrer Taille einknickt.“
Gertie steht wie angeordnet still vor der Klasse. Sie hält ihren Kopf gerade und die Schultern nach hinten, da ihr der an dem Korsett festgebundene Zopf keine andere Wahl lässt. Derweil zeigt Miss Badsteel mit dem Zeigestock auf Gerties Taille. „All eure Korsetts sind identisch. Du kannst dich wieder hinsetzen, Gertie. Kommen wir jetzt wieder zum Gesundheitskorsett.“
Die Schulvorsteherin zeigt wieder auf die Zeichnung. „Die Vorderschließe ist von den Brüsten bis nach unten absolut gerade. Es gibt keinen Knick im Taillenbereich. Diese Art von Korsett ist mit der Absicht entwickelt worden die natürliche Muskulatur und Anatomie zu unterstützen, sodass die Atmung trotz enger Taille leichter ist.“
Die Schulvorsteherin schaut mit zufriedenem Gesichtsausdruck auf ihre Schülerinnen, während die Mädchen „Ooh“ oder „Aah“ von sich geben oder mit ihren Nachbarinnen reden. Sie sind sich alle einig, denn das ist eine sehr gute Nachricht. Gertie legt ihre Hand auf ihre schmale Taille und sagt: „Das muss ich unbedingt ausprobieren.“
„Ruhe!“, ruft Miss Badsteel und klopft mit dem Zeigestock auf das Pult. Sofort verstummen die Mädchen. „Ich glaube, das Gesundheitskorsett hat das Potential eure Figuren zu verbessern. So habe ich beschlossen eure Eltern anzuschreiben, damit sie das Geld für die Anschaffung dieses Korsetts zur Verfügung stellen. Jene unter euch, deren Eltern sich das neue Korsette nicht für euch leisten können, werden natürlich weiterhin mit den bestehenden Korsetts trainiert.“
„Dem Himmel sei Dank ist mein Vaters immer bereit Geld für ein neues Korsett auszugeben“, sagt Netta zu den anderen beiden Mädchen. „Endlich werde ich keine Mühe mehr mit einem Korsett haben!“
„Es ist schön, wenn wir es etwas bequemer haben“, pflichtet ihr Giulana bei.
„Seid ruhig, ihr da vorne!“
Die drei Mädchen schauen sich an und setzen sich wieder gerade hin.
„Ich bin so froh, dass ihr alle zufrieden seid“, sagt Miss Badsteel mit einem hinterlistigen Lächeln. „Ihr werdet euch natürlich auch darüber freuen, dass im Lichte dieser neuen Entwicklung all eure zu erzielenden Taillenmaße neu überdacht werden.“
Die drei Mädchen, welche der Meinung sind gute Nachrichten zu hören und endlich wieder freier atmen zu können, fühlen wie alle Hoffnungen zerstört werden.
„Die zusätzliche Freiheit zu atmen, aufgrund des Gesundheitskorsetts, erlaubt natürlich eine schmalere Taille. So ist es nur folgerichtig, dass eure endgültigen Taillenmaße entsprechend revidiert werden müssen.“
Ein lautes Stöhnen erklingt in dem Klassenzimmer. Manche Mädchen reißen vor Entsetzen die Augen auf. Die drei Mädchen schauen sich an. Sie können sehen, dass Gertie anfängt sich schwach zu fühlen. Das arme Mädchen, es bedarf nicht viel um sie in Ohnmacht zu versetzen, denn die Schulvorsteherin hat ihr an diesem Morgen den Wiener Trainingsgürtel um einiges enger geschraubt.
Miss Badsteels Lächeln verbreitert sich etwas, bleibt aber eiskalt wie immer. „Wie es scheint, haben einige von ihnen angenommen, dass der Zweck des Gesundheitskorsetts der Bequemlichkeit dienen würde. Das war töricht von ihnen. Der Sinn und Zweck dieser Schule ist einer jeden von ihnen die schmalste Taille zu geben, die ihnen möglich ist. Wenn dies also möglich ist, weil ich eure Korsetts verändere, so ist es meine Pflicht dies zu tun. Ich sehe überhaupt keine Verpflichtung, es ihnen so angenehm wie möglich zu machen.“
Die Schulvorsteherin schaut sich in dem Klassenraum um, um sich zu vergewissern dass alle Mädchen begriffen haben was sie gerade gesagt hatte. Dann sagt sie: „Mädchen, ihr dürft frühstücken gehen.“

Wie auf ein Kommando erheben sich die Mädchen. Die voluminösen Röcke rauschen wie ein Wasserfall. Dieses Rauschen wird von stöhnenden und knarrenden Klängen begleitet, da die Korsetts die Mädchen stark behindern. Die Mädchen verlassen in Reih und Glied den Raum, nur die drei Mädchen aus der ersten Reihe warten darauf, dass Miss Badsteel von ihrem Podest herunter schreitet. Dann gehen sie auf die Schulleiterin zu. Alle scheinen ziemlich groß zu sein. Doch das liegt nur an den eng geschnürten Stiefeln, welche sehr hohe Absätze haben. Diese Stiefel sind Teil der Schulkleidung. Die Schulleiterin schaut sehr selbstbewusst ihre Schülerinnen an, denn sie hat jede einzelne mit ihrer bevorzugten Methode diszipliniert. Sie ist der Meinung dass das zeitweilige Tragen eines Strafkorsetts seine Wirkung hat und die Mädchen nicht mehr den Mut haben zu opponieren.

„Also, Mädchen. Was wollen sie sagen? Machen sie es schnell.“
Die drei Mädchen schauen sich kurz an. Dann nimmt Netta ihren Mut zusammen und sagt: „Miss Badsteel, wir wollen nicht noch enger geschnürt werden.“
„Ich weiß“, sagt Miss Badsteel und schnaubt verächtlich. „Und mit welcher dummen Begründung wollt ihr mich jetzt belästigen?“
Netta wirft einen flüchtigen Blick auf die anderen, welche sie aufmunternd anblicken, und fährt fort: „Miss Badsteel, ich habe in dem Jahr, seitdem ich auf der Akademie della Vespa bin, große Fortschritte gemacht. Wir alle haben große Fortschritte gemacht. Sie haben uns als Ziel eine sehr schmale Taille vorgegeben. Ich bin nicht sicher, ob ich das mir auferlegte Ziel erreichen kann. Wenn sie dennoch auf den von ihnen vorgegebenen Taillenumfang bestehen, wäre es besser wenn sie uns in das Gesundheitskorsett schnüren, da es damit leichter sein soll das Ziel zu erreichen. Es wäre ihnen doch bestimmt lieber, wenn wir auf diese Weise schneller zum Erfolg kommen.“
Miss Badsteel steht schweigend vor den drei Mädchen und lässt den Zeigestock immer wieder leicht in die andere Hand klatschen. Dann fragt sie: „Hat noch jemand was dazu beizutragen?“
„Sie hat auch für mich gesprochen“, sagt Giuliana sichtlich nervös und stellt sich noch gerader hin als zuvor.
„Und für mich“, fügt Gertie schnell hinzu.
„Sehr gut. Also! Ich wiederhole mich nur ungern, aber da ihr wohl nicht richtig zugehört habt ist es leider notwendig. Ihr seid nicht hier, um eine angenehme Zeit zu verbringen. Eure Eltern...“
„Entschuldigen sie mich! Meine Eltern sind tot, Miss Badsteel“, unterbricht Giuliana.
„Das ist mir sehr wohl bekannt, Mädchen. Wenn ich spreche, haben sie mich nicht zu unterbrechen. Wenn sie das noch einmal tun, werde sie dafür bestrafen müssen. Also, ihre Eltern oder Vormund, haben euch in meine Obhut gegeben, weil sie wissen dass ich gute Ergebnisse erziele. Ich kann genau beurteilen, welches Mädchen was erreichen kann, wenn es sich richtig bemüht. Und ich weiß, was zu tun ist um aus euch alles herauszuholen, damit ihr die besten Ergebnisse erzielt. Natürlich ist das Leben nicht sehr angenehm, solange ihr ausgebildet werdet den kleinsten Taillenumfang zu bekommen den ihr erreichen könnt. Meine Methode besteht darin, das Leben eines Mädchen so unangenehm wie möglich zu machen, wenn es sich gegen meine Ausbildung wehrt. Ich mache dies, damit ihr erkennt, wie leicht ihr es habt, wenn ihr meine Anordnungen befolgt. Es ist egal welche Art von Korsett ihr tragt. Ich werde mich immer vergewissern dass es so eng wie möglich geschnürt wird, und wenn es nur 5 Millimeter enger ist als ihr euch selber zutraut. Wenn ihr den Gedanken hegt euch gegen meine Methoden aufzulehnen, dann verwerft ihn auf der Stelle. Ihr habt alle die Erfahrung gemacht mit welchen Mitteln ich euch in Schwierigkeiten bringen kann.“
Die drei Mädchen senken die Köpfe und treten zurück. Aber dann ertönt ein Aufschrei der Empörung: „Sie haben nicht die Erlaubnis dazu!“
Die Schulleiterin reagiert sofort: „Netta, ich bin von ihnen enttäuscht. Die anderen beiden, ich glaube eine ist sogar Baptistin, kommen nicht wie sie aus einer ehrbaren gläubigen englischen Familie. Gerade sie sollten den anderen ein gutes Vorbild sein.“
Während dieser Worte klatscht die Schulvorsteherin heftig den Zeigestock in die andere Hand und überlegt wie sie diesen kleinen Aufstand im Keim ersticken soll. Sie fährt fort: „Doch zu aller erst müssen sie aufhören solche törichten Gedanken zu pflegen und so zu handeln. Alles, was sie in diesem Leben tun müssen, ist nett zu sein und das zu tun was man ihnen sagt. Es gehört sich nicht für ein Mädchen sich eigene Gedanken zu machen. Und das werden sie bald lernen.“
Zwei der drei Mädchen lassen resigniert ihre Köpfe hängen. Nur Gertie zögert und erwidert zaghaft: „Aber...“
Miss Badsteel hebt drohend ihre Augenbrauen an. „Möchtest du das Strafkorsett tragen, Gertie?“
„Nein...“
„Dann sei ein gutes Mädchen, oder ich werde dich wie ein schlechtes Mädchen behandeln. Geht jetzt weiter! Geht jetzt zu eurem Frühstück.“

*****

„Das ist absolut unerträglich!“, sagt Netta und geht auf und ab. Giuliana steht am Fenster und hat ihre Hände auf den Hüften gelegt. Sie schaut mit schmerzerfülltem Ausdruck nach draußen. Beide Mädchen tragen Trainingskorsetts, welche sehr unbequem sind.
„Es ist wahrlich schlimm“, stimmt Giuliana zu, ohne sich umzudrehen. „Aber was können wir dagegen tun? Eure Eltern werden es nicht verstehen oder es ist ihnen egal. Ich habe keine. Und was sollen wir gegen Miss Badsteel Stab ausrichten? Wir sind zu wenige.“
„Das sind wir“, sagt Netta betrübt klingend. „Wo ist Gertie?“
„Ich weiß es nicht“, antwortet Giuliana und schaut angestrengt nach draußen, als ob sie dort ihre Freundin entdecken könnte. Ihr Zopf, der immer noch unter dem engen Kleid verschwindet, weil er am Korsett festgebunden ist, verhindert dass sie ihren Kopf bewegen kann. „Nachdem sie während des Französischunterrichts ohnmächtig wurde, hat man sie fort getragen. Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen.“
„Vielleicht hat sie übertrieben. Du weißt doch... Sie plante eine Ohnmacht vorzutäuschen. Es kann aber auch echt gewesen sein. Sie war ziemlich aufgeregt nach der Ankündigung dieses Gesundheitskorsetts.“
„Ja, und Miss Badsteel benutzte den Schraubgürtel, nachdem sie heute Morgen in ihr Korsett geschnürt worden war. Ihr Korsett ist viel zu eng. Sie kann tatsächlich Probleme bekommen haben.“
Netta bleibt endlich stehen und faltet ihre Hände zusammen. „Wir können nicht... wir können nicht hier herumstehen und über sie reden. Wir müssen etwas unternehmen! Ich versuche herauszufinden ob es ihr gut geht.“
„Nein!“ Giuliana wirbelt herum. „Dein Korsett ist doch auch viel zu eng geschnürt. Wenn du unterwegs ohnmächtig wirst, was dann? Bleibe hier und versuche ruhig zu bleiben. Ich werde gehen.“
Netta legt ihre Hand an ihre Brust und sagt: „Ich danke dir, Giuliana. Du bist ein Schatz, wirklich. Ich fühle ein bisschen schwindelig...“
Giuliana zieht ihr Kleid glatt, da sich Falten über der viel zu eng geschnürten Taille gebildet haben. Sie sagt: „Mein Taillenumfang ist heute Morgen nur bis auf 42 Zentimeter geschnürt worden. Schau, mein Kleid sitzt nicht richtig, weil das Korsett nicht eng genug geschnürt wurde. So ist es besser wenn ich gehe.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verlässt sie das Zimmer. Netta geht zu ihrem klapprigen Bett und schaut es angeekelt an. Dann dreht sie sich um und setzt sich langsam und leise stöhnend hin, da ihr Korsett den Oberkörper absolut steif hält. Sie kann sich kaum in den Hüften beugen. Plötzlich verliert sie ihr Gleichgewicht und fällt mit einem Schrei um. Das Metallbett rutscht laut kreischend weg. Glücklicherweise landet sie dennoch auf dem Bett und schließt die Augen. Sie drückt ihre Hände gegen ihre Taille, da die heftige Bewegung sehr stark schmerzt. Schließlich öffnet sie wieder ihre Augen und starrt die Zimmerdecke an. Ihr Gesichtsausdruck ist nicht mehr energisch, sondern eine Mischung aus Resignation und Trotz.

Nach einer unendlich erscheinenden Zeit hört sie die Schritte von zwei Personen auf dem Korridor. Die Personen gehen sehr langsam. Eine Person hat einen schleppenden, ungleichmäßigen Schritt. Netta weiß sofort dass es nur Giuliana und Gertie sein können, und will rasch aufstehen, doch das Trainingskorsett ist zu lang und zu steif. Sie schafft es nicht. „Verdammt“, schimpft sie und fällt auf das Bett zurück.
In diesem Moment öffnet sich die Tür. Netta sieht Giulianas Hand, welche aber sofort wieder verschwindet. „Alles wird gut“, sagt Giuliana mit sanfter Stimme. „Du hast dein Zimmer erreicht. Trete ein. Wir passen auf dich auf.“

Die Schritte fangen wieder an zu schlurfen und jemand betritt ganz langsam das Zimmer. Es ist Gertie, und, obwohl sie die gleiche Kleidung wie am Morgen trägt, ist ihre Erscheinung völlig anders. Als Netta sie endlich sehen kann, meint sie das wankende Abbild des Eiffelturms zu sehen. Gerties Schuhspitzen sind unter dem knöchellangen Rock zu sehen. Sie trägt die höchsten Absätze, die Netta jemals gesehen hat. Sie hat Mühe das Gleichgewicht zu halten. Als sie weiter in den Raum eintritt, bemerkt Netta, dass Giuliana hinter ihr steht und sie führt. Der Rock scheint auch viel enger an den Hüften anzuliegen und ihre Taille sieht besorgniserregend schmal aus. Die eng anliegende Schulbluse offenbart einen Oberkörper, der in einem fast absurd groß wirkenden Busen endet. Die Knöpfe scheinen jeden Moment abreißen zu wollen, wenn sie ihre kurzen und hastigen Atemzüge macht. Man hat außerdem ihren Zopf wieder stramm nach hinten gezogen, sodass ihr Kopf weit in den Nacken gezogen wird. Sie kann nur noch nach oben schauen, auf gar keinen Fall auf dem Fußboden. So bekommt sie fast einen hochmutigen Ausdruck. Aber ihr Blick ist voller Panik, wie bei einem Pferd, das auf der Flucht ist. Aber sie kann nicht fliehen, denn Miss Badsteels Anstrengungen ein Mädchen zu einer Dame zu machen sind überdeutlich zu sehen.

Netta versucht sich zu erheben, aber es gelingt ihr nicht. Das Ergebnis ist nur ein lautes Quietschen des Metallbetts sowie das Knarren ihres Korsetts. „Gertie!“, keucht sie. „Was hat man dir angetan?“
Gertie gibt ihr einen qualvollen Blick, sagt aber nichts.
„Bitte sie jetzt nicht darum zu sprechen“, sagt Giuliana. „Sie bekommt kaum Luft. Ich werde es dir sagen. Möchtest du das, Gertie?“
Gertie nickt kaum wahrnehmbar.
So sagt Giuliana: „Lass mich sie zuerst auf das Bett legen, Netta. Dann werde ich dir erzählen, was sie mir gesagt hatte.“

Netta muss sich mit dieser Auskunft zufrieden geben. Sie liegt hilflos auf dem Bett und würde doch so gerne ihrer Freundin helfen. Sie spürt wie Gertie leidet und wünscht sich ihr helfen zu können, aber das verdammte Trainingskorsett hält sie auf dem Bett gefangen. Sie kann nur liegen und warten. Sie sieht, wie Giuliana Gertie bis zu ihrem Bett führt. Dort stellt sie ihre Freundin mit dem Rücken zum Bett. Dann, trotz des bedrohlich klingenden Knarrens ihres eigenen eng geschnürten Korsetts, hilft sie dem amerikanischen Mädchen sich auf die Bettkante zu setzen. Als schließlich Gertie auf dem Bett liegt, kniet sich Giuliana davor hin und legt die Beine samt Rock gerade auf das Bett. Danach zieht sie sich schwer atmend am Bettgestell wieder hoch.

„Ich bekomme nicht sehr gut Luft“, sagt sie, als sie endlich wieder steht. „Ich denke, dass ich mich jetzt nicht hinsetze...“
„Warum legst du dich nicht hin?“, fragt Netta.
„Weil ich nicht wieder aufstehen kann. Es würde mir wie dir ergehen. Dann würden wir alle liegen... Jemand muss bei ihr bleiben. Also. Willst du wissen was mit der armem Gertie los ist?“
„Ja, natürlich!“ Netta schaut mitfühlend zu ihrer leidenden Freundin hinüber.
„Du erinnerst dich doch daran, wie Gertie im Französischunterricht ohnmächtig wurde?“
„Aber natürlich. Man hatte dann zwei Mägde gerufen um sie weg zu tragen. Und danach habe ich sie nicht mehr gesehen, bis jetzt gerade...“
„Genau. Gertie sagte mir, als sie aufwachte war Miss Badsteel anwesend. Ich denke dass die Krankenschwester nach ihr gerufen hatte, weil sie Angst hatte, denn Gertie war ja so eng geschnürt. Jeder weiß, dass Gertie die schmalste Taille von uns hat, und heute Morgen wurde ihr doch zusätzlich der Wiener Trainingsgürtel umgelegt. Also. Miss Badsteel wusste dass Gertie öfters mit Absicht so getan hatte als wenn sie ohnmächtig geworden wäre. Das hatte sie auch diesmal wieder ausprobiert, aber kurz bevor sie den Fußboden erreichte, war es echt. Miss Badsteel war allerdings sehr wütend, besonders nachdem Gertie sie heute nach dem Gebet herausgefordert hatte. So brachte man sie zum Trainingsraum, um sie in das Strafkorsett zu stecken. Das schwarze Leder- Strafkorsett.“
„Oh, nein!“
„Oh ja. Wir haben alle zwei Strafkorsetts. Eines ist schlecht, und das andere ist sehr schlecht. Das schwarze Leder- Strafkorsett ist das Schlimmste. Miss Badsteel ließ Gerties Taille in dem schwarzen Lederkorsett so eng schnüren, wie es nur möglich war. Unsere arme Gertie! Sie sagt, dass sie mehr als einmal ohnmächtig wurde, aber Miss Badsteel war fest entschlossen nicht aufzuhören. Schließlich hatte man ihren Taillenumfang bis auf 35 Zentimeter reduziert. Jetzt kann Gertie sich kaum bewegen, oder sprechen. Sie kann so gut wie nichts tun. Sie ist nicht in der Lage heute Nachmittag am Unterricht teilzunehmen. Und ich kann nichts tun als bei ihr zu sein und ihr zu zeigen dass sie unter Freunden ist.“

Netta rollt sich auf die Seite und versucht, trotz des steifen Trainingskorsetts, sich auf dem Ellenbogen abzustützen. „Können wir nicht ihr Korsett lockern?“
„Ich habe auch schon daran gedacht, Netta. Es sieht aber nicht gut aus. Schau, cara mia, ich rolle dich jetzt auf die Seite. Keine Angst, ich will dir nicht wehtun... So, das reicht...“
Ganz vorsichtig rollt Giuliana Gertie auf dem Bett herum, bis Netta den Rücken zu sehen bekommt. Dann knöpft sie die enge Schulbluse auf. Anschließend öffnet sie den engen Rock. Zum Vorschein kommt das Furchterregende schwarzen Leder- Strafkorsett. „Kannst du es sehen, Netta? Sie haben es mit einem Vorhängeschloss abgeschlossen. Dort ist der Stahlgürtel, und der ist abgeschlossen. Wir können ihr Korsett lockern, aber nicht das Schloss öffnen.“
„Wir könnten doch immerhin die Korsettschnur zerschneiden...“
„Das wäre nicht gut. Der Gürtel hält trotzen eisern ihre Taille im Griff. Und das bei 35 Zentimeter. Wenn wir die Schnur lösen, werden wir ihr nur noch mehr wehtun. Es gibt nichts, was wir tun können.“

Netta liegt schweigend auf dem Bett und überlegt. Dann sagt sie: „Es gibt etwas, was wir tun können! Hilf mit bitte aufzustehen.“
Giuliana geht zu ihr und hilft ihr mühsam aufzustehen.
„Ich danke dir, meine Liebe. Wie ich schon mal sagte, wir müssen an unsere Familien schreiben. Sie können nicht wirklich wollen, dass man uns das antut. Ich meine... ich weiß dass es schwierig ist eine Schönheit zu werden, aber niemand sollte so unmenschlich behandelt werden!“
„Cr.. l…n…n... i...“, flüstert jemand kraftlos.
„Wie bitte? Gertie, warst du das?“ Netta geht laut raschelnd um das Bett herum und beugt sich ächzend nach unten, um so nah wie möglich an Gerties Gesicht zu gelangen. Giuliana folgt ihr, aber Netta hebt abwehrend eine Hand hoch. „Bitte nicht, Giuli. Sei bitte ruhig. Ich muss hören was sie sagt.“ Stirnrunzelnd vernimmt sie die Worte und wiederholt: „Ja... Sie sagt ‚Grausam und unmenschlich’. Wie bitte? Sie sagt etwas von Verfassung. Ich nehme an dass sie die amerikanische Verfassung meint. Ja genau! Das ist in Amerika verboten.“
„Aber wir sind nicht in Amerika“, sagt Giuliana. „Wir befinden uns in England.“
„Tja“, sagt Netta. „Wenn wir es nicht versuchen, sind wir verloren. Also. Wir müssen unseren Eltern schreiben und ihnen mitteilen was hier mit uns passiert. Selbst wenn sie uns nicht von dieser Schule nehmen, müssen sie den Wahnsinn mit dem Gesundheitskorsett stoppen. Wir werden aber die Briefe irgendwie herausschmuggeln müssen, vielleicht vom Gärtner, damit Miss Badsteel sie nicht in die Finger bekommt... Ja, ich weiß, Gertie. Ich werde dir helfen.“
„Ich habe Beziehung zu einem Botschafter, der auf mich aufpassen soll, solange ich in England lebe“, sagt Giuliana. „Was ist mit Gertie? Leben ihre Eltern in Amerika?“
„Nein, zur Zeit nicht. Sie führen einen Rechtsstreit und verweilen deshalb mehrere Monate in England. Sie sind außerdem bemüht von der höheren Gesellschaft aufgenommen zu werden. Wir können also Verbindung mit unseren Eltern und Vormund aufnehmen und zu Gott beten dass wir vernünftige Antworten bekommen. Wir müssen es probieren.“

*****

Achtundzwanzig Mädchen, eine ist von der übereifrigen Schulleiterin viel zu eng geschnürt worden und liegt gerade im Bett, sitzen an langen Tischreihen und nehmen ihr Sonntags- Frühstück zu sich. Sie picken lustlos in dem Essen herum, da sie keinen Appetit haben. Das ist unvermeidlich, da alle jungen Damen viel zu eng geschnürte Taillen haben. Das Essen ist von schlechter Qualität und unappetitlich. Niemand, der vor Hunger umkommen würde, könnte dieses Essen schnell zu sich nehmen. Miss Badsteel glaubt dass dies eine gute Disziplin wäre, denn je weniger die Mädchen aßen, desto eher bekämen sie schmale Taillen.

„Mehrere Mädchen haben diese Woche Post bekommen“, übertönt Miss Badsteels Stimme das Klappern des Bestecks. „Wenn eure Namen aufgerufen werden, legt euer Essbesteck ordentlich neben dem Teller ab und erhebt euch, Rücken gerade. Dann kommt nach vorne, Schultern ordentlich nach hinten gedrückt, macht vor mir einen Knicks und wartet, damit euch der Brief gereicht wird. Wenn ihr den Brief empfangen habt, macht ihr wieder einen Knicks und geht dann auf eure Plätze zurück. Ihr öffnet eure Briefe erst nach dem Frühstück. Es ist ein sehr schlechtes Benehmen, wen man liest und isst. Habt ihr das verstanden?“
Die Bewegungen von Messern und Gabeln halten für einen Moment inne. „Ja, Miss Badsteel!“
„Gut. Folgende Mädchen haben einen Brief bekommen: Hearst-Sutton... Fitzcollins... „

Gertie legt ihr Besteck ordentlich neben dem Teller ab, schiebt den Stuhl nach hinten und steht mit offensichtlicher Schwierigkeit auf. „Seaxe... von Zahnberger von und zu Feuerstein... Scruttle-Quise...“ Netta legt ebenfalls ihr Besteck zur Seite und steht anmutig auf. Sie geht wie eine perfekte Dame nach vorne. „Landsburgh... Dart... di Fioretti...“ Giuliana legt Messer und Gabel ab und steht auf. “Gräfin di Fioretti! Setzen sie sich wieder hin und legen sie ihr Besteck ordentlich neben dem Teller hin! Mir ist egal ob dies die Sitte in Italien ist! Sie befinden sich jetzt in England und sie lernen sich wie eine englische junge Dame zu benehmen, und wenn ich sie für den Rest ihres Lebens hier behalten muss!“
Giuliana unterdrückt ihre Wut und setzt sich wieder. Sie legt ordentlich, aber unüberhörbar, das Besteck neben dem Teller hin.
„Das ist schon besser. Jetzt können sie aufstehen und nach vorne kommen.“
Giuliana geht nach vorne. Dabei kommt ihr Netta entgegen und flüstert: „Bleib ruhig.“
Sie tut ihr Bestes und geht mit aufrechtem Gang nach vorne. Dort macht sie ihren Knicks. Miss Badsteel zögert. Sie schaut dem Mädchen lange ins Gesicht und prüft, ob sie ein Anzeichen von Feindseligkeit erkennen kann. Nichts ist zu erkennen.

Eines der Dinge, das alle Mädchen gelernt haben, ist wie man Gefühle verbirgt. Es ist die englische Art auf keinen Fall erkennen zu lassen dass das Korsett einen umbringt, sonst bekommt man auf einem Ball keinen Tanzpartner.

Als Miss Badsteel zufrieden feststellt dass Giuliana sich richtig verhält, übergibt sie ihr den Brief. Giuliana schaut lange darauf und erkennt die Handschrift ihres Onkels. Dann kehrt sie zu ihrem Stuhl und dem furchtbaren Frühstück zurück.

*****

Zehn Minuten später warten die anderen beiden Mädchen in ihrem Zimmer auf ihre Freundin. Endlich tritt Giuliana herein.
„Geht es dir gut, Schatz?“, fragt Gertie. „Oder hat sie dir Probleme gemacht?“
„Nicht wirklich, Gertie. Ich ließ sie nicht erkennen dass ich wütend war. Aber sie wollte mir etwas antun. So zog sie meinen Zopf noch weiter nach unten.“
„Ich weiß, ich weiß... Dagegen können wir nichts tun. Ich möchte jetzt gerne mein Brief lesen, wenn ich darf...“
„Bitte, nur zu, Gertie“, sagt Netta begeistert. Sie hat ihren eigenen Brief noch nicht aufgemacht, aber betastet ihn immer wieder, in der Hoffnung dass er gute Nachrichten enthält.

Gertie reißt den Umschlag auf und zieht erwartungsvoll das edle Briefpapier heraus. Sie faltet das Blatt, welches mit einer ordentlichen Schrift beschrieben ist, auf und beginnt laut vorzulesen: „Lieber Schatz, wir hoffen dass es dir gut geht und dass du glücklich bist... Was für Worte! Entschuldigt, das steht nicht im Brief. Äh... Wir genießen die Gastlichkeit von... blah, blah, blah... ...das Gesundheitskorsett. Aha! Es ist sehr wichtig dass du so schön wie möglich aussiehst. Blah, blah... Wir haben hart dafür gearbeitet damit du eine Lady wirst. Leider hatten wir in unserer Kindheit nicht diesen Vorzug gehabt. Wir möchten dich bei Hofe einführen, was sicherlich das größte Ereignis in deinem Leben ist. Gebe dein Bestes, damit du uns keine Schande bereitest und nicht die Königin beleidigst. Das heißt, dass dein bestes Aussehen auch eine wirklich schmale Taille bedeutet. Il faut souffrir pour être belle.“ Sie liest den letzten Absatz mit einem gewissen Sarkasmus in ihrer Stimme. Dann knüllt sie den Brief zusammen und wirft ihn weg. „Soviel dazu. Ich bin verdammt. Was ist mit dir, Netta?“

Netta öffnet ihren Brief ordentlicher, so wie es ihr seit ihrer Kindheit beigebracht wurde, denn sie wuchs in einer edlen englischen Familie auf. Dort hatte sie gelernt ihre Gefühle zu unterdrücken. Sie liest laut vor: „Meine teure Tochter, ich machte mir große Sorgen über ihre Opposition zu dem neuen Programm des Korsetttrainings, welches ihre führsorgliche Lehrerin einführen möchte. Nachdem sie mit dem guten Beispiel ihrer Mutter aufgewachsen sind, welche einst sogar die zweit- kleinste Taille einer englischen Frau hatte, hoffe ich, dass sie die Notwendigkeit und die Freude eines erstklassigen Korsetts erkennen. Es wäre grausam ihren zukünftigen Ehemann des Vergnügens zu berauben eine eng geschnürte Schönheit das Kirchenschiff hinauf gehen zu sehen, um ihn zu heiraten. Eine gut geschnürte weibliche Figur ist das Exquisiteste in der Welt. Natürlich ist es nicht leicht, aber erinnern sie sich, il faut souffrir pour belle. Erinnern sie sich an das kurze Training dass ihre Mutter bei ihrer Tante genossen hat. Ich denke, dass es für euch viel leichter zu bewältigen ist.... Oh, ich kann den Mist nicht mehr weiter lesen.“ Sie schmeißt den Brief voller Verzweifelung auf das Bett. „Giuli?“

Giuliana hat schon ihren Brief geöffnet, aber noch nicht gelesen. Sie hält den Brief etwas weiter entfernt, da sie schlecht sehen kann. Sie liest: „Das ist etwas schwieriger, Netta. Ich muss erst übersetzen... Ah, meine Liebe, wie schön etwas von dir zu hören. Ich war, äh, enttäuscht, weil du nicht glücklich bist wie deine Lehrerin... Ah, wie sie dich behandelt. Wir haben schwer gearbeitet, äh, um das Geld für diese Schule zusammen zu bringen. Also lass uns nicht in Stich. Du bist böse und undankbar. Deine Eltern würden sich im Grab umdrehen. Du musst lernen, äh, unserer Familie aufrechtzuerhalten, Tradition von Schönheit und Eleganz. Äh, es ist notwendig zu leiden um schön zu sein.“

Gertie tritt näher heran. „Haben sie das in Italienisch geschrieben? Zeig mal. Oh, nein! Netta, schau! Hier steht es wieder! 'Il faut souffrir pour être belle'...“
Netta liest es auch und seufzt angeekelt. „So ein Mist! Können oder wollen sie uns nicht verstehen?“
„Sie glauben, dass es alles entschuldigt“, sagt Giuliana traurig.
„Das tut es nicht“, stellt Netta sachlich fest. „Es ist altmodisch. Wir müssen etwas unternehmen. Jetzt.“
„In Ordnung“, sagt Gertie und verschränkt ihre Arme. „Und was?“
Es entsteht eine Denkpause.
„Sollen wir fliehen?“, schlägt Giuliana vor.
„Nein, Giuli. Das Anwesen wird von einer hohen Mauer umgeben und die Tore sind verschlossen. Außerdem können wir mit unseren Ausbildungskorsetts nicht weit laufen. Es ist schon schwierig genug langsam damit zu gehen.“
„Wir könnten vielleicht die Polizei rufen“, deutet Netta zaghaft an.
„Das bringt nichts“, sagt Gertie, und Giuliana fügt hinzu: „Die werden sich nicht einmischen. Das ist hier ein besonderer Ort, wo die Töchter von reichen und einflussreichen Eltern sind. Die Polizei würde es nicht wagen Fragen zu stellen, da unsere Eltern uns Miss Badsteel unterstellt haben.“
Wieder wird es still.
„Gertie?“, sagt Netta, „du bist doch sonst immer so voller Ideen. Fällt dir jetzt nicht irgendetwas ein?“
„Ich denke nach! Ich gebe mir Mühe! Wenn mir was einfällt, dann sage ich es euch, klar?“
„Natürlich, ich denke, so etwas würde in Amerika nie passieren“, stichelt Netta. „All das hier ist Verfassungswidrig. Ich denke dass niemand in Amerika gegen seinen eigenen Willen geschnürt wird.“
„Netta“, sagt Gertie, „Sei endlich still!“
„Ich habe das gleiche Recht zu sprechen wie du. Das ist ein freies Land, trotz Miss Badsteels Bemühungen. Und weil gerade das hier geschieht, kann ich nicht glauben dass Amerikaner besser sind als Europäer.“

Gertie geht in dem Zimmer auf und ab.

„Streitet euch nicht“, fleht Giuliana.
Gertie ignoriert sie und sagt: „Netta Scruttle-Quise, ich mag zwar in diesem Augenblick ein Korsett tragen. Aber meine Vorfahren haben in einem Land, dass von Wilden bewohnt war, eine neue Nation gegründet und...“
„Oh, eine amerikanische Geschichtslehre! Und wie lehrt uns die amerikanische Geschichte aus der Korsett-Hölle zu fliehen?“
„1776 haben meine Vorfahren gegen die Unterdrückung von...“ Plötzlich greift sich Gertie an die Taille als ob dort das Korsett aufgegangen wäre. Sie keucht und ihre Augen werden ganz groß. Sie taumelt nach hinten gegen die Wand und lehnt sich dort an. Sie starrt ausdruckslos geradeaus und kämpft um ihren Atem.

Die anderen beiden Mädchen eilen zu ihr und schauen sie besorgt an.

„Gertie“, sagt Netta, „was ist mit dir? Es tut mir so Leid. Ich wollte dich nicht ärgern... Gertie?“
„Revolution!“ krächzt Gertie. „Eine Revolution!“
„Ja, es gab 1776 eine Revolution, aber das ist vorbei. Du musst dir keine Gedanken mehr darüber machen. Ihr habt gewonnen.“
„Nein, nein, du verstehst mich nicht. Eine Revolution! Jetzt!“
„Was?“
Gertie nimmt Nettas Hand und drückt sie. „Wir brauchen wieder eine Revolution! Die unterdrückten Massen müssen sich gegen ihre bösen Unterdrücker und Herren erheben!“
„Du meinst Mistresses?“
„Ja, ja. Wir können es tun, ich weiß dass wir es schaffen! Wir müssen es nur genau durchdenken und richtig organisieren...“
„Gertie“, sagt Giuliana, „ich werde niemandem wehtun, ich werde keine Pistole benutzen, aber ich werde dir so gut ich kann helfen. Wir müssen uns selber befreien.“
„Ich danke dir, Giuli... Und du, Netta, bist du für oder gegen mich?“
„Oh, natürlich bin ich für dich. Ich kenne dich. Sobald du dir was in den Kopf gesetzt hast, stürzt du immer los und tust Fürchterliches. Du musst deine Pläne besser durchdenken. An was hast du denn gedacht?“
Gertie lächelt. Seit Tagen lächelt sie wieder vor Freude. „Warte bis heute Nacht. Es gibt da etwas, dass du bis dahin tun kannst. Du kannst den Gärtner fragen, ob er dir etwas Draht geben kann, womit er normalerweise die Äste der Apfelbäume festbindet. Ach ja, und ein kleines Messer.“

*****

Stille. Dunkelheit. Leise Geräusche von zu eng geschnürten Korsetts und von Mädchen, die bei jedem Atemzug dagegen ankämpfen. Ein weiteres Geräusch: Ein Mädchen, das sich nur mit Mühe im Bett umdrehen kann. Doch dann:
„Giuli! Netta“, flüstert eine Stimme. „Zeit aufzustehen!“
Die Geräusche werden lauter. Mehrere Mädchen bewegen sich mühsam in ihren klapprigen und quietschenden Metallbetten. Eine Bettdecke rauscht laut, als wenn jemand im Bett herumwühlt, etwas sucht. Dann erklingt ein kratzendes Geräusch und es zischt ganz kurz. Eine kleine Flamme erhellt das Zimmer, und Gertie zündet eine Kerze an. Dann stellt sie die flackernde Kerze auf den Hocker neben ihrem Bett. Die anderen beiden Mädchen sind zu erkennen. Netta, welche neben Gertie liegt, schaut mit zusammengekniffenen Augen auf die Kerze. Giuliana liegt mit dem Rücken zum Licht.
„Netta, ist sie wach?“
„Ich denke nicht.“
„Dann gib ihr einen Stoß.“
„Ich kann nicht. Ich muss zuerst aufstehen. Warte eine Minute.“

Netta zieht die Bettdecke vom Körper und kämpft sich mühsam aus dem Bett heraus. Sie trägt ein voluminöses Leinen- Nachthemd mit langen Ärmeln. Das Nachthemd reicht ihr bis an die Fußknöchel und ist oben bis zum Hals zugeknöpft. Sie sieht natürlich absolut undamenhaft damit aus, denn das Nachthemd liegt nicht glatt an wie ein Kleid. Da das lange Nachtkorsett darüber geschnürt ist, quillt das Nachthemd ober- und unterhalb des Korsetts unsauber und voller Falten heraus. Das lange Nachtkorsett hält ihren Körper derart steif, sodass sie wie eine alte und betrunkene Frau wirkt, als sie sich am Bettpfosten hochzieht und mühsam aus dem Bett herausklettert. Netta schnauft ziemlich laut. Plötzlich verrutscht das Metallbett und kreischt über dem Fußboden.
Gertie zischt: „Scchhh!“
Netta hält sofort inne und beide lauschen eine Minute in die Stille hinein. Glücklicherweise sind auf dem Flur keine Schritte zu hören, und so beschließen sie, dass sie weitermachen können.
Netta geht um das Fußende ihres Betts herum zu Giuliana, welche gerade wie ein Brett im Bett liegt und so tut als wenn sie schlafen würde. Netta schüttelt sanft an Giulianas Schulter. Keine Antwort. Sie schüttelt etwas kräftiger. Wieder geschieht nichts. „Giuli“, sagt sie leise. „Ich weiß dass du unmöglich schlafen kannst. Du brauchst dich nicht zu verstellen. Bitte öffne deine Augen.“
Das Mädchen öffnet die Augen und flüstert: „Ich möchte mich euch nicht anschließen.“
„Du hast aber gesagt dass du es willst. Du darfst uns jetzt nicht im Stich lassen. Wir brauchen dich.“
„Auf jeden Fall“, flüstert Gertie. „Ich brauche euch beide, damit ich aus dem verdammten Nachtkorsett herauskomme. Ich kann noch nicht einmal ohne eure Hilfe aufstehen.“
Giuliana seufzt so laut es ihr das eng geschnürte Korsett erlaubt, und mit Nettas Hilfe klettert sie aus dem Bett heraus. Im Licht der Kerze erscheint ihr Blick tieftraurig. „Ich hoffe das wir Erfolg haben“, flüstert sie.
„Das ist sicher“, flüstert Gertie. „Jetzt kommt bitte her und holt mich aus diesem verdammten Apparat heraus. Bewegt euch!“

Netta und Giuliana gehen zu dem dritten Mädchen hinüber und stellen sich an die Seiten des Betts hin. Dann ziehen sie die Bettdecke wie Krankenschwestern, welche einem Patienten im Bett reinigen wollen, zurück. Dann greifen sie Gerties Arme und Schultern und heben den Oberkörper langsam an. Sie arbeiten sanft und vorsichtig, aber es ist eine schwierige Aufgabe. Gertie zuckt, da sie entgegen der starren Form des Korsetts bewegt wird. So kann sie nicht verhindern dass sie ab und zu laut stöhnt oder keucht. Selbst das Korsett scheint sich zu beklagen, denn es fängt an laut zu knarren. Aber die Mädchen kennen das bereits, denn sie haben jahrelang Tag und Nacht Korsetts getragen. So knarren die drei Korsetts im Chor und abwechselnd stöhnt das eine oder andere Mädchen. Sie stellen Gertie auf ihre Füße und führen sie zu den Wandgriffen neben dem Fenster, so wie sie es jeden Morgen machen. Im Schein des flackernden Kerzenlichts glitzert etwas Metallisches auf Gerties Rücken. Giuliana nimmt die Kerze vom Hocker und hält sie nervös hoch. Das Licht spiegelt sich in noch mehr Metall wider. Das Vorhängeschloss sichert einen Stahlgürtel über Gerties eng geschnürter Taille. Miss Badsteel hat dafür gesorgt, dass das Korsett auf keinen Fall gelockert werden kann. Netta geht zum Schrank und sucht in ihren Habseligkeiten herum. Schließlich findet sie was sie sucht. Es ist klein, und das Ende glitzert im Kerzenlicht. Sie kehrt mit einem Lächeln zu den anderen beiden zurück.

„Der Gärtner sagte mir, dass er es benutzt um etwas an den Knospen zu tun“, sagt sie. „Ich glaube, er schlitzt damit die Pflanzenstämme auf.“
„Ich hoffe es geht damit“, sagt Gertie ziemlich laut. Sie verstummt sofort und sieht erschreckt aus. Die drei Mädchen stehen ganz still und lauschen. Aber wieder geschieht nichts. Es sind keine Schritte auf dem Flur zu hören.
„Macht weiter“, flüstert Gertie.
„Halte die Kerze höher, Giuli“, bittet Netta.

Trotz des flackernden Lichts kann Netta erkennen, dass Gerties Schultern von zusätzlichen Lederriemen nach hinten gezogen werden. Ein breiterer Gurt verbindet die beiden Schulterriemen. In der Mitte befindet sich eine Schnalle, welche aber mit einem weiteren Vorhängeschloss gesichert ist.

„Ich kann das Schloss nicht öffnen, Gertie. Ich werde das Geschirr zerschneiden müssen.“
Sie beginnt mit dem kleinen Messer den breiten Lederriemen zu zerschneiden. Da gibt Gertie einen leisen Schrei von sich.“
„Sccchh!“
„Du tust mir weh“, zischt Gertie. „Was machst du denn da?“
„Es ist dieser breite Riemen. Er ist sehr dick. Ich kann ihn nicht so leicht zerschneiden wie die Korsettschnur.“
„Lass ihn... Versuche es weiter oben... Die Riemen über meinen Schultern sind dünner.“

Netta zuckt mit den Achseln und zerschneidet den Lederriemen auf Gerties linker Schulter. Nachdem dies getan ist, zieht Gertie mit einem Seufzer der Erleichterung ihren linken Arm aus dem zerstörten Riemengeschirr. Da nun das Geschirr locker ist, kann es entfernt werden.

„Das tut gut. Lasst uns beeilen, bevor jemand kommt.“
„Richtig“, flüstert Netta als Gertie sich zu ihr umdreht. „Brauchen wir sonst noch etwas?“
„Die Streichhölzer, damit wir auch andere Kerzen anzünden können. Und wo ist mein langer Draht?“
„Du hast ihn am Kopfende deines Betts befestigt“, sagt Giuliana.
„Ja, danke, Giuli.“ Gertie rauscht mit ihrem langen Nachthemd, und dem darüber sehr eng geschnürten Korsett zum Bett, um den langen Draht zu holen. Sie nimmt den Draht und kehrt lächelnd zu ihren Freundinnen zurück. „Ich werde es genießen“, sagt sie. „Können wir?“

 

Die drei Mädchen gehen auf Zehenspitzen durch lange und dunkle Korridore. Ein Grund ist ,dass sie so leise wie möglich sein wollen. Aber der zweite Grund ist der, dass sie schon viel zu lange nur hochhackige Stiefel tragen mussten. Sie können einfach nicht mehr plattfüßig gehen! Giuliana hält die Kerze. Ihr Herz hämmert. Sie wünscht sich dass sie vorher die anderen darum gebeten hätte ihr Korsett zu lockern. Doch sie will nicht mehr zurückgehen. Netta schleicht fest entschlossen voran. Sie will lieber ihr Bestes geben, als in dem Korsett zu sterben. Gertie hat die ganze Zeit ein bedrohliches Lächeln im Gesicht. Ein Lächeln, dass nur jemand trägt der die Absicht hat einen anderen wehzutun.

Sie bleiben schließlich vor einer schweren Eichentür stehen. Die anderen beiden Mädchen stehen etwas Abseits, während Gertie das Ende ihres langen Drahts in das Schlüsselloch einführt und dreht, damit der am vorderen Ende gebogenen Haken das Schloss öffnen kann. Sie versucht es so leise wie möglich zu machen. Kein Klappern soll sie verraten. Schließlich gibt es ein kratzendes ‚Klick’, und Gertie stellt sich wieder gerade hin. Sie lächelt zufrieden. Vorsichtig dreht sie den Türknauf und öffnet die Tür. Die drei Mädchen erwarten die grauenerregende Mistress auf der anderen Seite der Tür vorzufinden, aber sie sehen nur einen weiteren dunklen Korridor. Sie legen eine kurze Pause ein um sich zu beruhigen.
„Wo hast du das gelernt, Gertie?“, flüsterte Netta.
„Zuhause in Arizona“, sagt Gertie. „Ich hatte nicht das Vergnügen einer damenhaften Kindheit gehabt.“
„Du Glückliche.“
„Gertie“, sagt Giuliana. „Das war nicht sehr leise. Bist du sicher, dass sie es nicht gehört hat und nun wach ist?“
„Ich denke nicht. Ich habe erfahren, Giuli, das Miss Badsteel seit Jahren jeden Abend ein Schlafmittel einnimmt. Sie schläft wie eine Tote.“
„Warum tut sie das? Ist sie krank?“
„Ich weiß nicht. So ähnlich... Ich nehme an dass sie ihre Gesundheit ruiniert hat, da sie permanent viel zu eng geschnürt ist. Sie kann wahrscheinlich nicht vor Schmerzen schlafen. Ich bin mir aber auch sicher, dass ihre Verdauung ruiniert ist... Man kann keine Taille permanent unter 45 Zentimeter halten, wenn man schon über Vierzig ist, ohne den Preis dafür zu bezahlen.“ Sie holt tief Luft, so gut es trotz des engen Korsetts geht. Dann sagt sie: „Das bringt uns jetzt aber nicht weiter. Gehen wir.“

Die drei Mädchen schleichen auf ihren Zehenspitzen weiter wie die sprichwörtliche Katze auf ihren Samtpfoten. Nettas Herz hämmert so stark, dass sie befürchtet alle Lehrerinnen in diesem Gebäudetrakt aufzuwecken. Aber niemand scheint es zu bemerken. Sie bewegen sich langsam weiter, sodass Giulianas Kerze kaum flackert. Miss Badsteels Haltungsunterricht kommt ihnen in jenem Moment sehr gut zur Hilfe.

Sie erreichen die schicksalsschwere Tür. Es kann keine Verwechselungsgefahr geben, denn auf dem Messingschild steht: „C. Badsteel, Prop. Schulvorsteherin und Geschäftführerin.“

So ruhig wie sie kann, führt Gertie wieder den Draht in das Schloss und wiederholt ihre Tätigkeit. Die anderen beiden Mädchen halten wieder sehr großen Abstand. Sie können es immer noch nicht fassen was sie da tun, und Netta hat das Gefühl als wenn ihr heftiger Herzschlag jeden Moment das Korsett sprengen würde. Als das Schloss klickt und Gertie den Türknauf in die Hand nimmt, hat Netta den Drang schreiend davonzulaufen.
‚Wohin soll ich denn laufen?’, fragt sie sich in Gedanken, denn es gibt keine Antwort. Sie kann nirgends wohin laufen. Alle Außentüren sind abgeschlossen, und in der Schule gibt es kein Versteck.

Die Tür öffnet sich leise knarrend, sodass die Herzen der drei Revolutionärinnen beinahe vor Schreck stehen bleiben. Schnell schlüpfen sie in das Zimmer hinein und schließen die Tür hinter sich ab. In dem Zimmer ist es dunkel und ruhig. Aber noch hören sie nur den eigenen Herzschlag. Als sie sich langsam wieder beruhigen, vernehmen sie ein vertrautes Geräusch. Es ist das gleichmäßige Knarren einer Person, die mit einem eng geschnürten Korsett schläft.

Sie haben es geschafft. Sie sind in Miss Badsteels Schlafzimmer eingedrungen, und die Mistress ist nicht aufgewacht. Das war aber erst der leichteste Teil ihres Plans. Sie müssen rasch handeln.

Die drei Mädchen verteilen sich lautlos. Die Kerze, welche Giuliana immer noch in der Hand hält macht die Orientierung leichter. Das Zimmer ist klein, aber mit unzähligen Dingen voll gestopft. Dennoch steht alles ordentlich an seinem Platz, wo es hingehört. Die Frisierkommode ist voller Flaschen und Dosen, die offensichtlich dazu dienen das Gesicht zu schminken und die Haare zu färben. Alles Sachen, deren Benutzung den Mädchen strengstens verboten ist. In einer Ecke befindet sich ein ordentlich aufgetürmter Aktenstapel der Schülerinnen. Neben der riesigen Garderobe taucht ein bedrohlich wirkender Schatten auf.

Kapitel 2